Bye bye, German Left! Wie linke Zeitungen den Antisemitismus kritisieren, den sie zugleich nähren. Ein Debattenbeitrag von Benjamin Weinthal, European Fellow an der FU,…
… im April 2007 in der “Jungle World” erschienen, nun auch auf AVIVA zu lesen.
http://www.aviva-berlin.de/aviva/content_Juedisches%20Leben.php?id=8823 Es ist eine merkwürdige Zeit für in Deutschland lebende amerikanische Juden. Der an der Universität Michigan lehrende Antisemitismusforscher Lars Rensmann beobachtete, dass viele amerikanische Juden, die in Deutschland leben und sich als Linke verstehen, beständig gezwungen sind, die Politik Israels zu verteidigen, weil antiisraelische Affekte in Deutschland und Europa sehr verbreitet sind. Ich stimme seiner Beobachtung zu. Vor fünf Jahren zog ich aus New York City nach Berlin und fing an, für die deutsch-jüdische Zeitung “Aufbau” zu schreiben. Ein Schwerpunkt meiner journalistischen Arbeit ist das Judentum in der ehemaligen DDR und die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der jüdisch-deutschen Minderheit in der Zeit nach der so genannten Wende. Ein Thema habe ich bewusst vermieden: den Staat Israel. In einem Kommentar der “Welt” argumentierte kürzlich die in Tel Aviv lebende deutsche Journalistin Gisela Dachs, dass die Deutschen, wenn sie über Israel reden, nur über sich selbst redeten: “Im Fall der Deutschen liegt es auf der Hand, dass bei den Diskussionen die Nazivergangenheit – ausgesprochen oder unausgesprochen – immer mit eine Rolle spielt.” Die vermeintliche Kritik an Israel ist sehr oft ein Komplex aus Schuld und Abwehr wegen der Shoah und hat gar nichts mit dem Staat Israel zu tun. Das Beispiel Möllemann ist typisch für dieses Phänomen. In den USA habe ich die Entwicklung und die Politik Israels sehr genau verfolgt. Als amerikanischer Jude identifiziert man sich mit dem Land. Es ist vergleichbar mit den irischstämmigen US-Amerikanern, die eine Art von Solidarität mit Iren in Irland und Nordirland praktizieren. Da die USA und Israel nahezu Schulter an Schulter stehen, wird auch die amerikanisch-jüdische Gemeinde eine Projektionsfläche für einen großen Teil der deutschen Gesellschaft. In der “taz” hat es Daniel Bax in einem Beitrag über die US-amerikanische jüdische Gemeinde mit dem Titel “Jews vs. Jews” geschafft, sich mehrerer deutscher Lieblingsklischees über amerikanische Juden zu bedienen. Er schrieb, dass bestimmte Juden ihr »Jüdischsein« betonen müssten, weil »es doch die einzige Möglichkeit« sei, “dem Alleinvertretungsanspruch des organisierten Berufsjudentums und seiner publizistischen Bannerträger zu begegnen. Denn dieses hat sich in neokonservativen Allianzen verrannt.” Sein erfundener Begriff “organisiertes Berufsjudentum” riecht nach der alten antisemitischen Verschwörungstheorie der jüdischen Lust auf Welteroberung. Innerhalb eines Kommentars mit 372 Wörtern benutzt Bax pausenlos Parolen wie “Israel-Lobby”, “proisraelische Protestgruppen”, “proisraelische Pressure Groups”, “wichtigster jüdischer Interessenverband”, “offizielle jüdische Organisationen” und “Alleinvertretungsanspruch des organisierten Berufsjudentums”. Im Klartext heißt das: Die sechs Millionen amerikanischen Juden seien neokonservativ (US-Republikaner), und die Neocons seien für den Krieg im Irak verantwortlich. Diese seien auch vorbehaltlose und unkritische Unterstützer des Staates Israel. Eine gefährliche Pauschalisierung, die der Wirklichkeit in den USA nicht entspricht. 87 Prozent der Juden haben für die Demokraten gestimmt. Die Wahlbeteiligung der Juden in den USA liegt bei über 90 Prozent. Sie sind die politisch am stärksten engagierte Bevölkerungsgruppe in den USA. Die Mehrheit der US-amerikanischen Juden war übrigens gegen den Krieg im Irak. Der Publizist Henryk M. Broder brachte neulich in einem Gespräch mit mir diese bedenkliche Entwicklung der deutschen Linken auf den Punkt: “Der rechte Antisemitismus ist verschämt, der linke Antisemitismus ist unverschämt. Und am Wachsen des linken Antisemitismus zeigt sich natürlich auch eine Homogenisierung der deutschen Gesellschaft. Der Antisemitismus ist eine Krankheit, die nachwächst und sich verwandelt. Der Antisemitismus von heute ist der Antizionismus.” Vermeintlich linke Zeitungen wie die taz richten sich in ihren Artikeln oft gegen Antisemitismus, aber sie sehen die Verbindung zwischen ihrer antiisraelischen Sprache (d.h. Antizionismus) und der Verbreitung des Antisemitismus nicht. Haben Begriffe wie z.B. “organisiertes Berufsjudentum” eine Mitwirkung am zunehmenden Antisemitismus in Deutschland? Ich befürchte, die Antwort liegt auf der Hand. Deswegen habe ich mich von einem großen Teil der deutschen Linken verabschiedet. |