Andrei S. Markovits: Amerika, dich hasst sich’s besser

Buchbesprechung von Hans-Ulrich Wehler: Achtung: Sprengstoff Antiamerikanismus
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http://www.zeit.de/2004/52/P-Markovits

Die Philippika kommt aus berufenem Munde. Denn ihr Autor, Andrei Markovits, stammt aus einer rumänischen Familie jüdischer Herkunft, ist in Wien und New York groß geworden, besitzt die begehrte Karl-Deutsch-Professur für Politikwissenschaft an der Universität von Michigan in Ann Arbor und zählt gegenwärtig zu den besten amerikanischen Deutschlandkennern. Seiner ganzen Lebensgeschichte nach ist er ein »Bürger zweier Welten«. Hierzulande ist er durch Bücher zur deutschen Innenpolitik unter rot-grünem Vorzeichen, aber auch über den Fußball in den USA bekannt geworden. Sein neues Buch über den europäischen Antiamerikanismus hat er zum ersten Mal selbst auf Deutsch geschrieben – auch das, trotz aller inhaltlichen Kritik, ein Akt der Zuneigung.

Markovits ist tief bestürzt über die neue Welle des Antiamerikanismus, den er in Verbindung mit einem ungenierten Antisemitismus während seiner zahlreichen Europaaufenthalte, aber auch als Forscher in einer breit gefächerten medialen Öffentlichkeit mit wachsendem Erschrecken wahrgenommen hat. Verletzt durch den Hochmut und die Unkenntnis, hat seine Betroffenheit ihm den Blick geschärft. Anhand bestürzender Zitate verfolgt er die hämischen Vorwürfe gegen das amerikanische Englisch, die Mängel amerikanischer Autos, die Defizite des amerikanischen Sozialstaats, des Bildungswesens, der Gesundheitspolitik, des Rechtssystems, die hegemonialen Aspekte der Globalisierung und so fort. Arrogante Verachtung, empörte Irritation und tief sitzende Angst vor einer »Amerikanisierung« schlechthin aller Lebensbereiche scheinen dem Autor in einem unheilvollen Meinungsklima zusammenzufließen, das sich über Europa, insbesondere auch über Deutschland ausgebreitet habe. Über kurz oder lang könne das zu einer Erosion unverzichtbarer Gemeinsamkeiten der westlichen Welt führen. Solle Europas künftige Identität wirklich auf die Exklusion Amerikas gegründet werden?

Natürlich ist sich der linksliberale Autor des Umstandes bewusst, dass es tatsächlich die Mängel amerikanischer Straßenkreuzer, des Sozialstaats à la USA, des Anwaltswesens, des Shareholder-Prinzips gibt. Aber über alle berechtigte Kritik hinaus mündet ihm die Skepsis gegenüber ausnahmslos allem Amerikanischen in eine Fundamentalkritik, die auf jedes realistische Urteilskriterium verzichtet, wenn sie Amerika zum Negativsymbol aller Widrigkeiten macht und selbst vor schäbiger Schadenfreude wegen »9/11« nicht zurückscheut.

Sind Antiamerikanismus und Antisemitismus Zwillingsbrüder?

Zum Beweis entwirft Markovits ein düsteres Kolossalgemälde, wonach von »Kolumbus’ Zeiten« bis zur Gegenwart die europäischen Eliten immer antiamerikanisch eingestellt gewesen seien; heute komme, fatalerweise, die Fusion mit einer Massenstimmung noch hinzu. Hier sind Differenzierungen geboten. Zum Beispiel: Von den gut 6000 deutschen Veröffentlichungen, welche die amerikanische Revolution kommentierten, war die große Mehrheit positiv eingestellt. Das gilt auch für zahlreiche Liberale des Vormärz und der 48er Revolution. Und die rund 50000 deutschen Fulbright-Studenten, die man überall in Elitepositionen der Politik, Wirtschaft und Universität findet, sind durchweg amerikafreundlich geblieben. Vor allem aber muss man die legitime Kritik an Bushs Kriegspolitik, Präventivkriegsdoktrin und unilateralistischer Anmaßung scharf trennen von jenem dumpfen Antiamerikanismus, der in den letzten Jahren, namentlich wegen des neuen Irak-Kriegs, aufseiten der alten und neuen Linken, unter Intellektuellen und im Alltag wieder aufgelebt ist. Bei uns tat er das nicht zuletzt aufgrund des unter dem Primat der Wahlpolitik vollzogenen Schröderschen Schwenks gegen die Washingtoner Kriegsbereitschaft, die einen europäischen Protest, aber alles andere als einen »deutschen Weg« der Opposition verlangt hätte.

Dass aber der Antiamerikanismus und Antisemitismus inzwischen als »Zwillingsbrüder« aufträten, der überall in Europa wieder aufflackernde Judenhass vornehmlich als Konsequenz des Antiamerikanismus angefacht werde, wird man bezweifeln dürfen. Zum einen ist die zweitausendjährige Tradition der Stigmatisierung des Volkes der »Christusmörder« trotz des Holocaust nicht abgerissen, zum anderen hält der israelisch-palästinensische Konflikt eine oft als Antizionismus getarnte Feindschaft wach, und außerdem sollte niemand den militanten islamischen Antisemitismus gering schätzen. Trotzdem: Nicht selten reist der neue Antisemitismus auch im Huckepackverfahren mit dem Antiamerikanismus – »Kerry ist auch Jude«, dieses Hamburger Graffito hat Markovits für seinen Buchumschlag entdeckt.

Auch wer manches Urteil für zu pointiert hält, sollte sich der beschwörenden Kritik dieses Autors stellen. Denn seine mit hoher Sensibilität, mit Besorgtheit und Sachkunde geschriebene Bestandsaufnahme kann selbstkritisches Nachdenken erzeugen, statt den Kopf in der irrigen Annahme abzuwenden, dass alles nur eine kurzlebige Anti-Bush-Aufwallung sei.

Andrei S. Markovits: Amerika, dich hasst sich’s besser Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa; Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2004; 240 S., 15,- €

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