Rafael Seligmann: Warum ich Zionist bin

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In Israel kann man als Unreligiöser Hebräer bleiben, ohne sich auf dem Umweg über Antisemiten eine jüdische Identität zimmern zu müssen. Dieser Staat muss leben

Ich bin Zionist. Chaim Weizmanns Bonmot “Wahnsinn ist keine Voraussetzung zum Zionismus, doch er hilft ungemein” hat nach einem Jahrhundert nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Nach wie vor ist das aktive Eintreten für einen jüdischen Nationalstaat keineswegs selbstverständlich, vielfach wird es als Provokation wahrgenommen.

Das Existenzrecht Algeriens, Tongas, Südafrikas, allesamt Staaten nach der Entstehung Israels gegründet, zu befürworten, ist überflüssig, denn es ist ebenso selbstverständlich und unumstritten wie die Bestätigung des Bestandes von Frankreich oder Kanada. Das Dasein des jüdischen Staates dagegen bedarf für viele auch 60 Jahre nach seiner Gründung noch oder schon wieder einer Begründung. Etwa: “Auch die Juden sollen ihren Staat haben dürfen. Allerdings kein Großisrael! Also ohne besetzte Gebiete.” Die Forderung, von Tschechien beziehungsweise Polen die Räumung des Egerlands oder Schlesiens zu verlangen, würde als Revanchismus gebrandmarkt.

Entscheidend für die Delegitimation des jüdischen Staates ist, dass dieser “mit Gewalt auf Kosten eines anderen Volkes entstand.” Durch diese “Schuld” habe Israel sein moralisches Existenzrecht verwirkt. Zweifellos hat Zion eine gewaltsame Geburt erlebt. Vor und während seiner Gründung ist den Palästinensern von zionistischer Seite Unrecht angetan worden – ebenso wie den Juden von arabischer Seite – in Palästina und in den arabischen Ländern.

Die meisten Staaten entstanden auf den Trümmern anderer Gesellschaften: Peru, Mexiko, Russland, die Vereinigten Staaten, die Türkei, Australien… Dennoch käme niemand auf die Idee, diesen Ländern ihre staatliche Berechtigung abzusprechen.

Jedem, der sich für Israels Existenzrecht ausspricht, bleibt nichts übrig, als in endlosen Diskussionen die Schaffung und den Bestand des jüdischen Staates zu verteidigen. Unterlässt man dies oder geht selbst auf absurdeste Einwände nicht ein, wird einem dies als Arroganz ausgelegt. Wer möchte schon als hochnäsig gelten – zumal als Zionist.

Warum bin ich dennoch Zionist? Der ursprüngliche Antrieb Theodor Herzls (1860-1904), des Begründers des politischen Zionismus, war weitgehend frei von jüdischen Inhalten – vielmehr eine Reaktion auf den Antisemitismus. In “Der Judenstaat” schrieb der Wiener: “Wir haben überall versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen (sic!) und nur den Glauben der Väter zu bewahren… Vergebens sind wir treue und an manchen Stellen sogar überschwängliche Patrioten,… vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern… werden wir als Fremdlinge ausgeschrieen”. Mit dem “Glauben der Väter” hatte Herzl wenig im Sinn. Zwischenzeitlich erwog er die Konversion zum Katholizismus.

Der Antisemitismus setzte auch den deutschen Juden zu. So bekannte Walther Rathenau: “In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: Wenn ihm zum ersten Mal bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann”.

Rathenau, der das antisemitische Vokabular übernahm, empfahl den Hebräern “die bewusste Selbsterziehung einer Rasse zur Anpassung… eine Anartung in dem Sinne, dass Stammeseigenschaften, gleichviel ob gute oder schlechte, von denen erwiesen ist, dass sie den Landesgenossen verhasst sind, abgelegt… werden müssen.” Konsequent setzte sich der Industrielle vehement für die Assimilation ein. Dennoch wurde Rathenau als “Judensau” geschmäht und schließlich 1922 umgebracht. Ein symbolträchtiger Vorbote der Shoah.

Die Geschichte fällte ihr Urteil. Die jüdischen Emanzipationsbemühungen in Europa scheiterten. Die Kassandrarufe der Zionisten dagegen wurden durch den Völkermord höllentief übertroffen. Unbehelligt blieben die mehreren Hunderttausend Juden, die bis dahin in Zion einen eigenen Staat aufbauen wollten, außer der Reichweite ihrer NS-Häscher. In Folge der Shoah und mit Zustimmung der Weltgemeinschaft wurde im Mai 1948 der jüdische Staat gegründet. Er verteidigte seine Existenz erfolgreich gegen zahllose Versuche der arabischen Umwelt, ihn zu vernichten. Heute ist Israel eine Tatsache.

Bedeutet dies das Ende des Zionismus, wie es eine Reihe israelischer Historiker postuliert? Keineswegs. Das Bestehen Israels ist ebenso wenig das Ende des Zionismus wie der Zusammenbruch der Sowjetunion das Ende der Geschichte darstellte. Die Historie geht weiter. Auch die des Zionismus. Doch was ist ihr Inhalt?

Die potenzielle Zukunft des Zionismus entwickelt sich als Ergänzung, ja als Gegenbild zur Diaspora, vor allem dem amerikanischen Judentum. Eine oberflächliche Betrachtung mag das Hebräertum der Vereinigten Staaten heute weltweit als führend wahrnehmen. In den USA lebten und leben die wegweisenden jüdischen Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Unternehmer wie Milton Friedman, Henry Kissinger, Roy Lichtenstein, Elie Wiesel, Ralph Lauren, die Lauders, die Bronfmans etc.

Doch ihre jüdische Identität ist ähnlich diffus wie die der anderen Diasporajuden. Leonard Bernstein war ebenso wenig religiös wie Jerry Lewis. Ihr Judentum gilt den meisten Amerikanern vorwiegend als vergilbte Folklore. Dessen primäre Energiequelle ist Angst – vor ehemaligen und zukünftigen Antisemiten. Philip Roth mag als Chronist des fortdauernden Angstbewusstseins gelten. Die Architekten dieser Generationen übergreifenden Paranoia indessen sind jüdische Funktionäre. Etwa Marvin Hier aus Los Angeles, der verkündete, für einen Juden sei “jede Nacht Kristallnacht” oder Menachem Rosensaft, der Gründer des Vereins “Children of the Holocaust Survivors”, der die Shoah als “Quelle der Stärke” und “einzigartigen Identität” reklamierte. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Denn wer den Holocaust zum Born jüdischer Identität macht, ersetzt Gott als Stifter jüdischen Seins durch Adolf Hitler und die seinen. Der jüdische Gott besteht längst. Sein Testament wurde von den Christen fortgeschrieben.

In Deutschland hat das Judentum seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Einwanderungswelle erlebt. Heute gibt es hierzulande wieder etwa 100 000 Juden. Doch es fehlt der hiesigen hebräischen Gemeinschaft ein eigenständiges Selbstwertgefühl. Ihre Identität wahrt Abstand, wie der Name “Zentralrat der Juden in Deutschland” statt der “deutschen Juden” zeigt.

Die jüdische Gemeinde unseres Landes ist die am schwersten traumatisierte. Die Popularität einer gehätschelten Klezmer-Musik und israelischer Filmfestivals verbergen kaum das mühsame Erwachen einer eigenständigen deutsch-jüdischen Kultur. Israel ist der Fixpunkt der hiesigen Juden. Dort lassen sie sich am liebsten begraben. Hier leben sie – und warten ab.

Das Gros der israelischen Künstler und Intellektuellen zweifelt nicht weniger an der hergebrachten Religion als ihre Un-Glaubensbrüder in der Diaspora. Allein, in Israel kommt man nicht an den alten und neuen Quellen jüdischer Identität vorbei. Angefangen mit der hebräischen Sprache und der biblischen Geographie von Jerusalem bis Beer Sheba. Entscheidend ist jedoch, dass es in sechs Jahrzehnten gelang, ein jüdisches Gemeinwesen aufzubauen. Eine funktionierende Demokratie, eine vitale Volkswirtschaft, eine eigenständige Kultur, eine effiziente Armee, kurz, einen Staat, der, bei allen Fehlern, der entscheidenden Funktion gerecht wird, die der zionistische Pionier Theodor Herzl ihm aufgab: Schutzhafen für jeden verfolgten Juden dieser Erde zu sein. Israel war und bleibt Asyl für die Juden der arabischen Länder, für die Hebräer der Sowjetunion, für äthiopische Bürgerkriegsflüchtlinge, für jüdische Geiseln in der Hand von Terroristen.

Anders als in den vergangenen zwei Jahrtausenden genießen Antisemiten wie der Großinquisitor Tomás de Torquemada oder Adolf Hitler und ihre willige Helfer keine unbegrenzte Macht über ihre erwählten, weil schutzlosen Opfer. Die Existenz Israels und die Schlagkraft seiner Streitkräfte setzen der Willkür von Judenhassern wie Irans Präsident Achmadinedschad Grenzen, indem sie ihm mit Sanktionen oder gar Präventivschlägen drohen. Die Juden wiederum haben heute die Wahl, weiterhin in der Diaspora zu wohnen und sich auf diese Weise unwillkürlich mehr oder minder oft nach der Loyalität gegenüber ihrem jeweiligen Heimatland fragen zu lassen, oder sich ohne Vorbedingungen in Israel nieder zu lassen und dort ohne Privilegien, aber auch ohne gefühlten oder tatsächlichen Antisemitismus zu leben.

In Israel kann man als Unreligiöser Hebräer bleiben, ohne sich auf dem Umweg über Antisemiten eine jüdische Identität zimmern zu müssen. Dieses Privileg bildete vor 112 Jahren den Kern des Zionismus. Es hat Dank der Antisemiten und jüdischer Traumatiker seine Aktualität bis heute bewahrt. Ich wünsche mir schlicht, dass die Existenz Israels so selbstverständlich und unbestritten wird wie jene Finnlands. Und jeder Jude wählen mag, wo er leben will – unabhängig von Antisemiten. Das ist mein Zionismus.

Der Autor war von 1980 bis 1984 Redakteur der WELT. Er ist heute Chefredakteur der “Atlantic Times”

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