Olaf Kistenmacher: Peter Ullrich: Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Berlin: AphorismA 2007

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Nachdem die traditionelle Linke lange Zeit versucht hat, das Problem des Antisemitismus in den eigenen Reihen zu leugnen, kommt seit einigen Jahren eine neue Variante der Abwehr dazu: die Scheinauseinandersetzung. Ein Beispiel dafür ist Peter Ullrich: Begrenzter Universalismus . Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, 2007 als 50-seitige Broschüre erschienen. In ihr will Ullrich zwar erklären, warum die „Sympathie“ der Linken für die Palästinenserinnen und Palästinenser „oft so weit ging, alles ‚Palästinensische’ kritiklos gutzuheißen und warum sie streckenweise mit der absoluten Dämonisierung Israels und teilweise offenem Antisemitismus einherging“ (S. 40). Aber dazu hätte Ullrich einen Begriff vom Antisemitismus entwickeln müssen. In Begrenzter Universalismus wird noch nicht einmal klar, wen oder was Ullrich als antisemitisch bezeichnet: ob Menschen, ihre Charaktere, einzelne Denkweisen oder Texte. Obwohl er sich auf den Ansatz von Thomas Haury und Klaus Holz beruft, die Antisemitismus und auch den Antisemitismus in der Linken auf der Ebene von Texten, als „Semantiken“, analysieren (S. 31-33),[1] beschäftigt Ullrich immer wieder die Frage, ob das Handeln von z. B. Jossif Wissarionowitsch Stalin oder anderen Einzelpersonen und Gruppierungen antisemitisch motiviert gewesen sei und ob sie persönlich Antisemiten gewesen seien. Diese Fragen zu stellen wäre zwar auch legitim; aber ihre Beantwortung hätte andere Methoden und andere Quellen erfordert als die, die Ullrich zur Verfügung stehen.

Diese Unklarheiten in Begrenzter Universalismus beruhen aber nicht nur auf dem Unvermögen des Autors, sondern dienen einem politischen Zweck: Es soll nicht deutlich ausgesprochen werden, dass antisemitische Denkweisen in der Linken existiert haben. So zitiert Ullrich z. B., was Ruth Fischer, Mitglied der KPD-Zentrale, 1923 vor einem völkischen Publikum gesagt hat:

„Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so.Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner…?“ (S. 20)

Nach der Analyse von Haury ist eine solche Rede antisemitisch, denn in ihr wurden, auf der Basis einer personalisierenden Darstellung des Kapitalismus, auf spezifische Weise ‚Juden’ mit Kapital verknüpft und so das Stereotyp von den nicht-deutschen, mächtigen und reichen ‚Juden’ reproduziert.[2] Ullrich dagegen schreibt, in Fischers Rede zeige sich „die fatale Ignoranz der KPD gegenüber dem Antisemitismus“ (S. 20). In der Fußnote unterstellt Ullrich überdies, dass „die Authentizität der viel zitierten Quelle hinterfragt werden [müsse] – es war der sozialdemokratische Vorwärts, der sich bietende Möglichkeiten zur Diffamierung der KPD sicher nicht ausließ“ (S. 44, Fußnote 16). Seine Behauptung ist nachweislich falsch. Das Zitat stammt von dem Linkskommunisten Franz Pfemfert, der 1923 als Augenzeuge in seiner Zeitschrift Die Aktion von dem Agitationsversuch Ruth Fischers berichtete; der sozialdemokratische Vorwärts hat den Bericht lediglich kurze Zeit später wiedergegeben.[3] Die Unterstellung, die SPD könne das Zitat zur „Diffamierung der KPD“ erfunden haben, ist also schlicht falsch.

Auch beim ‚Antizionismus’ in der KPD der Weimarer Republik wendet Ullrich den Ansatz von Haury und Holz nicht konsequent an. Sonst hätte er bemerken müssen, dass die Berichte in der Roten Fahne, der Tageszeitung der KPD, über den Zionismus und die Situation in Palästina in den 1920er-Jahren durchaus die wesentlichen Motive des „antizionistischen Antisemitismus“, wie Holz ihn in Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft definiert, vorwegnahmen.[4] Stattdessen schreibt Ullrich wieder vom Antisemitismus als persönlicher Motivation und betont, dass der „Hauptmotor“ für den ‚Antizionismus’ in der KPD

nicht antijüdische Vorurteile gewesen sein müssen, sondern eben die universalistische Hoffnung auf die Lösung aller Probleme durch die Revolution, die schon immer die Feindschaft gegenüber dem Zionismus fundierte. (S. 21)

Wieso wurden dann in der Roten Fahne die Pogrome der arabischen Bevölkerung in Palästina 1929 gepriesen, obwohl sie sich auch gegen jüdische Gemeinden richteten, die bereits seit dem 19. Jahrhundert in Palästina bestanden? Wieso richtete sich der ‚Antizionismus’ der KPD auch gegen die Kommunistische Partei Palästina, die vor allem jüdische Mitglieder hatte, obwohl die sich ausdrücklich als antizionistisch verstand? Selbst bei den stalinistischen Verfolgungen von Jüdinnen und Juden bzw. Menschen aus jüdischen Familien in der Sowjetunion, in der ĈSR und der DDR Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre ist sich Ullrich nicht sicher. Zwar schreibt er zu Beginn, dass der Stalinismus sich „zu all seinem Schrecken auch antisemitisch [gebärdete]“ (S. 7). Dann ist mal vom „offene[n] Antisemitismus“ (S. 24), mal vom „strategischem“ die Rede (S. 17), und schließlich kommt er doch zu dem Ergebnis, dass die Verfolgungen unter Stalin „keineswegs rassistischen Motiven [entsprangen]“, sondern „der Logik abstrakter Risikoeinstufungen“ gefolgt seien (S. 25). Und wieso richteten sie sich dann gegen Menschen aus jüdischen Familien?

Als letztes Beispiel: der Antisemitismus und ‚Antizionismus’ in der Neuen Linken nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967. Auch hier spekuliert Ullrich wieder über die Motive und Motivationen:

Was waren die Gründe für die Annahme einer so klaren und eindeutigen antiisraelischen Politik der Neuen Linken? Das schon angesprochene rezeptive Klima in einer nun vorrangig antiimperialistischen und antikolonialen Linken ist sicherlich eine wesentliche Bedingung. Dies bot für die Besetzung der Westbank und die Militarisierung Israels ein fertiges Wahrnehmungsmuster. Ebenso ausschlaggebend mag die große Nähe zwischen der inzwischen imperialen Hauptmacht USA – die gerade den Vietnamkrieg führte! – und Israel sein. Dazu kommt noch ein Wandel des Zionismus. Die sozialistischen Elemente standen immer mehr neben national-religiösen Begründungen des Zionismus und mit der Rechtsentwicklung im Lande in den siebziger Jahren (Ende der Labour-Regierungszeit) wurde dies ganz offenbar. Zudem zeichnete sich auch im Westen eine immer größere Hinwendung der Konservativen zum Staat Israel ab, die somit oftmals der Linken ihren Platz streitig machten (Rubinstein 1982: 77). Doch auch identitäre Bedürfnisse der Westlinken konnten die Palästinenserinnen stillen. Als nicht-weiße, schwache Opfer, die zudem noch die Che-Guevara-Ho-Chi-Min-Guerilla-Romantik bedienen konnten, waren sie idealer Bezugspunkt für die Neue Linke. Dem stand zwar die noch nicht sehr alte Erinnerung an die Shoah entgegen, weshalb es auch keinen reibungslosen Übergang gab. Aber es konnte angeknüpft werden an das klassische linke Erbe der Distanz zum Judentum als Nation bzw. der Unterschätzung des Antisemitismus. (S. 36-37)

Der Anschlagsversuch der Tupamaros Westberlin auf die Jüdische Gemeinde am 9. November 1969 wird in Begrenzter Universalismus gar nicht erwähnt. Dabei sind in den letzten Jahren mehrere Einzelheiten dieses Anschlagsversuchs erforscht worden. So hat sich das damalige Mitglied der Tupamaros Albert Fichter in einem Interview dazu bekannt, 1969 die Bombe gelegt zu haben.[5] Der Anschlag misslang glücklicherweise, weil der Zünder versagte; andernfalls wären viele Menschen bei der Gedenkfeier an die nationalsozialistische Pogromnacht getötet und verletzt worden. Die Tupamaros Westberlin schrieben in einer veröffentlichten Erklärung:

„Am 31. Jahrestag der faschistischen Kristallnacht wurden in Westberlin mehrere jüdische Mahnmale mit ‚Schalom und Napalm’ und ‚El Fath’ beschmiert. Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert. Beide Aktionen sind nicht mehr als rechtsradikale Auswüchse zu diffamieren, sondern sie sind ein entscheidendes Bindeglied internationaler sozialistischer Solidarität.“[6]

Auch wenn viele andere außerparlamentarische Linke diesen Anschlagsversuch „scharf verurteilten“, wie Knud Andresen schreibt, so stand „dabei die Form, nicht die antizionistische Begründung im Vordergrund der Kritik“.[7] Was käme dabei heraus, wenn man Ullrichs Erklärungsansatz auf den Anschlagsversuch 1969 anwendet? Dass die Gründe für einen Bombenanschlag auf eine Jüdische Gemeinde bei der Gedenkfeier an das Pogrom im nationalsozialistischen Deutschland 1969 unter anderem in dem „Wandel des Zionismus“, in einer „immer größere[n] Hinwendung der Konservativen zum Staat Israel“, in „der Distanz zum Judentum“ und in der „Unterschätzung des Antisemitismus“ zu suchen seien. Aber wenn der ‚Antizionismus’ der Tupamaros Westberlin nicht einmal zwischen der Jüdischen Gemeinde in Berlin und dem Staat Israel unterschied, dann war mehr im Spiel als eine „Distanz zum Judentum“ und „Unterschätzung des Antisemitismus“. Die Identifikation von Jüdischer Gemeinde und Israel war selbst antisemitisch. Da Ullrich dies nicht wahrhaben will, ist seine Broschüre Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt als kritische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in der Linken unbrauchbar.[8] Sie kann lediglich als Dokument dienen, das zeigt, wie eine bestimmte Linke sich scheinbar mit dem Problem befasst, das sie nicht mehr gänzlich leugnen kann.

Olaf Kistenmacher

Peter Ullrich: Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Berlin: AphorismA 2007, 50 S., € 5,-.

Peter Ullrich: Nationaler Kommunismus nach Auschwitz – die DDR und die Jüdinnen und Juden. Ein Bilanzierungsversuch, unter: http://www.linksnet.de/drucksicht.php?id=3042.

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Anmerkung der Redaktion:
Dieser Artikel erscheint demnächst auf den Seiten der
roten ruhr-uni .


[1] Thomas Haury: Antisemitismus von links. Nationalismus, kommunistische Ideologie und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg: Hamburger Edition 2002. Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg: Hamburger Edition 2001.

[2] Vgl. Haury: Antisemitismus von links, S. 283.

[3] Olaf Kistenmacher: Von „Judas“ zum „Judenkapital“. Antisemitische Denkformen in der KPD der Weimarer Republik, 1918-1933, in: Matthias Brosch/Michael Elm/Norman Geißler/Brigitta Elisa Simbürger/Oliver von Wrochem (Hg.): Linker Antisemitismus in Deutschland. Vom Idealismus zur Anti­globalisierungsbewegung, Berlin: Metropol 2007, S. 69.

[4] Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus, S. 82-91; Olaf Kistenmacher: Was ist neu am ‚neuen Antisemitismus’? ‚Antizionismus’ in der KPD der Weimarer Republik, unter: www.gradnet.de/events/webcontributions/kistenmacher.pdf (Januar 2008).

[5] Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg: Hamburger Edition 2005, S. 248-251.

[6] Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, S. 48.

[7] Knud Andresen: Antijüdische Aktionen der Neuen Linken 1969/70 und jüdische Reaktionen, in: Rainer Hering/Rainer Nicolaysen (Hg.): Lebendige Sozialgeschichte, Opladen: Westdeutscher Verlag 2003, S. 478.

[8] Die Broschüre gibt leider wenig Anlass zu der Hoffnung, dass Ullrichs Dissertation Die Linke, Israel und Palästina. Diskursive Gelegenheitsstrukturen und die linken Nahostdiskurse in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, die noch erscheinen muss, den Ansprüchen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus von links genügt.

Olaf Kistenmacher: Peter Ullrich: Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Berlin: AphorismA 2007

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