Michael Kreutz: Wie man proisraelisch wird

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M. ist das, was man wohl einen gemässigten syrischen Muslim nennen würde. Toleranz ist ihm oberstes Gebot, ein christliches Gotteshaus verdient für ihn ebensoviel Respekt wie eine Moschee und während er selbst im Ramadan fastete, bemühte er sich zu jeder Gelegenheit, dem Besucher aus Deutschland Wasser anzubieten. Noch nicht einmal in den Moscheen nahm irgendjemand Anstoss daran. Nicht ohne Stolz zeigt mir M. sein Aleppiner Heimatviertel Suryan Adime, das zur Hälfte von Christen bevölkert wird und ein gutes Beispiel dafür abgibt, wie konfliktfrei das Zusammenleben der Religionen sein kann. Auch mit Juden, von denen es noch einige in Aleppo geben soll, hat er keine Probleme. Die Anhänger von al-Qaida hält er für verkrachte Existenzen.

Doch wenn es um Israel geht, redet sich selbst M., der von seiner Art her ein wirklich sympathischer Bursche ist und dem ich wegen seiner Hilfsbereitschaft viel zu verdanken habe, in Rage. Wer sich jemals die Buchhandlungen in einem beliebigen arabischen Land angeschaut hat, bekommt sehr schnell einen Eindruck nicht nur vom grassierenden Antisemitismus dieser Länder, sondern auch davon, dass es eine regelrechte Obsession für Juden und Israel gibt. Ein Bildband über die Juden gibt Auskunft über die verschiedenen Nasenformen von Sepharden und Aschkenasen; ein anderer Band befasst sich mit „Juden, Judentum und Zionismus“, in einer Buchaussstellung in der Nationalbibliothek finden sich Titel über den Zusammenhang von Freimaurerei und Judentum oder über die „Länder der Achse des Terrorismus: Amerika,Grossbritannien, Israel“, und dergleichen mehr.

Israel, da ist M. sich sicher, werde nämlich über kurz oder lang von der Landkarte verschwinden. Er, der noch nie in Israel war, aber Gedichte über ein „Palästina vom Fluss bis zum Meer“ verfasst, erklärt mir, dass Jerusalem in seiner Geschichte schon häufig besetzt gewesen sei und dieser Zustand noch nie sehr lange angehalten habe. Die arabischen Massen, die hungern und dürsten, werden sich erheben, und den jüdischen Staat vernichten. Dann werden Wohlstand und Frieden auch in der Arabsichen Welt Einzug halten. Davon ist er fest überzeugt.

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Gasse in Jdayde, Aleppo

Ich frage ihn, wieso er glaube, dass das Verschwinden Israels das Dasein der Araber in Syrien oder Jordanien verbessern könne. M. weicht aus und entgegnet, dass den Arabern bitteres Unrecht geschehe und Israel daher keinen Bestand haben könne. Zudem seien die Israelis Feiglinge, nicht nur, weil sie auf Unschuldige schössen, sondern mehr noch, weil sie irdische Dinge zu sehr liebten, um im Kampf gegen die Hisbollah und die arabischen Massen bestehen zu können. Denn die Araber, so fügte er hinzu, seien bereit, für die Sache Palästinas ihr Leben zu opfern, die Israelis dagegen liebten ihr Leben zu sehr.

Du musst oft in Israel gewesen sein, wenn du so gut bescheid weisst, wie die Israelis denken und wie sie leben, sage ich. Natürlich ist mir klar, dass M. Als syrischer Staatsbürger Israel niemals besucht haben kann. Doch meine Ironie entgeht ihm. Dort gewesen zu sein brauche er gar nicht, versichert er mir. Was man über Israel wissen müsse, lasse sich leicht über den Sender al-Jazira erfahren. Man könne doch sehen, dass Israel immer schwächer werde und seinem Ende zugehe. Er selber werde nicht zu den Waffen greifen, aber die Geschichte sei nun einmal auf Seiten der Araber.

Ich frage ihn, wie das mit seiner vor Tagen geäusserten Ansicht zusammenpasse, dass Syrien diplomatische Beziehungen zum jüdischen Staaat aufnehmen solle. Doch M. findet, dass darin überhaupt kein Widerspruch liege, denn diplomatische Beziehungen zur Arabischen Welt lägen vor allem im Sinne Israels, dessen Untergang so um ein paar Jahre verzögert würde. Früher oder später jedoch werde Israel ohnehin verschwinden – diplomatische Beziehungen hin oder her. Von wievielen seiner Landsleute und überhaupt der Araber glaube er, so frage ich ihn, dass sie seine Meinung teilten. Sei versichert, entgegnet er mir, dass die Mehrheit der Menschen in Syrien und in jedem anderen arabischen Land so dächten wie er.

Wenn man spät abends auf den Dachterrassen rund um den Hatab-Platz im Christenviertel Jdayde sitzt und Wasserpfeife raucht, kann man die Schönheiten Aleppos bewundern, die im hauchengen Top und in Designerjeans mit Strasssteinen am Po in grösseren Gruppen das Leben bis zum frühen Morgen geniessen. Christen und Muslime sitzen hier gemeinsam an einem Tisch, es wird gelacht und gut gegessen. Aleppo mit seiner Altstadt, der erleuchteten Zitadelle und seinen schönen Frauen ist eine Augenweide und einen Besuch wert, wenn man die Schattenseiten der Gesellschaft ausblenden kann.

Abbildung (c) 2010 by Michael Kreutz

http://www.transatlantic-forum.org/index.php/archives/2010/10512/wie-man-proisraelisch-wird/

Michael Kreutz: Wie man proisraelisch wird

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