Elisabeth Kuebler und Matthias Falter: Durban II: Antisemitismus in der globalen kosmopolitischen Demokratie

Deutsche Übersetzung des englischen Originalvortrages „Durban II: Antisemitism in cosmopolitan global democracy" (angefertigt durch die AutorInnen)
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Konferenz „Global Antisemitism: A Crisis of Modernity“ der Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism und der International Association for the Study of Antisemitism, Universität Yale, New Haven, Connecticut, USA, 23.-25. August 2010

Vortragende: Elisabeth Kübler, Universität Wien / London School of Economcis
(elisabeth.kuebler@univie.ac.at )
Mitautor: Matthias Falter, Universität Wien
(matthias.falter@univie.ac.at )

Deutsche Übersetzung des englischen Originalvortrages „Durban II: Antisemitism in cosmopolitan global democracy“ (angefertigt durch die AutorInnen)

Durban II: Antisemitismus in der globalen kosmopolitischen Demokratie

Ziel dieses Vortrages ist die Analyse jenes Antisemitismus auf der 2009 in Genf abgehaltenen UN Durban Review Conference, der vielfach gegen Israel als Vorwand für den weniger geduldeten Angriff auf Juden/Jüdinnen gerichtet ist. Unsere Ausführungen gliedern sich folgendermaßen: nach einer kurzen Beschreibung der Ereignisse auf der Durban Review Conference (im Weiteren: Durban II), die in Genf im April 2009 als Folgeveranstaltung der Durban World Conference against Racism 2001 stattfand, werden wir das zentrale antisemitische Moment von Durban II, nämlich das Singling-out Israels, hervorheben. Der zweite Teil des Vortrages beleuchtet die Transformation des Antisemitismus in der von uns als kosmopolitische globale Demokratie bezeichneten Umgebung. Wir beenden unseren Vortrag mit einer normativen Schlussfolgerung, indem wir argumentieren, dass die Idee der kosmopolitischen globalen Demokratie wenig zur Beseitigung des Antisemitismus von Veranstaltungen wie Durban II oder möglicherweise von anderen UN-Settings beitragen wird.

Eingangs erlauben wir uns zwei kurze Zitate vorzubringen – das erste stammt von der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Navenethem Pillay, das zweite von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon. Beide Aussagen wurden am 20. April 2009 auf der Abschlussveranstaltung von Durban II, das heißt nach Mahmud Ahmadinejads skandalöser Rede, getätigt. Pillay meinte: „The best riposte for this type of event is to reply and correct, not to withdraw and boycott the Conference.“ (deutsch: Die beste Entgegnung auf einer derartigen Veranstaltung ist zu widersprechen und zu korrigieren, nicht sich zurückzuziehen und die Konferenz zu boykottieren.“) [1] Ban Ki-Moon ergänzte: „That is what the United Nations is all about – people coming together from all walks of life to engage in dialogue and find common ground so that all members of our global community can live in peace and dignity.” (deutsch: Das macht die Vereinten Nationen aus – Leute aus unterschiedlichsten Lebenslagen beteiligen sich am Dialog und finden eine gemeinsame Grundlage, so dass all Mitglieder unserer globalen Gemeinschaft in Frieden und Würde leben können.) [2] Im Vorfeld der Konferenz gab es massive Diskussionen über Antisemitismus und Israelfeindschaft im Rahmen von Durban II. Kanada, die Vereinigten Staaten, Israel, Australien, Neuseeland, Deutschland, Italien, die Niederlande und Polen hatten ihre Teilnahme an Durban II aufgrund der im Vorbereitungsprozess offenkundig gewordenen antiisraelischen Haltungen abgesagt. Andere wie das Vereinigte Königreich und 22 weitere europäische Staaten boykottierten Ahmadinejads Rede. Die Tschechische Republik, damals Inhaberin der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft, zog ihre Delegation unmittelbar nach dieser antisemitischen Tirade zurück. Auch Pillay und Ban Ki-Moon verurteilten Ahmadinejads Worte aufs Schärfste und erinnerten an die UN-Resolution zum Verbot der Holocaustleugnung. Gleichzeitig jedoch priesen sie die Ideen hinter der Konferenz und das Abschlussdokument als Reaktion gegen Ahmadinejad.

Bewusst haben wir diese beiden Statements gewählt und nicht, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, einen Ausschnitt aus der übersetzten Rede Ahmadinejads. Die Spannung zwischen der Zurückweisung der antisemitischen Ausfälle des iranischen Präsidenten und der gleichzeitigen Distanzierung von jenen Delegationen, die ihre Teilnahme absagten oder den Saal während Ahmadinejads Rede verließen, frappierte uns. Dialog wird Prinzipien vorangestellt, egal welcher Preis am Ende zu zahlen ist. Lassen Sie uns an dieser Stelle die Ausgangspunkte für unsere folgenden Überlegungen verdeutlichen. Der Schwerpunkt unserer Analyse liegt auf dem Kontext, in dem Durban II stattfand, und weniger auf den zentralen antisemitischen AgitatorInnen. Selbstverständlich teilen wir die moralische Entrüstung über Ahmadinejads Hassrede und verwandte, wenn auch zurückhaltender anmutende Äußerungen. Als PolitikwissenschafterInnen versuchen wir jedoch die spezifischen ideologischen Grundierungen, auf denen Ereignisse wie Durban II entstehen konnten, zu verstehen. Wir argumentieren, dass normative Schlussfolgerungen zu Durban II und generell in Bezug auf Antisemitismus in der kosmopolitischen globalen Demokratie nur auf Basis fundierter theoretischer Erklärungen und systematischer Untersuchung der entsprechenden Dokumente gezogen werden können. Darin widerspiegelt sich auch unsere wachsende Unzufriedenheit mit einem beträchtlichen Teil der existierenden Literatur zu den Durban-Konferenzen, Israel und den Vereinten Nationen sowie Antisemitismus bei den Vereinten Nationen. Zahlreiche Veröffentlichungen sind entweder großteils deskriptiv oder von hohem moralischen Engagement geprägt und schaffen es somit nicht Einsichten in das Wie und Warum des Fortbestandes und Wandlungsfähigkeit von Antisemitismus zu geben. Unsere forschungsleitende Frage lautet daher: „Was sind die Charakteristika von Antisemitismus in der kosmopolitischen globalen Demokratie; zu welchem Grad treffen diese auf das Fallbeispiel Durban II zu?“. Im gegenständlichen Vortrag werden wir uns fast ausschließlich dem ersten Teil der Forschungsfrage zuwenden, während die gründliche Untersuchung der Durban-II-Dokumente (höchstwahrscheinlich mit den Mitteln der qualitativen Inhaltsanalyse) noch vor uns liegt.

Wenn wir von Antisemitismus auf der zweiten Durban-Konferenz sprechen, so ist es erforderlich festzulegen, was wir als antisemitisches Kernmoment dieser Veranstaltung betrachten. Die Sichtung aller relevanten Dokumente macht deutlich, dass das anhaltende Singling-out von Israel als antisemitisch zu kennzeichnen ist. Israel definiert sich nicht nur selbst als jüdischen (und demokratischen) Staat, sondern wird auch von außen als solcher wahrgenommen – nicht zuletzt von seinen größten FeindInnen. Gewiss sollen Attacken gegen in Genf anwesende jüdische Individuen, seien sie Israelis/Israelinnen oder nicht, nicht heruntergespielt werden. Es kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden, dass der übergreifende Topos des Durban-II-Antisemitismus der Versuch war Israel von der internationalen Gemeinschaft auszuschließen. Die historische Analogie mit Prozessen der Marginalisierung, Exklusion, Deportation und physischen Vernichtung der Juden/Jüdinnen aus verschiedenen Formen religiös, national oder rassistisch definierten Gemeinschaften ist augenfällig. In den Augen seiner FeindInnen bei Durban II und anderswo würde Israel an einer rückständigen Form nationalistischen Partikularismus festhalten und den Status ewiges Holocaustopfer zu sein schamlos beanspruchen. Am Rande sei bemerkt, dass sich unsere Analyse nicht mit israelischer Regierungspolitik oder militärischen Handlungen beschäftigt. Wir vermessen nicht die Lage von Siedlungen oder rechnen getötete israelische und palästinensische ZivilistInnen gegeneinander auf. In erster Linie konzentrieren wir uns auf jene Umstände, in denen Israel in die Rolle des Juden unter den Nationen gedrängt wird. Diese wichtige Unterscheidung lässt sich daran ablesen, dass wir uns nicht mit endlosen Debatten beschäftigen, ob der Zionismus rassistische Elemente haben könnte. Wir betrachten die vorgeblich antirassistische Brandmarkung Israels insofern als antisemitisch, weil keine andere Ausprägung des Nationalismus oder der allgemeine Zusammenhang zwischen ethnisch definiertem Nationalismus und Rassismus jemals in dieser Form bei den Vereinten Nationen debattiert wurde.

Das Singling-out von Israel (und theoretisch jeden anderen Landes) kann in unterschiedlichen Settings internationaler Politik auftreten. Was sind also die Besonderheiten von Durban II? Um unserem Forschungsziel einer stärker analytischen Darstellung des Antisemitismus bei Durban II gerecht zu werden, muss an dieser Stelle das Konzept kosmopolitischer globaler Demokratie kurz skizziert werden. Nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zuge der sogenannten Globalisierung entstand ein beachtliches Korpus an wissenschaftlichen Publikationen zu kosmopolitischer globaler Demokratie. Die wichtigsten Autor(Innen), auf die wir uns beziehen, sind Archibugi und Held mit ihrem 1995 herausgegebenen Pionierband Cosmopolitan Democracy: An Agenda for A New World Order. [3] Archibugi/Held entwerfen ein politisches Programm, das die Demokratisierung internationaler Politik nicht nur in den Bereich demokratischer Entscheidungsfindung in den zwischenstaatlichen Beziehungen und in internationalen Organisationen, sondern auch die Beteiligung aller Menschen (beispielsweise in einem gewählten Weltparlament) einfordert. Bemerkenswerterweise setzt sich Archibugi hauptsächlich mit Fragen prozeduraler Demokratie auseinander, während er wenig zu substantiellen Aspekten wie konkreten Normen schreibt. Falk erweitert diese Vision mit einer Schwerpunktsetzung auf zivilgesellschaftlicher Teilnahme [4]. In seiner 2008 publizierten Folgemonografie schreibt Archibugi der UN besondere Bedeutung zu und nennt neben dem Element der Demokratisierung auch jenes der internationalen Rechtsprechung [5]. Die Aufwertung des Internationalen Strafgerichtshofes durch die Einführung der Möglichkeit individueller Klage würde die Durchsetzung kosmopolitischer Rechte, das heißt solcher Rechte, die jedem Menschen zustehen, garantieren. Archibugis Konzept erfuhr maßgebliche Gegenrede. Hawthorn argumentiert etwa, dass kosmopolitische globale Demokratie im Fazit ein elitäres Unterfangen bei gleichzeitig geringer praktischer Umsetzbarkeit sei [6]. Allgemeiner hinterfragen Dahl [7] und Urbinati [8], inwiefern internationale Organisationen und Beziehungen überhaupt demokratisierbar seien. Das bringt uns zum zentralen Einwand bezüglich der materiellen Dimension von Demokratie im kosmopolitischen globalen Raum. Benhabib betont den Gegensatz zwischen „liberalism and democracy, that is between a promise to uphold human rights (however defined) and the will of democratic majorities.” (deutsch: Liberalismus und Demokratie, das heißt zwischen einem Versprechen Menschenrechte (wie auch immer definiert) hochzuhalten und dem Willen demokratischer Mehrheiten) [9] Neben Archibugi, Held und Falk schlugen auch Habermas und Mouffe einander beinahe ausschließende Konzepte kosmopolitischer globaler Demokratie vor. Während Habermas [10] klar die westliche (manchmal die europäische) liberale Demokratie als einziges gangbares Modell, auf dem weltweit aufgebaut werden kann, bevorzugt, stellt Mouffe [11] die angebliche westliche Hegemonie bei den Vereinten Nationen in Frage. Sie ruft zur Bildung von gegenhegemonialen Strategien auf, was wiederum auf der politischer Kontroverse zugeschriebenen Bedeutung fußt. Habermas geht es um die rationale Überwindung politischer Gegensätze, während Mouffe diese als Kern demokratischer Politik betrachtet und für die Schaffung oppositioneller politischer Projekte, mit denen sich BürgerInnen jeweils identifizieren können, eintritt. [12]

Aufbauend auf diese kurze Diskussion kosmopolitischer globaler Demokratie wollen wir nun die Hauptcharakteristika des Antisemitismus in den genannten Settings skizzieren. Wiewohl wir uns des Risikos allzu grober Verallgemeinerungen bewusst sind, kann festgehalten werden, dass westlicher und besonders europäischer Post-Holocaust-Antisemitismus dank eines offiziösen Mainstreamkonsenses gegen offenen Antisemitismus marginalisiert und geächtet wird. Die Kehrseite davon ist, dass Antisemitismus in latenteren Formen zum Ausdruck kommt. Außerdem tendieren Nichtjuden/Nichtjüdinnen zur pathetischen Identifizierung mit jüdischen Opfern, während gleichzeitig jüdische Ansprüche auf Nationsein und Nationalstaatlichkeit beiseitegeschoben werden. Im Gegensatz dazu kommt Antisemitismus in jener als kosmopolitische globale Demokratie bezeichneten Umgebung offen zum Vorschein. Hier sind der unterschiedslose Zugang für und der Einschluss von potentiell antisemitischen AgitatorInnen ebenso zu nennen wie die globale Bühne, die letzteren geboten wird. Aller Kritik zum Trotz bietet die UN weiterhin moralische Überlegenheit. Der Mangel an normativen Konsens, ob nun gesetzlich oder außer-rechtlich begründet, macht aus Antisemitismus und dem Holocaust Themen, die wie jeder andere weltweit relevante Gegenstand verhandelt und konkurrierenden Deutungen ausgesetzt werden können. Wir sind weit davon entfernt absoluten Wahrheiten das Wort zu reden, möchten jedoch auf die Risiken hinweisen, mit denen das Bestreiten von Antisemitismus und des Holocaust verbunden sind. Weitere Bestandteile des Antisemitismus in der globalen kosmopolitischen Demokratie bilden die Kaperung jüdischer Opfererfahung (wie von Levy/Sznaider [13] detailliert aufzeigt wurde) sowie Tendenzen, die als Trittbrettfahren auf Elementen europäischer beziehungsweise partiell westlicher Post-Holocaust-Normen (wie beispielsweise das Verbot der Holocaustleugnung, NS-Verbotsgesetzen und Anti-Diskriminerungsvorkehrungen) zusammengefasst werden können. Das Bemühen der Organization of the Islamic Conference um die Anwendung ähnlicher gesetzlicher Schutzbestimmungen auf den Islam wie die vorhandenen für das, was AntisemitInnen als Holocaustreligion bezeichnen würden, ist diesbezüglich äußerst bezeichnend. [14] Vor diesem Hintergrund wird reales oder vorgehaltenes jüdisches Bestehen auf nationalen Partikularismus von JudenfeindInnen als rückwärtsgewandt und störend anti-kosmopolitisch abgestempelt.

Außerdem möchten wir hinterfragen, ob modifizierte Formen kosmopolitischer globaler Demokratie das Potential haben zur Überwindung des Antisemitismus beizutragen. Dies würde die Annahme eines stärker rechtlich orientierten Kosmopolitismus im Sinne Habermas‘ bedeuten, da dieser einen gewissen Level an Demokratie in den Mitgliedstaaten sowie eine gut entwickelte nationalstaatliche Öffentlichkeit voraussetzt. Gleichermaßen würde die oben angedeutete Rolle einer globalen Justiz in diesem Kontext an Bedeutung gewinnen. Es kann jedoch hinzugefügt werden, dass ein normativer Konsensus bezüglich der unzweideutigen Zurückweisung von Antisemitismus nicht nur gegen jüdische Individuen sondern auch gegen Israel als jüdischen Staat jenseits von Gesetzgebung und Rechtsprechung Platz greifen muss. Diese Vorschläge erinnern an die Entwicklung des europäischen Integrationsprojektes nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier sind nicht nur die Europäische Menschenrechtskonvention und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu nennen, sondern auch der aus der Zeit um die Jahrtausendwende datierende Regierungskonsens im Bereich der Antisemitismusbekämpfung und Holocausterinnerung. Es ist bezeichnend, dass die Auseinandersetzung mit der diktatorischen und besonders mit der faschistischen und/oder kollaborationistischen Weltkriegsvergangenheit vielfach als weiches EU-Beitrittskriterium gesehen wird (vgl. die entsprechenden Debatten in Rumänien und Kroatien). Aber vorschneller Enthusiasmus betreffend die Übertragbarkeit des europäischen Models auf die Ebene kosmopolitischer globaler Demokratie ist zu bremsen. Ein rechtlich bindender oder zumindest verpflichtender Konsens der Ablehnung von Antisemitismus und Holocaustleugnung ist nicht in Sicht. In der Tat hat die UN-Generalversammlung Resolutionen zu Holocausterinnerung und Holocaustleugnung beschlossen, wobei deren globale Reichweite und Einfluss auf Realpolitik – gelinde ausgedrückt – äußerst gering zu sein scheint. Ein etwas anders gelagerter Ansatz fordert normative Eingangshürden für die Teilnahme an Ereignissen wie Durban II. Diese sind jedoch vor dem Hintergrund der institutionellen Architektur der UN als allumfassende Organisation unvorstellbar und würden außerdem die dem Antisemitismus zugrunde liegenden politisch-ökonomischen und sozialpsychologischen Ursachen ausblenden. Antisemitische Delegationen die Tür zu weisen (wie es gegenüber einzelnen Teilnehmenden bei Durban II praktiziert wurde) ist keine Präventionsmaßnahme gegen Antisemitismus. Unsere Zweifel ziehen auch aus jener europäischen Realität Nahrung, in denen der Regierungs- und Elitenkonsensus zu Antisemitismus und Holocaustleugnung nicht unbedingt in breitere Bevölkerungskreise durchgedrungen ist. Auch die Relektüre des kantischen Prinzips der Gastfreundschaft, welches Respekt vor Andersheit fordert, erscheint uns im vorliegenden Fall problematisch. Bedeutet dieses Prinzip die Akzeptanz jüdischen nationalen Partikularismus (sowie jeglichen anderen nationalen Partikularismus) oder heißt es womöglich, dass die kruden Deutungen zum Holocaust durch Ahmadinejad und Seinesgleichen schlicht zu akzeptieren wären?

Abschließend sei nochmals unsere Forschungsfrage erwähnt: „Was sind die Charakteristika des Antisemitismus in der kosmopolitischen globalen Demokratie; zu welchem Grad treffen diese auf das Fallbeispiel Durban II zu?“. Vorliegender Beitrag befasste sich mit dem ersten Teil der Frage, indem wir die zweite Durban-Konferenz als Teil kosmopolitischer globaler Demokratie verstehen. Durch die kritische Lektüre der Vorschläge von Archibugi und MitautorInnen konnten wir Kernbestandteile des Antisemitismus in der kosmopolitischen globalen Demokratie herausfiltern. Diese sind konkret der unterschiedslose Zugang für und der Einschluss von potentiell antisemitischen AgitatorInnen sowie die globale Bühne, die letzteren geboten wird, die durch die UN verliehene moralische Überlegenheit, der Mangel an normativem Konsens, der Antisemitismus und den Holocaust zum Verhandlungsgegenstand degradiert, die Kaperung jüdischer Opfererfahrung, das Trittbrettfahren auf Elementen europäischer beziehungsweise partiell westlicher Post-Holocaust-Normen (wie das Verbot der Holocaustleugnung, NS-Verbotsgesetzen und Anti-Diskriminierungsvorkehrungen) sowie schließlich die Rahmung jüdischen nationalen Partikularismus als Paradebeispiel des Anti-Kosmopolitischen. Jede Kritik dieser Liste an Merkmalen ist selbstverständlich zu begrüßen. Die vor uns liegende Aufgabe ist nunmehr die Anwendung dieser (möglicherweise zu überarbeitenden) Kategorien auf die systematische Analyse der Durban-II-Dokumente mit dem Ziel der genaueren Kenntnis des antisemitischen Gehaltes der Ereignisse von Durban II. Ausdrücklich möchte wir festhalten, dass kosmopolitische globale Demokratie nicht anfälliger für Antisemitismus ist als andere gesellschaftliche und politisch-ökonomische Settings der Moderne. Wie aber oben dargelegt wurde, erfährt Antisemitismus im Rahmen kosmopolitischer globale Demokratie spezifische Transformationen. Auf der normativen Ebene besteht weiterhin Skepsis, ob die Bedingungen kosmopolitischer globaler Demokratie so angepasst werden können, damit sie Teil der Lösung (das heißt des Kampfes gegen Antisemitismus) werden und nicht Teil des Problems bleiben.

Kurzlebenslauf Elisabeth Kübler:

Studium der Politikwissenschaften und Judaistik an den Universitäten Wien und Tel Aviv; an der Universität Wien abgeschlossenes Doktorat zu europäischer Holocausterinnerungspolitik; derzeit MSc in European Studies an der London School of Economics and Political Science; Lehrbeauftrage am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien sowie Fachhochschulprofessorin an der Lauder Business School Wien.

Kontaktmail: elisabeth.kuebler@univie.ac.at

Kurzlebenslauf Matthias Falter:

Studium der Politikwissenschaften an der Universität Wien; derzeit Doktorat zu den Dimensionen des Politischen in der fiktionalen Literatur; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Juden und Antisemitismus im österreichischen Parlament 1861-1938“; Lehrbeauftragter für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Kontaktmail: matthias.falter@univie.ac.at


[1] Pillay, N. 2009: Durban II Statement, 20. April 2009, URL: http://www.un.org/durbanreview2009/coverage/press/pr_20-04-09_iran_pillay.shtml (19.08.2010).

[2] Ki-Moon, B. 2009: Durban II Press Conference, 20. April 2009, URL: http://www.un.org/durbanreview2009/coverage/pdf/transcript%20SG%20HCHR%20Durban%20Press%20Conference.pdf (19.08.2010).

[3] Archibugi, D. / Held, D. (Hg.): Cosmopolitan Democracy: An Agenda for a New World Order, Cambridge.

[4] Falk, R. 1995: The World Order between Inter-State Law and the Law of Humanity: The Role of Civil Society Institutions, in: Archibugi, D. / Held, D. (Hg.): Cosmopolitan Democracy: An Agenda for a New World Order, Cambridge, 163-179.

[5] Archibugi, D. 2008: The Global Commonwealth of Citizens: Towards Cosmopolitan Democracy, Princeton / Oxford.

[6] Hawthorn, G. 2003: Running the World through Windows, in: Archibugi, D. (Hg.): Debating Cosmopolitics, London / New York, 16-26.

[7] Dahl, R. 2001: Is Post-national Democracy Possible?, in: Fabbrini, S. (Hg.): Nation, Federalism and Democracy, Bologna, 33-45.

[8] Urbinati, N. 2003: Can Cosmopolitical Democracy be Democratic?, in: Archibugi, D. (Hg.): Debating Cosmopolitics, London / New York, 67-85.

[9] Benhabib, S. 2006: The Philosophical Foundations of Cosmopolitan Norms, in: Benhabib, S. (Hg.): Another Cosmopolitanism, Oxford, 13-44, hier 35.

[10] Habermas, J. 2006: The Divided West, Cambridge / Malden.

[11] Mouffe, C. 2005: On the Political, London / New York.

[12] Vgl. Tambakaki, P. 2009: Cosmopolitanism or agonism? Alternative visions of world order, in: Critical Review of International Social and Political Philosophy, Jg. 12, Nr. 1, 101-116, hier 110.

[13] Levy, D. / Sznaider, N. 2005: The Holocaust and Memory in the Global Age, Philadelphia.

[14] Organization of the Islamic Conference (OIC) 2008: Contribution to the Preparatory Committee, 2nd substantive session, URL: http://www.un.org/durbanreview2009/pdf/Contribution_by_the_OIC.pdf (19.08.2010).

Elisabeth Kuebler und Matthias Falter: Durban II: Antisemitismus in der globalen kosmopolitischen Demokratie

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