Drei Buchrezensionen zu Clemens Heni’s “Schadenfreude”

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SchadenfreudeEine Rezension von Karl Pfeifer (11. Oktober 2011)

Nach dem 9. September 2001 begann die Tendenz, Kritik am politischen Islam in Europa zu unterbinden. Muslimischen Vereinigungen gelang es mit staatlicher und medialer Unterstützung mit der Schaffung des Kampfbegriffes „Islamophobie” davon abzulenken, dass Antisemitismus nicht nur in den arabischen und muslimischen Gesellschaften, sondern auch unter den Millionen europäischer Muslime mit „Migrationshintergrund” leider weit verbreitet ist.

Im Vorwort zum Sammelband Feindbild Islamkritik, Wenn die Grenzen zur Verzerrung und Diffamierung überschritten werden beklagt der Herausgeber Hartmut Krauss die hysterischen Reaktionen der „Islambeschützer“, in deren Antworten es im Grunde immer um ein und dasselbe geht, „nämlich um die pauschale Diffamierung von Islamkritik als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“, „islamophob” etc. bei gleichzeitiger Ausblendung, Verkennung und Dementierung der enormen reaktionären Herrschafts– und Gewaltpotenziale, die dem orthodoxen Islam untrennbar eingeschrieben sind.”

Leider liefert gerade die Aufnahme eines Autors wie Conny Axel Meyer den Islamisten eine Steilvorlage, um das sonst interessante Buch abzulehnen.

Meyers Bürgerbewegung Pax Europa, die gegen Muslime, Moscheen etc agiert, ist ein neuer Zug im (extrem) rechten Spektrum, der sich pro-israelisch gibt, aber verleugnet, dass die europäische Geschichte eine des Antisemitismus ist.

Hingegen setzt sich Clemens Heni in seinem, im August 2011 erschienen Buch Schadenfreude mit den beiden Themen Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11 gründlich auseinander.

Heni betont die Notwendigkeit der Kritik am Rechtsextremismus und gewissen konservativen bis reaktionären Kreisen. „Der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf einer kleinen Insel westlich der norwegischen Hauptstadt über 70 Menschen mit einer Bombe sowie Exekutionen per Schussfeuerwaffe ermordete, hat gezielt den sozialdemokratischen Regierungssitz und ein sozialistisches/linkes Jugendlager attackiert. Er hat ein Manifest mit dem Titel „2083″ publiziert, worin er seinen abgrundtiefen Hass auf „kulturellen Marxismus” (schon die Wortprägung trägt den Geruch des Nationalsozialismus sowie der Konservativen Revolution der 1920er Jahre und später), die „Frankfurter Schule” (kritische Theorie) und die „Islamisierung” Europas zum Ausdruck bringt. Der Massenmord von Breivik ist eines der größten Verbrechen des europäischen Rechtsextremismus nach 1945. Auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die sich als „politisch inkorrekt” stilisieren, von der „Islamisierung” Europas (oder dem Ende Deutschlands etc.) daher reden und stolz auf das „Abendland” sind. Diese Leute kritisieren den Islamismus nicht wegen dessen autoritären Charakter und Antisemitismus, vielmehr z.B. aufgrund einer paneuropäischen oder ‚abendländischen’ Ideologie, die aus rassistischen (oder/und theologischen) Motiven keine (oder nur wenige) Muslime und andere ‚Fremden’ in Europa dulden möchte. Gleichwohl muss die Verhältnismäßigkeit erkannt werden: rechte, sich ‚abendländisch’ gebende Extremisten sind eine Gefahr, die aber nicht annähernd zu vergleichen ist mit der Bedrohung durch den (nach Atomwaffen strebenden) Iran und seine Verbündeten (Hamas, Hizballah, das derzeitige syrische Regime), den weltweit operierenden Jihad mit tausenden (selbst)-mörderischen Anschlägen allein seit dem 11. September 2011 oder der weltweit produzierten und propagierten antiisraelischen Ideologie.”

Breiten Raum widmet Clemens Heni in seinem Buch Wolfgang Benz, der bis zum Frühjahr 2011 Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität (ZfA) war

Bereits vor Erscheinen dieses Buches machte er mit einem Artikel auf dessen Beziehung zu seinem Doktorvater Karl Bosl aufmerksam. Benz bestätigte seinem Lehrer kein Nazi gewesen zu sein. Heni wies nach, dass Bosl bereits 1933 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 1884319) und der SA sowie wenig später des NS-Lehrerbundes und anderer NS-Organisationen gewesen ist. Am 12. Mai 1964 sprach Karl Bosl in Nürnberg im Rahmen des Sudetendeutschen Tages beim revanchistischen Witikobund über „Nürnberg-Böhmen-Prag” und beschuldigte die Tschechoslowakei einer „radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems’ nach hitlerschem Modell”.
In der Ankündigung einer von dem ZfA veranstalteten Konferenz unter dem Titel Feindbild Muslim – Feindbild Jude, heißt es:

„Gleichzeitig wurden Muslime selbst in Debatten um Moscheebauten, Zwangsehen oder das Kopftuch Ziel pauschaler Anfeindungen, Verschwörungsphantasien über eine ‚Islamisierung Europas’ wurden dabei ebenso laut wie der Vorwurf, der Islam gebiete seinen Anhängern die Täuschung der Nichtmuslime. Die Denkmuster sind aus der Geschichte des Antisemitismus bekannt und werfen die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten Judenfeinde und Islamfeinde teilen.”

Heni stellt folgende Fragen

  • Sollten „Zwangsehen” nicht „pauschalen Anfeindungen” ausgesetzt sein?
  • Waren Juden in der Geschichte lediglich „pauschalen Anfeindungen” ausgesetzt?
  • Gibt es ähnliche „Denkmuster” bezüglich Juden und Muslimen?

Heni begnügt sich nicht mit diesen Fragen: Er weist auf einige Merkmale des Antisemitismus hin, wie den Vorwurf an Juden die Zirkulationssphäre zu beherrschen und andere Menschen oder ‚Völker’ auszusaugen. Lediglich Juden wird vorgeworfen das Geld anzubeten, so dass der „antimammonistische Antisemitismus (der oft mit Antiamerikanismus einhergeht) weltweit zu konstatieren ist. Die erfundenen Protokolle der Weisen von Zion, Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in Russland publiziert, imaginierten eine jüdische Weltverschwörung. Es ist bis heute die wirkungsmächtigste Fantasie über eine Verschwörung. Juden stehen demnach hinter Geld, Kapital oder Börse, auch die Politik sei wesentlich von ihnen bestimmt. Zudem gibt es die Ritualmordlegende laut der Juden das Blut von armen, nichtjüdischen Kindern für Matzes verwenden. Bis heute wird diese Propaganda im arabischen Fernsehen verbreitet. Das Middle East Media Research Institute (Memri) berichtet regelmäßig darüber. Im Jahr 2006 wurde der türkische Film Tal der WölfeIrak, der das antisemitische Stereotyp des Organdiebstahls reichlich bedient, zum Kassenschlager; sein Nachfolger im Januar 2011, Tal der WölfePalästinader sich mit der ‚Gaza-Flottille’ (insbesondere Mavi Marmara) befasst -, ist nicht weniger antisemitisch und antiwestlich. Er ist mit zehn Millionen Dollar Produktionskosten der bislang teuerste türkische Film. Kein einziges der genannten Beispiele aus dem schier unerschöpflichen Repertoire des Antisemitismus existiert bezüglich der Muslime.

Heni macht aufmerksam auf den Unterschied zwischen Antisemiten und Rassisten

  • Antisemiten ‚wittern’ einen Feind, den es nicht gibt.
  • Viele heutige Rassisten übertreiben tatsächlich existente islamistische Drohungen zu einer Gefahr, die von ‚den Muslimen’ ausgehe.

Heni dokumentiert auch den muslimischen Antisemitismus in Deutschland und wie dieser von so vielen Islamforschern verharmlost oder sogar wegerklärt wird. Aber er wirft auch einen Blick auf andere Länder, so berichtet er von einer Konferenz an der Matti Bunzl, ein im USA Bundesstaat lehrender Ethnologe und Antizionist österreichischer Herkunft teilnahm. „Laut einem [zustimmenden] Tagungsbericht wurde dabei die Tendenz deutlich, Antisemitismus mit „Islamophobie” gleichzusetzen. Das zeigen auch die Schriften von Bunzl. Für ihn gibt es keinen neuen und keinen muslimischen Antisemitismus. Es handele sich bei beiden Phänomenen eher um Aspekte oder Resultate eines antikolonialen Kampfes („anti-colonial struggle”), wie er in einem breit diskutierten Text über Antisemitismus und Islamophobie” schreibt. Es gibt eine deutsche Version des Aufsatzes von Bunzl, in dem er sich gegen „Alarmismus” wendet. Entgegen dem internationalen Forschungsstand der Antisemitismusforschung leugnet Bunzl die antisemitische Struktur des antiisraelischen Antizionismus. Sein Vater John Bunzl aus Wien, der Herausgeber des Sammelbandes, sieht in Israel eine böswillige „Zionist colonization”.

Das 410 Seiten umfassende Buch des Politikwissenschaftlers Heni ist sowohl eine brisante wie auch brillante Analyse der Zustände der Islamforschung in Deutschland nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Seither werden Kritiker des Jihad als „Hetzer mit Parallelen“, „Panikmacher” oder „Aufklärungsfundamentalisten” bezeichnet.

Heni weicht keiner Frage aus und beantwortet kenntnisreich und detailliert die Frage der Beziehung zwischen Islamforschung und Antisemitismus.

Hartmut Krauss (Hrsg.) Feindbild Islamkritik / Wenn die Grenzen zur Verzerrung und Diffamierung überschritten werden, Hintergrund Verlag, 2010

Clemens Heni: Schadenfreude/Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Edition Critic, August 2011

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Martin Kloke: Der unerbittliche Moralist (Achgut, 9. September 2011)

Wer sich in diesen Tagen in den Auslagen einschlägiger Buchhandlungen umsieht, reibt sich verwundert die Augen: Den 10. Jahrestag der islamistischen Terroranschläge auf die USA nehmen Verlage und Autoren kaum zum Anlass, die Verbrechen von 9/11 kritisch zu rekapitulieren und aufzuarbeiten. Stattdessen dominieren marketingmäßig aufgehübschte Neuauflagen notorischer Verschwörungstheoretiker à la Bröckers, von Bülow, Wisniewski und Konsorten; ihre Ergüsse erzählen mehr über die geistige Verfassung ihrer Urheber als über die tatsächlichen Umstände der Anschläge.

Insofern fällt das im Eigenverlag erschienene Buch von Clemens Heni aus dem Rahmen, unternimmt es doch den Versuch, der Spirale der Verwirrung und der kaum verhohlenen „Schadenfreude” einflussreicher „Überzeugungstäter” den Kampf anzusagen. Der streitbare Politikwissenschaftler untersucht auf mehr als 400 Seiten das Selbst– und Weltverständnis namhafter deutscher Islam- und Antisemitismusforscher nach 9/11. Terror und Gewalt, Islam und Islamismus sowie Israel und der Nahostkonflikt bilden die Themenbasis des Buches. Zahlreiche Quellen und Fußnoten säumen das Buchsie belegen, dass es in der akademischen Community, aber auch in Gesellschaft und Öffentlichkeit, einen massiven Hang zur ideologischen Voreingenommenheit gibt.

Antisemitismus und Antizionismus werden bis weit in die Mitte der Gesellschaft banalisiert und verharmlostsymptomatisch sind allerlei schiefe Vergleiche zwischen Antisemitismus und „Islamophobie”. „Was ist los in Deutschland?”, fragt Heni, wenn unter dem Label „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit” Judenhass auf eine Stufe mit der Ausgrenzung von Hartz-IV-Empfängern gestellt wird. Kann es sein, dass die Empathie vieler Deutscher für den Terroristenführer Osama bin Laden, dessen Tod mehr Gefühle des Bedauerns als der Erleichterung ausgelöst zu haben scheint, einer verwirrten Spielart moralischen „Herrenmenschentums” geschuldet ist?

Henis Fazit ist nicht neu, angesichts der erdrückenden Belege aber von bestürzender Aktualität: „Antisemitismus wird toleriert, forciert und als nicht skandalös angesehen” (161). Forscher und Medienschaffende widmen sich häufig lieber der Schimäre der „Islamophobie” als der Gefahr des Islamismus, lautet eine weitere Diagnose. Dabei vermisst Heni den Blick aufs Wesentliche: „Der Islamismus mit seinen beiden Ingredienzen Scharia und Antisemitismus ist eine der größten Gefahren für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Der Gefahr muss man begegnenals Bürger, Politikerin, Journalist, Autorin, Publizist sowie als Zeitgenosse. (25)

Der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund: „Wer die heutige Situation der Muslime mit der Geschichte der deutschen und europäischen Juden bis 1945 und des Antisemitismus seither vergleicht, beendet die seriöse Antisemitismusforschung.” (227) – Punkt. Aus. Ende. Harscher hätte die Kritik am renommierten Historiker Wolfgang Benz, dem früheren Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, nicht ausfallen können. Heni prangert Benz nicht nur wegen der fatalen Gleichsetzung von Islamophobie und Antisemitismus an, sondern auch wegen persönlichen Versagens im verdrucksten Umgang mit der Nazi-Vergangenheit seines Doktorvaters Karl Bosl. So rührt der unerbittliche Moralist den Finger in Wunden, die auch deswegen nicht verheilen, weil sie immerfort neu aufgerissen werden. In diesem Sinne ist die überbordende Medien– und Quellen-Ausbeute eine notwendige Lektüreeine berechtigte Mahnung, dass in der politischen Kultur unseres Landes vieles im Argen liegt.

Warum beschleicht einen dennoch ein ungutes Gefühl bei der Lektüre? Die Antwort ist wohl eher im Individualpsychologischen zu suchen: Clemens Heni fechtet lieber mit dem Säbel als mit dem Florett. Will sagen: Der Autor ist kein Vertreter der empirischen Sozialforschung, der seinen Gegenstand mit der abwägenden Umsicht eines nach links und nach rechts schauenden Wissenschaftlers analysieren und systematisieren würde. Was Heni eine „Studie” (261) nennt, ist im Kern eine kommentierte Zitatensammlung mit dem erkenntnisleitenden Interesse, die Urheber seiner Quellen antisemitischer Ressentiments und islamismusverstehender „Gegenaufklärung” zu überführen.

Daraus erklärt sich auch das auf den ersten Blick beliebig anmutende Literatur- und Quellenverzeichnis, das trotz seines beträchtlichen Umfangs auf wesentliche und konstituierende Studien zu Islamismus und Antisemitismus verzichtet – schließlich hätte die Einbeziehung seriöser Untersuchungen die Grundthese des Autors relativieren können. So krankt das Buch daran, dass sein Autor kein Interesse zeigt, seine alarmierenden und vielfach durchaus berechtigten Vorwürfe und Entlarvungsbelege quantitativ zu messen bzw. qualitativ zu gewichten und somit halbwegs zu objektivieren. Insofern fehlt der „Untersuchung” jenes Maß an Wissenschaftlichkeit, das dem Thema angemessen gewesen wäre, um in der scientific community als satisfaktionsfähig akzeptiert zu werden.

Hinzu kommen Redundanzen, die einfach nur nerven, aber auch maßlose Übertreibungen, die das eigentlich ehrenwerte Unterfangen des Buches in Misskredit bringen. So etwa die Aussage: „Hosni Mubarak wurde auf den Demonstrationen im Januar und Februar 2011 häufig als Freund Israels, als Jude und als Nazi dargestellt und zum Abschuss freigegeben.” (171 – Unterstreichung MK) Unabhängige Beobachter des arabischen Frühlings in Ägypten zeigten sich dagegen überrascht über die relative Marginalität antizionistischer bzw. antisemitischer Ressentiments unter den Protestierenden. Infamer noch ist die geistige Nähe zwischen heutigen Forschern und früheren Nazis, die Heni konstruiert: „Nicht wenige Forscher liebäugeln gar mit dem Islamismus, wie diese Studie quellengesättigt zeigt. Bereits die Nationalsozialisten hatten ein Faible für solche antiliberale Tendenzen in der islamischen Welt und sahen durchaus Parallelen zwischen der deutschen Ideologie und jener in der arabischen und muslimischen Welt: die Hinwendung zu Gewalt, Führertum und (Volks‐) Gemeinschaft, Authentizität und ‚nationaler Identität‘, wie auch zum Kampf gegen den Westen, gegen ‚Dekadenz‘ und die Juden.” (261)

Unter dem Furor des schreibenden Weltanschauungskämpfers, der dem Leitmotiv verpflichtet ist: „Wer Antisemit oder Islamistenversteher ist, bestimme ich!”, geraten sogar jene Forscher unter die Räder des ideologischen Berserkers, die bislang als moderate Sympathisanten Israels ausgewiesen waren. Beispielhaft erwähnt seien der Islamwissenschaftler Götz von Nordbruch, der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der Politologe Hamed Abdel-Samad, ein Freund und Weggefährte Henryk Broders, und der Politologe Bassam Tibi.

Irritierend ist auch, dass Heni nicht am empirischen Israel interessiert ist – mit seinen Freuden, Schmerzen, Selbstzweifeln, Sorgen und Sünden -, sondern an einem jüdischen Gemeinwesen, das zur idealisierten Projektionsfläche instrumentalisiert wird. Daher blendet er die Tatsache aus, dass der israelisch-palästinensische Konflikt – jenseits aller ideologischen Aufladungen durch Antisemitismus und Islamismus – einen rationalen Kern besitzt, bei dem Recht gegen Recht bzw. Unrecht gegen Unrecht steht: Der Nahostkonflikt ist seit mehr als 100 Jahren auch ein „Immobilienstreit” (Amos Oz) zweier Völker, die zu einer kompromisshaften Entschärfung, wenn schon nicht Lösung des Konflikts, verdammt sind. Diese Binse entzieht sich der manichäischen Logik eines Autors, der nichts anderes als die Pole von Antisemitismus und Israel-Solidarität wahrzunehmen bereit ist.

Symptomatisch ist Henis sonderbarer Philosemitismus – so, wenn er in der (berechtigten) Kritik an der analytischen Schwäche eines Antisemitismusforschers den Eindruck erweckt, als sei es prinzipiell unanständig, einen Juden zu kritisieren: „Der theoretischen Hilflosigkeit Bergmanns, die symptomatisch für viele in Deutschland arbeitenden Antisemitismusforscher ist, entspricht dabei die Unverfrorenheit, einem Juden vorzuwerfen zu übertreiben, nicht zu differenzieren und ‚kaum theoretische Anstöße‘ zu geben.” (198)

Befremdlich mutet auch des Autors begrenzte Verständnis für die Funktionsweise eines demokratischen Gemeinwesens an, dessen Zusammenhalt von Voraussetzungen lebt, die es selbst nicht schaffen kann (frei nach E.-W. Bockenförde). So zieht Heni aus einem argumentativ nachvollziehbaren Anti-Islamismus die pauschale Folgerung, jegliches zivilgesellschaftliches Engagement müsse abgelehnt werden, sofern es irgendwie religiös konnotiert sei (171, 254). Wer im kulturellen Kontext des schwäbischen Pietismus aufgewachsen ist, mag gute Gründe für eine antireligiöse Obsession haben; in einer „wissenschaftlichen” Untersuchung haben derartige (Anti-)Bekenntnisse gleichwohl nichts zu suchen.

Weil Clemens Heni allzu schnell dabei ist, Islam- und Antisemitismusforscher, Journalisten, aber auch „die Araber” unter Antisemitismusverdacht zu stellen, steht zu befürchten, dass die Angegriffenen, so sie sich überhaupt äußern werden, mit apologetischen Gegenvorwürfen kontern werden, anstatt selbstkritisch die Wahrheitsmomente in Henis Kampfschrift zu reflektieren. Eine Aufforderung, die Schützengräben zu verlassen und in einen seriösen Streit um die besseren Argumente zu treten, bietet dieses Buch nicht, denn mit „Antisemiten” diskutiert man nicht – mit eifernden „Anti-Antisemiten” aber auch nicht, werden die so Geschmähten zurückgeifern.

Clemens Heni: Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11. Berlin: edition critic, August 2011. 416 Seiten, Broschur, 19,90 EUR. ISBN 978‐3‐9814548‐0‐2.

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/der_unerbittliche_moralist/

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Das Versagen der Islamwissenschaft t(AchGut 22.11.2011)

„Das Buch zur ‚Islamdebatte‘. Das Buch zum zehnten Jahrestag von 9/11. Das Buch zu Islamismus und Antisemitismus.” – So bewirbt Clemens Heni sein Buch „Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11″ auf der Homepage seines Verlages Edition Critic.

Der Titel bezieht sich auf die Reaktionen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Statt die extremen Auswüchse einer Religion, in deren Namen solche Verbrechen verübt wurden und werden, näher in Augenschein zu nehmen, suchten nicht zuletzt viele Wissenschaftler die Schuld bei den USA und machten es sich zur Aufgabe, den Islam vor Vorurteilen und Pauschalisierungen zu schützen. „Schadenfreude” ist eine aufklärende, erschütternde Sammlung von offiziellen Verlautbarungen deutscher Islamwissenschaftler der vergangenen zehn Jahre.

„Die Islamwissenschaft hat eine wichtige Funktion und kann Aufschluss geben über die politischen Strukturen, Entwicklungen und Tendenzen in der arabischen wie der muslimischen Welt insgesamt. Doch wird sie ihrer Funktion gerecht?” Diese erste, in der Einleitung gestellte Frage beantwortet Clemens Heni auf 400 Seiten mit einem klaren Nein. Unter Bezugnahme auf einschlägige islamwissenschaftliche Texte führt er das Versagen jenes Fachbereiches vor, von dem man erwarten könnte, dass dort – wenn schon keine Antworten gefunden werden – wenigstens die Fragen behandelt würden, die der politische Islam an die westlichen Gesellschaften stellt. Dabei werden besonders die Zeitschrift Die Welt des Islams, das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und sein langjähriger Leiter Prof. Wolfgang Benz sowie zahlreiche Islamwissenschaftler und ihre Aussagen unter die Lupe genommen.

Clemens Heni zeigt, wie die Elite dieses Wissenschaftszweiges mit dem Phänomen des Islamismus, islamistisch begründetem Terror, der Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit arabischen Führungspersönlichkeiten und mit Islamkritik umgeht. Die Darstellung von Geschichte und Gegenwart ist fundiert, die Sammlung der Zitate umfassend bis ausufernd, die Kritik so drastisch wie ihr Gegenstand.

Sprachlich ist die Arbeit einwandfrei, nur leicht beeinträchtigt von der Auffälligkeit wenig gebräuchlicher Lieblingswörter des Autors. Einiges an Inhalt wiederholt sich, was aber nur bedingt störend und für die Benutzung als Arbeitsbuch eher von Vorteil ist. Dafür sind auch die vielen Querverweise sehr hilfreich.

Die Kritik an dem Buch hängt sich bislang zurecht weniger an der Frage auf, ob die Kritik an der Islamwissenschaft berechtigt ist, sondern ob der gewählte Tonfall einer wissenschaftlichen Studie angemessen ist. Etwas zögernd begebe ich mich auf den Schauplatz dieser Schlammschlacht, möchte aber als Islamwissenschaftlerin dazu Stellung beziehen. Die Rezension von Martin Kloke auf achgut.com wird von Alan Medforth auf seinem wordpress-Blog scharf zurückgewiesen. Weitere Wortmeldungen wären wünschenswert. Hier also eine Stellungnahme aus der Islamwissenschaft, die für diesen Kreis wohl eher untypisch ausfallen wird.

In einigen Punkten würde ich Klokes Kritik zustimmen, besonders wenn es darum geht, dass der zuweilen angriffslustige Unterton – um es gelinde auszudrücken – und kaum zur Sache beitragende Seitenhiebe (Stichwort Religionskritik) keine gute Grundlage für einen „seriösen Streit” sind, wie Kloke ihn sich wohl wünschen würde. Aber mit einem näheren Blick auf die Islamwissenschaft in Deutschland, wie Clemens Heni ihn durchaus kompetent vermittelt, erklärt sich vielleicht der Geist dieser „Kampfschrift” (Kloke). Denn auch dort scheint es an stabilen Diskussionsgrundlagen zu fehlen, nur weit subtiler als bei dem laut Kloke „unerbittlichen Moralisten” Clemens Heni.

Dabei ist der Autor jemand, der durchaus zwischen dem Mensch und der Ideologie unterscheiden kann, ganz gewiss kein Hassprediger gegen den Islam, aber offensichtlich wutschäumend gegen die realitätsferne Orientromantik, fatale Vergleicherei und Verharmlosung von Seiten der deutschen Islam- und Nahostwissenschaft.

Man erwartet von einer wissenschaftlichen Studie, dass sie durch und durch sachlich daherkommt, auch wenn klare Positionen bezogen werden. Aber wenn ich bei der Lektüre des Buches selbst zuweilen wütend wurde, dann lag das mitnichten an der ein oder anderen formalen Entgleisung des Autors, sondern an den zitierten Texten ausgewiesener Islamexperten, die himmelschreiende Theorien verkünden. Gerade bei den Ausführungen von Bassam Tibis Schülerin Naika Foroutan (S. 247ff) habe ich mir mit Bleistift einige weniger nette Kommentare an den Rand geschrieben. Irgendwann wird es schwierig, sachlich und souverän-unemotional zu bleiben, wenn man sieht, dass diesem gefährlichen Irrwitz, der mittlerweile zum wissenschaftlichen Mainstream avanciert, mit Argumenten und Fakten nicht beizukommen ist.

Ein Beispiel dafür ist, dass die Islamwissenschaftlerin Prof. Gudrun Krämer von der Freien Universität Berlin, eine der prägendsten und repräsentativsten Figuren der deutschen Islamwissenschaft (was nicht unbedingt ein Lob ist), Yusuf al-Qaradawi zu den „moderaten Islamisten” zählt, da er „nicht zu Gewalt gegen andere” einlade und diese auch nicht hinnehme, um dann in Klammern hinzuzufügen: „die Ausnahmen sind fremde Besatzer, Kolonialismus, Zionismus und Israel” (S. 156). Ein Neonazi, der nur öffentlich zu Anschlägen gegen Israelis aufrufen würde, wäre demnach ein „moderater Rechtsextremist”. Sofern sich renommierte Islamwissenschaftler überhaupt zu brisanten Themen wie islamistischem Terror und dem Nahostkonflikt äußern, tun sie das vielfach auf so haarsträubend verharmlosende Weise, dass ihre Rolle in der Diskussion nicht nur unproduktiv, sondern kontraproduktiv ist. Und spätestens seit der vielbeachteten Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude” im November 2008 ist die Benzsche Antisemitismusforschung in Teilen ein ernstzunehmendes Hindernis bei der Antisemitismusbekämpfung.

Clemens Heni hätte mehr von der Möglichkeit Gebrauch machen können, dass man sich in schriftlichen Äußerungen seinen Gemütszustand nicht anmerken lassen muss. Er hätte sich Spekulationen über die Motive fehlgeleiteter und fehleitender Islamwissenschaftler sparen können (z.B. 185, M. Kiefer fühle sich womöglich ertappt…). Ich als Leser hätte mich deswegen nicht weniger aufgeregt: Meine Kollegen diskreditieren sich selbst, und dass das in der Öffentlichkeit so gut ankommt, macht die Sache nicht einfacher.

Im Studium der Islamwissenschaft haben wir uns ausgiebig mit osmanischen Münzsammlungen, islamischer Architektur, Sultan Saladin, mittelalterlichen Herrschaftsdynastien und persischer Dichtung beschäftigt. Wir haben keinerlei Methodik an die Hand bekommen, um politisch-religiöse Prozesse analysieren zu können. Wir haben den Islam allenfalls durch die Brille mittelalterlicher Philosophen „kritisch” betrachtet. In einem Werbevideo auf der Homepage der FU Berlin erklärt Prof. Gudrun Krämer ihren Fachbereich und bekräftigt, dass man „nicht politisch kritisch”, sondern „wissenschaftlich kritisch” auf die islamische Welt schaue. Das Paradoxon ist Programm. Ich kann mich ungelogen nicht daran erinnern, in 14 Semestern Studium je einen Koran gebraucht zu haben. Islamwissenschaftler kommen ohne sowas aus. Mit dem Islam habe ich mich erst nach dem Studium eingehender auseinandergesetzt.

An Martin Kloke gewandt möchte ich deswegen konstatieren, dass es am Ende die versammelte Abteilung der deutschen Islamwissenschaft ist, die „in der scientific community” nicht „satisfaktionsfähig” ist. Die versuchte inhaltliche Kritik halte ich für nicht gerechtfertigt. Hosni Mubarak hat mit dem Geld, das ihm der Friedensvertrag mit Israel eingebracht hat, sein Volk systematisch zum Antisemitismus erziehen lassen oder zumindest bejahend dabei zugesehen. Wenn jemand „über die relative Marginalität antizionistischer bzw. antisemitischer Ressentiments” der Ägypter spricht, frage ich mich, was derjenige unter „relativ” versteht. Und auch die Kontinuität deutsch-arabischer Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich nicht so einfach als „infam” abtun, auch wenn sie harsch formuliert sein mag. Das Auswärtige Amt betont die nach wie vor guten Beziehungen Deutschlands in die arabische Welt, ohne zu erwähnen, wie sehr deren Sympathie sich auch heute noch am „Lebenswerk” Adolf Hitlers festmacht.

Und es ist leider nicht übertrieben zu sagen, dass die iranische Atombombe maßgeblich mit deutschen Wirtschaftsmitteln ermöglicht wird. Und ebenfalls an Martin Kloke: Wenn es so dezidiert um das „Existenzrecht Israels” geht, dessen Leugnung integraler Bestandteil islamistischer Ideologie ist, und um westliche Wissenschaft, die dieser Infragestellung Vorschub leistet und entsprechende Bestrebungen verharmlost, dann ist das „empirische Israel” für die Diskussion herzlich uninteressant, selbst wenn man den „sonderbaren Philosemitismus” des Autors nicht teilt.

Clemens Heni mag als „unerbittlicher Moralist” erscheinen, und ja, man hätte vieles sachlicher und damit zweckdienlicher formulieren können, ja, er arbeitet mit einem sehr weitgefassten Antisemitismus-Begriff, und ja, das zugrundeliegende Gesellschaftsbild, das sich an einigen Stellen mit Vehemenz Raum verschafft, mag manch einen vor den Kopf stoßen. Mich auch. Das macht das Buch unnötig angreifbar. Das Gesamtbild leidet darunter. Aber das macht die Hauptaussagen des Buches nicht weniger richtig, die Diskussion nicht weniger notwendig und die Kritik nicht weniger berechtigt. Vieles wurde noch selten so treffend auf den Punkt gebracht und dabei so gut belegt.

Politikwissenschaftler wie Clemens Heni und einige ambitionierte Hobbyforscher versuchen nach besten Kräften, die Lücke zu schließen, in der Islamwissenschaftler stehen sollten, die den Anforderungen unserer Zeit gemäß ausgebildet sind. Es ist peinlich, dass wir hier nicht mithalten können. Bevor wir also Clemens Henis Buch verreißen, sollten wir uns anschauen, was es uns zu sagen hat. Es ist hoch aktuell und will eine Debatte verschärfen, die noch viel zu halbherzig geführt wird, und ich finde, dass es einen wertvollen Beitrag liefert.

So ist „Schadenfreude” tatsächlich das Buch zum zehnten Jahrestag von 9/11. Sonst soll mir jemand ein besseres zeigen.

Clemens Heni: Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11
Edition Critic, Berlin 2011, 416 S., 19,90 €, ISBN 978-3-9814548-0-2

Carmen Matussek, 28,hat Islamwissenschaft und Geschichte studiert und ihren Magister mit einer Arbeit über die Verbreitung der Protokolle der Weisen von Zion und den Glauben an eine jüdische Weltverschwörung in der arabischen Welt gemacht. Freie Journalistin, Schwerpunktthemen: Israel, Nahostkonflikt, Islam, Islamismus, Antisemitismus.

http://networkedblogs.com/qp9Rv

 

Drei Buchrezensionen zu Clemens Heni’s “Schadenfreude”

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