Sammelband zum Iran: Wie Europa den Mullahs half

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Sammelband zum Iran: Wie Europa den Mullahs half
Der Iran: Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europaischen Forderer. Simone Dinah Hartmann. Published by Studienverlag Gmbh, 2008. EUR 29,90 pp.292

Wie gefährlich und totalitär ist das iranische Regime? Wer hat seine Nuklearisierung unterstützt? Ein gut recherchierter Sammelband gibt Antwort. VON MICHA BRUMLIK

Machtdemonstration: Bomben-Präsentation bei Militärparade im Iran. Foto: reuters

Die in Europa erwartete grundsätzliche Neuorientierung der US-amerikanischen Politik gegenüber dem Iran birgt Risiken. Sie sind keineswegs geringer als der Versuch der Bush-Regierung, die vom Iran ausgehende Bedrohung durch säbelrasselndes Aussitzen zu beheben. Anfang des Monats erklärte der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, Yadlin, dass die iranische Strategie nicht darauf ziele, sofort eine Bombe zu bauen, sondern darauf, eine zureichende Menge von leicht angereichertem nuklearem Material zu produzieren, das in wenigen Monaten auf 93 Prozent angereichert werden könnte. Das wäre genug, um eine Bombe zu bauen. Damit sei der Kampf gegen die islamische Bombe keineswegs verloren: Die richtige Kombination von Sanktionen und Verhandlungen könne durchaus zum Erfolg führen, meint Yadlin.

Um diese komplexe Debatte angemessen beurteilen zu können, ist es unerlässlich, sich über die Lage im Iran und den Charakter des Regimes zureichend zu informieren. Letztes Jahr erschien ein Sammelband, der bisher zu wenig Beachtung fand. Lesenswert sind eine Reihe von Texten, die nüchtern und wissenschaftlich überzeugend den totalitären Charakter des gegenwärtigen iranischen Regimes feststellen und auch die von ihm ausgehende Bedrohung Israels sowie die Schrittmacherfunktion Deutschlands und Frankreichs bei der Nuklearisierung Irans nachweisen. Der politische Charakter dieses Regimes, Frauenunterdrückung und Homosexuellenverfolgung, weise alle Eigenschaften totalitärer Herrschaft auf, schreiben Wahied Wahdat-Hagh, Fathiyeh Naghibzadeh und Alex Gruber: “Führerprinzip, totalitäre Organe, Antisemitismus im Sinne eines eliminatorischen Antizionismus, Massenbewegung und -mobilisierung, Ideologie und Propaganda, Geheimpolizei und Terror, Antibahaismus, geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen, (k)ein Parteiensystem.”

Dass ein Regime dieser Art ohne oberflächliche Gleichsetzung vor der Folie des Nationalsozialismus analysiert werden kann, zeigt Gerhard Scheit in seiner Studie. Scheit untersucht das iranische Regime mit den theoretischen Instrumenten, die Franz Neumann in seiner klassischen Studie “Behemoth” dem Nationalsozialismus gewidmet hatte. Damit lässt sich die Verquickung, die antisemitischer Erlösungswahn, Rohstoffökonomie, mangelnde Rechtssicherheit sowie illiberale Repressionspolitik im “Unstaat” Iran miteinander eingegangen sind, als genau jene Konstellation identifizieren, die auch dem Nationalsozialismus zugrunde lag.

An bestürzender Nüchternheit nicht zu überbieten ist ein Artikel des Korrespondenten der israelischen Tageszeitung Haaretz, Yossi Melman, der penibel nachzeichnet, wie die von den USA zunächst Schah Reza Pahlevi eingeräumten Optionen auf Nuklearisierung schließlich dem Judenfeind Chomeini in die Hände fielen. Chomeini, zunächst gegen die Entwicklung der Bombe eingestellt, änderte unter dem Eindruck des auch vom Westen unterstützten irakischen Krieges gegen den Iran seine Meinung und drängte auf die Option einer nuklearen Bewaffnung. Melman weist bei alledem auf die unrühmliche und ambivalente Rolle der Internationalen Atomaufsicht (IAEO) hin, die sich sowohl täuschen ließ als auch zögerlich blieb. Wie sehr Deutschland, Frankreich oder Österreich aus wirtschaftlichen Gründen wirksame Sanktionen verhinderten, zeichnen Matthias Küntzel und Stephan Grigat unwiderleglich nach.

Die von den USA angekündigte diplomatische Offensive und die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran erzeugen derzeit – wie Stephan Grigat in seiner Einleitung zeigt – unbegründete Hoffnungen. Denn der für die mögliche nukleare Bewaffnung wirklich Verantwortliche, der Nachfolger Chomeinis und sogenannte Revolutionsführer Ali Chamenei, ist wie Präsident Ahmadinedschad ein überzeugter eliminatorischer Antisemit, der den israelischen Staat auslöschen möchte. Dass die davon ausgehende Bedrohung die jüdische Bevölkerung des Staates Israel verunsichert und Israels strategische Lage verschlechtert, davon berichten Yossi Halevi Klein und Michael B. Oren. Es scheint derzeit, als sei die von vielen Israelis und der gegenwärtigen Regierungskoalition bejahte Option, die iranische Nuklearrüstung durch einen Bombenangriff wenigstens um einige Jahre zurückzuwerfen, mit dem Wechsel an der Spitze der USA und Obamas pragmatischem, auf Gespräche setzendem Kurs verfallen.

Für alle, die sich an der damit verbundenen außenpolitischen Debatte beteiligen wollen, ist die Lektüre dieses Sammelbandes unverzichtbar. Etwas Besseres liegt derzeit in deutscher Sprache nicht vor.

Stephan Grigat, Simone Dinah Hartmann (Hrsg.): “Der Iran. Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer europäischen Förderer”. Studienverlag, Innsbruck, Wien und Bozen 2008, 292 Seiten, 29,90 €

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