Heimo Gruber: Brigitte Bailer (Hg.): Israel – Geschichte und Gegenwart

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Heimo Gruber: Brigitte Bailer (Hg.): Israel – Geschichte und Gegenwart
Israel - Geschichte und Gegenwart. Brigitte Bailer. Published by Braumueller Wilhelm, 2009. EUR 15,99 pp.240

Aus Anlass des 60.Jahrestages der Staatsgründung Israels organisierte im Wintersemester 2008/09 Scholars for Peace in the Middle East Austria (und hier vor allem Ruth Contreras) gemeinsam mit Universitätsdozentin Brigitte Bailer eine Ringvorlesung an der Universität Wien. Dass der Verlag Braumüller mit dem vorliegenden Sammelband alle zwölf dabei gehaltenen Vorträge einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht, ist einer ursprünglich von ÖIG-Vorstandsmitglied Rudolf Gelbard gefassten Idee zu danken. Die Beiträge des Buches bieten Einblick in verschiedenste Bereiche der Entwicklung Israels:

Eleonore Lappin-Eppel (Institut für jüdische Geschichte Österreichs) setzt sich mit den Anfängen des Zionismus auseinander. In den fast zwei Jahrtausenden der Diaspora sorgte die Einheit von jüdischem Volk und Religion für Tradierung und Überleben des Judentums, dem im 19.Jhdt. mit dem Zionismus ein modernes Fundament für eine Nationsbildung gegeben wurde, die erstmals auch säkular verstanden und gelebt werden konnte. Dass dabei auf verschiedene Denkansätze und Strömungen vor und nach Theodor Herzl eingegangen wird, bereichert diesen Beitrag.

Barry Rubin (Interdisciplinary Center Herzliya) zeigt in „Themes in the History of Israel” die Faktoren auf, die trotz vieler widriger Umstände den Werdegang Israels zu einer Erfolgsgeschichte machten. Eine pluralistische und multikulturelle Gesellschaft kann sich auf ein demokratisches politisches System stützen und der ökonomische Aufstieg vollzog sich in einem Land ohne Bodenschätze.

Raimund Fastenbauer (Israelitische Kultusgemeinde Wien) stellt unterschiedliche Richtungen des Zionismus nach Herzl vor und setzt sich mit Varianten von Selbstzweifel und Israelkritik unter Juden und Israelis auseinander, die für ihn – auch wenn sie minoritär bleiben – Ausdruck einer geistigen Krise sind. Besonders für manche Intellektuelle wird so der Staat Israel zur Projektionsfläche für feindselige Gefühle; zu den extremsten Vertretern zählen z.B. Noam Chomsky und unter den „Neuen Historikern“ Ilan Pappe.

Der Autor und Historiker Doron Rabinovici stellt das größte Trauma des jüdischen Volkes, die Shoa, in den historischen und aktuellen israelischen Kontext. Am Beispiel einer Diskussion in der Gedenkstätte Yad Vashem über die Bedeutung von Erinnerung für Rekruten der Armee kann gezeigt werden, dass aus der Erinnerung an die Shoa zugleich eine Stärkung des Verteidigungswillens und eine Verpflichtung zur Anknüpfung an humanistische Traditionen erwachsen – beide Konsequenzen schließen einander keineswegs aus.

Brigitte Bailer (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) gibt als profunde Expertin für die Entschädigungsgesetzgebung einen Abriss über die Verhandlungen in den 50er Jahren mit dem Committee for Jewish Claims on Austria, die von österreichischen Regierungsvertretern mit massiver Abwehr geführt wurden, wobei auch immer wieder antisemitische Ressentiments durchschimmerten.

Der Historiker und freie Autor Ralf Balke bezeichnet die Vertreibung der Juden aus der arabischen Welt als vergessenen Exodus. Während die UNO palästinensischen Flüchtlingen auch in allen nachfolgenden Generationen den Flüchtlingsstatus zubilligt, bleibt es fast immer unerwähnt, dass 850 000 Juden seit der Unabhängigkeit Israels das Leben in arabischen Ländern verunmöglicht wurde. Letzere integrierten sich erfolgreich in Israel und Entschädigung war nie ein Thema – im Gegensatz dazu werden die palästinensischen Flüchtlinge und deren Nachkommen als menschliche politische Manövriermasse verwendet, die bis heute jeden Ansatz zur friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes verhindert.

Wolfgang Benz (Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin) setzt sich in „Israelkritik, Antizionismus und Antisemitismus“ mit einem breiten Spektrum an Stereotypen auseinander. Beklemmend dabei sind Umfragen unter EU-Bürgern, die Israel den Rang des „aggressivsten Staates“ zuweisen, während zugleich eine stattliche Anzahl gewalttätiger Diktaturen ausgeklammert bleibt. Das Messen mit zweierlei Maßstäben ist ein Charakteristikum der Israel-Kritik, die in Europa oft als Ventil zur Entlastung von historischer Verantwortung benutzt wird, während sich der Islamismus klassischer Verschwörungstheorien wie der „Protokolle der Weisen von Zion“ bedient.

Peter Landesmann (Institut für Judaistik Wien) erzählt die Geschichte der Hebräischen Universität in Jerusalem und auch jene der Unterstützung durch ihre österreichischen Freunde, die mit der Förderung wissenschaftlichen Austausches mithelfen, Brücken zu schlagen. Israel nimmt in Wissenschaft, Forschung und technologischer Entwicklung eine gewichtige Position ein und verfügt über eine stattliche Anzahl von Nobelpreisträgern. Das verdankt sich auch dem Umstand, dass die zionistische Bewegung schon in ihren Anfangsjahren das Projekt einer Universitätsgründung verfolgte, zu dem sich überragende Wissenschaftler zusammengefunden hatten. Bereits lange vor der Staatswerdung Israels wurde 1925 die Hebräische Universität eröffnet.

Gerald M.Steinberg (Bar Ilan University Ramat Gan) setzt sich anhand der Theorien von Edward Said und Noam Chomsky mit der Ideologie des Postkolonialismus und deren Instrumentalisierung im Nahostkonflikt auseinander. Said wertet den Orient als Konstrukt des Westens im Blick auf die arabische Welt, der zugleich Herrschaft und Überlegenheitsgefühl ausdrückt. Chomsky sieht im Ungleichgewicht von Macht die Wurzeln von Krieg und Übel; als logische Folge fällt der Supermacht USA die Hauptverantwortung dafür zu. Vermengt man diese beiden Denkansätze, so steht Israel als überdimensioniert wahrgenommener Außenposten des Westens, bzw. der USA und postkolonialistischer Aggressor gegenüber einer unterlegenen arabischen Welt da. Steinberg weist nach, dass sich eine Fülle von NGOs diese Sichtweise angeeignet haben, die sich 2001 beim NGO-Forum bei der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban in massivster Dämonisierung Israels entladen hat.

Susanne Shaked (Hadassah Austria) ist in Österreich unermüdlich für die Unterstützung der Hadassah-Spitäler in Jerusalem tätig. Die zionistische Frauenorganisation Hadassah wurde 1912 von Henrietta Szold gegründet. Auf einer frühen Reise nach Palästina war Szold vom herrschenden Elend im Land so erschüttert, dass sie in der Folge ihr gesamtes Lebenswerk in den Dienst der Verbesserung der dortigen medizinischen Versorgung stellte. Die Hadassah-Spitäler bieten höchsten Standard und sind zugleich ihrem sozialen und humanistischen Anspruch treu geblieben, weswegen sie auch unter der arabischen Bevölkerung höchste Wertschätzung genießen. Der infame Vorwurf, dass Israel ein Rassistenstaat sei, wird mit dieser Arbeit tagtäglich Lügen gestraft.

Rudolf Orthofer (Austrian Institute of Technology) beschäftigt sich mit der Wassernutzung im Jordantal und thematisiert das Problem, dass der ehemals wasserreiche Fluss im unteren Lauf nur 20% seiner früheren Wasserführung aufweist, was auch einen Rückgang des Wasserstandes des Toten Meeres mit entsprechenden ökologischen Folgewirkungen nach sich zieht. Orthofer plädiert für nachhaltigere Wassernutzungssysteme und unterbreitet in seinem Artikel entsprechende Vorschläge.

Avraham Faust (Bar Ilan University Ramat Gan) beleuchtet das Verhältnis von Archäologie und Politik, wobei er sich ausschließlich mit der Kritik an der israelischen Archäologie auseinandersetzt. Diese bietet oft ein Spiegelbild der politischen Kritik am Staat Israel. Da die Archäologie mit der Freilegung der Zeugnisse antiker jüdischer Geschichte auch einen Beitrag zur nationalen Identitätsfindung leistet, fühlen sich Antizionisten verschiedenster Herkunft herausgefordert. Den Vorwurf, nur biblische und jüdische Relikte auszugraben, während arabische und muslimische Stätten zerstört werden, widerlegt Faust ebenso wie jenen, dass das Israel Museum als „heiliger Schrein“ ausschließlich jüdischer Geschichte verpflichtet sei und alles andere ausblende.

Der Sammelband Israel – Geschichte und Gegenwart ist zu einem fundierten Beitrag zum Verständnis Israels geworden, dem eine große Verbreitung zu wünschen ist.

Heimo Gruber: Brigitte Bailer (Hg.): Israel – Geschichte und Gegenwart

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