Elvira Groezinger: „Mazel Tov, Israel!”

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Elvira Groezinger: „Mazel Tov, Israel!”


Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) hat als Schwerpunkt des diesjährigen Mai-Hefts ihres Organs IP (Internationale Politik) aus gegebenem Anlass den Staat Israel, „bis heute die einzige [Demokratie] im Nahen Osten, die den Namen verdient, trotz permanenter Bedrohung von außen“. Zehn Beiträge von Fania Oz-Salzberger, Avi Primor, gefolgt von einem Interview mit Sari Nusseibeh, ferner von Benny Morris, Claudia Baumgart-Ochse, Markus Weingardt, Lorenz Jäger & Alan Posener, Ralph Bollmann, Rober J. Lieber und Marc Otte beleuchten verschiedene Aspekte, die mit diesem „selten gelobten Land“, wie es im Untertitel heißt, zusammenhängen.

Die Überschrift ist allerdings problematisch, denn man sagt auf Hebräisch „masal tov“, was bei diesem Anlass angebracht wäre, und nicht „masel“, wie es auf Jiddisch heißt, und läßt auf gelegentlichen Genuss von Klesmermusik schließen…

Diese Nummer ist zudem ein Versuch, sich mit den Ergebnissen der Umfrage auseinanderzusetzen, welche im 60. Jahr des Bestehens Israels von der IP und Forsa unter den Bürgern dieses Landes gemacht wurde, um – zu welchem Zweck? – zu erfahren, wie diese zu Israel stehen. Die Chefredakteurin Sabine Rosenbladt fragt nun nach den Gründen, indem sie in ihrem Editorial das für die meisten Juden hierzulande beunruhigende Ergebnis nüchtern beschreibt: „Nur 13 Prozent [der Befragten] äußern Bewunderung, 57 Prozent sehen Israel wegen seines Dauerkonflikts mit den Palästinensern kritisch. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die sich bei Umfragen regelmäßig mit Zweidrittelmehrheit proisraelisch zeigen, hegen die Deutschen für den nach dem deutschen Massenmord an sechs Millionen Juden gegründeten Judenstaat offenbar wenig verständnisvolle, gar freundschaftliche Gefühle.“

Dazu muss man wiederum anmerken, dass es sich allerdings nicht um Israels Dauerkonflikt mit den Palästinensern handelt, sondern genau umgekehrt, was für das richtige Verständnis der Situation und der Haltung der Unbeteiligten dieser gegenüber von entscheidender Bedeutung ist, nämlich dass es während der 60 Jahre leider die Palästinenser sind, die den Staat Israel nicht akzeptieren und den arabischen Nachbarn Israels als Alibi für die Kriege gegen den jüdischen Staat dienten. Die Beiträge dieses Heftes versuchen, Licht in die verwirrende und facettenreiche Situation in Israel und im Verhältnis zu seinen Nachbarn zu bringen, aber weil man nicht alle politischen Lager zu Wort kommen ließ, bleibt es beim Versuch. Es ist z. B. keine einzige „zionistische“ Stimme aus Israel zu hören, außer in Ralph Bollmanns Porträt des neuen israelischen Botschafters in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, sondern mehrheitlich solche, die man im allgemeinen für „Oppositionelle“ hielt, wiewohl sich bei diesen auch einige Töne eingeschlichen haben, die überraschen können.

So bei Professor Fania Oz-Salzberger, Tochter von Amos Oz und Historikerin an der Universität Haifa, die ein expressionistisches Gemälde der heutigen, sehr komplexen, israelischen Gesellschaft zwischen Zionismus und Sushi, Hightech und Talmud entwirft. Sie bezeichnet sich selbst als „liberale Zionistin“, welche die politischen Fehler der Vergangenheit benennt, sowohl jene die arabische und palästinensische als auch israelische Politiker seit 1967 begangen haben. Aber Oz-Salzberger geht gleichzeitig sehr hart mit den Kritikern Israels in Europa ins Gericht, welche die historischen Fakten des Konflikts nicht kennen beziehungsweise ignorieren. Zu diesen sich selbst disqualifizierenden Kritikern gehöre „die unerträglich selbstgerechte deutsche Linke“ oder britische Medien, die „statt des geplanten Interviews mit der Mutter eines getöteten israelischen Kindes ein Gespräch mit der Mutter des Selbstmordattentäters bringt, der es ermordet hat“, woraufhin „gemäßigte Israelis etwas zynisch werden“. Oz-Salzberger fordert „demokratische Verbündete, nicht Mitleid und Erbarmen“, wobei der „Auschwitzdiskurs“ keine Rolle mehr spielen sollte. Und sie glaubt an eine geographische Lösung des Konflikts friedliche Zukunft der beiden Völker in ihren zwei getrennten doch benachbarten Staaten.

Avi Primor, Jahrgang 1935, in den Jahren 1993 bis 1999 Botschafter seines Staates in Deutschland, und seither ein gern gesehener Talkshowgast und gefragter Kolumnist verschiedener deutscher Zeitungen, setzt sich mit Herzls Vision eines jüdischen Staates und der Realität auseinander. Sein Fazit lautet, dass „Die immer noch offene Wunde der Besatzung der Grund [ist], warum Herzls Traum noch nicht vollendet ist.“ Allerdings ist Primor nun ein Realist und nicht mehr der radikale „Oppositionelle“, der er einmal war.

Während soeben am 24. Juni 2008 mehr als 40 Staaten der palästinensischen Autonomiebehörde eine Aufbauhilfe in Höhe von 156 Millionen EUR versprochen haben, meint der palästinensische Philosophieprofessor und Präsident der Al Quds Universität in Jerusalem, Sari Nusseibeh, dass die internationale Gemeinschaft zunächst einmal damit aufhören sollte, die Korruption zu fördern, indem sie Einzelpersonen Geld in den Rachen wirft. Auch er befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung und ruft dazu auf, sich auf beiden Seiten dafür aktiv einzusetzen.

Dr. Benny Morris, Professor für die Geschichte des Nahen Ostens an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, gehört zu der inzwischen zerfallenen Gruppe der so genannten kritischen „Neuen Historiker“, welche für sich die „Objektivität“ und „Unparteilichkeit“ reklamieren, welche angeblich den von ihnen belächelten „alten Historikern“ gefehlt hat, weil sie die zionistische Geschichtsschreibung nicht in Frage stellten. Zu diesen Kritikern zählen u. a. Tom Segev sowie der äußerst umstrittene Ilan Pappe, Kommunist und Autor von u. a. Die ethnische Säuberung Palästinas, die in gewissen Kreisen auch hierzulande grossen Zuspruch findet. Früher Dozent an der Universität Haifa, hat er seit 2007 eine Professur an der Universität von Exeter inne und war im Zusammenhang mit den britischen Boykottversuchen, die gegen israelische Wissenschaftler gerichtet waren, als deren lautstarker Befürworter in Erscheinung getreten. Morris bezeichnet den Prozess der Ablösung von alten Denkmustern als „Reifungsprozess der israelischen Gesellschaft“. Auch Benny Morris hat einen weiten Weg zurückgelegt und ist inzwischen „überzeugt, dass die Palästinenser als Volk und als Nationalbewegung das Ziel haben, Israel zu zerstören und ein arabisch dominiertes Staatswesen in ganz Palästina zu errichten“.

Eine Außensicht darf natürlich nicht fehlen. Über die „Unfriedensstifter“, sprich die jüdischen Siedler, schreibt Claudia Baumgart-Ochse, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), welche gerade in diesen Tagen durch ihre Einladung an den früheren ehemaligen iranischen Vizeaußenminister Mohammed Dschawad Ardaschir Laridschani, Bruder des früheren Atomunterhändlers und heutigen iranischen Parlamentssprechers Ali, ein Forum für antiisraelische Hetze und Relativierung des Holocausts geboten hat. Dort sagte dieser u. a., was er von Israel hält: “Der zionistische Plan ist schrecklich gescheitert und hat nichts als fürchterliche Schäden in der Region verursacht.” Die Stiftung bedauert inzwischen merkwürdigerweise, „auf dieser Konferenz die Gefühle einzelner israelischer Teilnehmer verletzt zu haben“. Baumgart-Ochse sieht das Haupthindernis auf dem Weg zum Frieden mit den Palästinensern hauptsächlich bei den Siedlern. Auch stellen die Siedler für sie eine Gefährdung der israelischen Demokratie dar, vor allem durch ihr ungebremstes Vordringen in verschiedene Bereiche der israelischen Gesellschaft, nicht zuletzt in die Armee. Sie bezieht sich auf Uri Ben-Eliezer, der allerdings vor zehn Jahren, also eine Weile her, in einem Aufsatz die Situation in Israel mit Französisch-Algerien verglichen hat: „Is a Military Coup Possible in Israel? Israel and French-Algeria in Historical-Sociological Perspective“. Ein solcher Coup ist übrigens bis heute gottlob nicht eingetreten.

Über „Sonderbeziehungen“ Deutschlands zu Israel räsoniert Markus Weingardt, Referent für Friedens- und Konfliktforschung bei der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, in seinem Beitrag „Mythen einer Gratwanderung“, dass die deutsche Israel-Politik von Anfang an allgemeinen außenpolitischen Zielen untergeordnet war und sich Deutschland in den Kriegen von 1967 und 1973 völkerrechtlich neutral verhalten hat. Kultureller Austausch zwischen den beiden Ländern funktioniere inzwischen zwar ausgezeichnet, doch Weingardt stellt fest, was hierzulande allerorts sichtbar wird, nämlich, dass die „Israel-Solidarität der ersten Jahrzehnte schon lange“ bröckelt. Ein Gegenmittel wäre, institutionelle Kontakte und intensive Beziehungsarbeit, die Interesse an Israel weckt und zum Engagement anregt. Weigandts Analyse ist hellsichtig. Während in Deutschland „Gleichgültigkeit gegenüber Israel, der NS-Vergangenheit, der Schoah, dem Antisemitismus – und schließlich auch gegenüber den neuen Spielarten rassistischen Gedankenguts in der deutschen Politik und Gesellschaft wächst“, wächst auch die Gefahr für den inneren Frieden in Deutschland. Somit wird auch aus Weingardts Worten ersichtlich, dass das Verhältnis zu Israel und zu Juden ein Seismograph für den inneren Zustand der deutschen Demokratie ist.

Es macht sehr nachdenklich, dass solche Debatten wie die folgende im heutigen Deutschland überhaupt stattfinden, wie in den zwei antithetischen Beiträgen zum Thema „Israel-Lobby“: „Verschwörungstheoretiker! Antisemiten!“ von Lorenz Jäger, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sowie „Die polit-psychologische Matrix“ von seinem Antipoden Alan Posener, Kommentarchef der Welt am Sonntag. Jäger zieht erwartungsgemäß gegen die deutsche Diskurs-Lobby, nämlich die „merkwürdige Allianz von harten Linken und ebenso harten Atlantikern“ zu Felde, die angeblich überall Antiamerikanismus wittern und nimmt John Mearsheimer/ Stephen Walt gegen Posener in Schutz, denn, so Jäger: „Soweit ihre Anliegen fassbar sind, geht es der Lobby darum, Europa und vor allem die Bundesrepublik enger an die weltpolitischen Absichten der Vereinigten Staaten zu binden.“ Er zählt auch genüsslich auf, wer von den angeblichen amerikanischen Lobbyisten, den jüdischen Neocons, inzwischen „kleine Brötchen“ bäckt, seinen Sessel räumen musste oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde. Zugleich wirft er ihnen wie der angeblichen deutschen Lobby Antiislamismus vor. Honi soit qui mal y pense.

Posener erklärt die Vorgeschichte der Kontroverse mit Jäger und widerspricht ihm: „Nur lächerlich ist Lorenz Jägers Behauptung, die hiesige proisraelische ‚Diskurs-Lobby’ wolle vor allem eine eigenständige europäische Politik verhindern, indem sie Antiamerikanismus in die Nähe von Antisemitismus rücke und damit tabuisiere.“ Posener nennt Möllemanns Versuch, die lästige Geschichte Geschichte sein zu lassen, ein „Menetekel“, und postuliert: „Nicht auf den gebückten Gang der ewig Schuldbeladenen sollte man setzen, wenn man Lobbyarbeit für Israel in Deutschland betreibt, sondern auf den aufrechten Gang der Zivilcourage.“

Über die Hintergründe des besonderen engen Verhältnisses zwischen den Vereinigten Staaten und Israel informiert Robert J. Lieber. Professor für Regierungslehre und Internationale Politik an der Georgetown University, Washington D.C., in seinem Essay „Der amerikanische Freund“, während Marc Ottes Überlegungen zu „Europa als strategischer Partner Israels im Friedensprozess“ den Geburtstagsteil des Heftes abschließt. Marc Otte war u. a. Botschafter Belgiens in Israel und ist seit 2003 Vertreter der EU beim Nahost-Friedensprozess. Wie die meisten Autoren plädiert auch er für Intensivierung der Schritte auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung.

Das Heft kann keine Lösung bieten und keine Antwort auf die Frage geben, warum die Umfrage in Deutschland so negativ ausgefallen ist, seine Lektüre jedoch trägt dazu bei, dass die Ernsthaftigkeit des Problems zumindest seinen Lesern bewusster wird.

Elvira Groezinger: „Mazel Tov, Israel!”

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AUTHOR

Elvira Grözinger

Born 1947 in Poland as child of Holocaust survivors, grew up in Israel. Received a B. A. from the Hebrew University Jerusalem (English and French Literatures, Jewish History, History of Arts). Since 1967 in Germany –  Translators’ Diploma from the University of Heidelberg, studied then German Literature and Jewish Studies in Frankfurt on the Main. Doctorate in General and Comparative Literature from the Freie Universitaet Berlin. Worked as Lecturer in Literature and Scientific Researcher at Universities and academic Institutes in Frankfurt, Darmstadt, Potsdam and Berlin, now retired. As a long time WIZO-member she was for many years on the boards in Frankfurt and Berlin, and on the German Presidential Board. In 2007 she co-founded the German Section of SPME, and had been elected as its Vice President. Since February 2017 she is the President of the SPME-Germany. As publicist she gives lectures and publishes scientific and press articles. Author of 9 books, mainly on Jewish culture and literature and of over 200 scholarly articles and reviews.

Elvira Groezinger is married to Prof. em. of Religious and Jewish Studies, Karl E. Groezinger, affiliated Professor of the University of Haifa, has one married daughter who is a dermatologist, and two grandsons.


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