Gleich einem Todesstoß: Warum eine Gruppe Intellektueller die israelische Arbeitspartei verlässt

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Wahlen in Israel sind immer auch ein Bäumchen wechsle Dich. In den Wochen vor dem Urnengang werden Parteien gewechselt, neue kreiert, alte ad acta gelegt. Politiker, Parlamentsabgeordnete und Prominente in Israel schämen sich nicht, das Parteibuch auszutauschen, im Gegenteil. Das Wechseln gehört zum guten Ton. Es gilt als Zeichen der Unbestechlichkeit, des Neuanfangs.

Der seit fast drei Jahren im Koma liegende frühere Premierminister Ariel Scharon lieferte den Beweis, dass man die Partei wechseln kann, ohne dass dies dem Image schadet, sondern ihm auch dient. Nachdem die Kritik an dem von ihm forcierten Gaza-Rückzug im Likud nicht verstummen wollte, kehrte Scharon der rechtsnationalen Partei im November 2005 nach jahrzehntelanger Zugehörigkeit den Rücken und schuf “Kadima”, zu deutsch: Vorwärts. In ihr sammelten sich bekannte Überläufer, unter anderen Friedensnobelpreisträger Schimon Peres, der für Scharons Neugründung die Arbeitspartei “Avoda” verlassen hatte und heute Staatspräsident ist.

Eine Gruppe israelischer Intellektueller und Künstler hat jetzt, wenige Wochen vor der vorgezogenen Wahl am 10. Februar, der sozialliberalen Arbeitspartei den Rücken gekehrt – was einem Todesstoß der Partei gleichkommt. Unter den Parteirebellen befinden sich der Schriftsteller Amos Oz, der Soziologe und frühere Minister Uzi Baram, der frühere Parlamentssprecher Abraham Burg, der frühere Geheimdienstchef Ami Ajalon und Staatsrechtler Mordechai Kremnitzer. In harschen Worten werfen sie dem derzeitigen Parteivorsitzenden, Verteidigungsminister Ehud Barak, vor, er treibe Raubbau an den Idealen der (einst) linken Partei.

Autor Oz ist wütend und sagt: “Barak hat bei der Zeremonie zu Rabins Todestag vergangene Woche von Frieden geredet und dass gegen gewalttätige jüdische Siedler vorgegangen werden müsse. Und am nächsten Tag lese ich in der Zeitung, dass derselbe Barak den Ausbau jüdischer Siedlungen genehmigt hat!” Oz und rund dreißig weitere Freunde und Kollegen wollen nun gemeinsam mit den Mitgliedern der linken “Meretz”-Partei Anfang Dezember eine ganz neue Partei gründen. Derzeit werde noch nach einem Namen gesucht, sagt Oz. Man ist sich sicher, mit der Neugründung einen Sieg des rechten Likud unter dem früheren Premierminister Benjamin Netanjahu verhindern und gleichzeitig jene potentiellen Wähler gewinnen zu können, die in Israel schon seit Jahren nicht mehr zur Urne gehen.

Im Februar wählen die Israelis zum fünften Mal innerhalb von zehn Jahren ein neues Parlament. Umfrageinstitute sagen voraus, dass weniger als 60 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen werden – das wäre die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte Israels. Amos Oz sagt: “Wir wollen alle Linken unter einem Dach vereinen und eine klare Alternative sein zum rechten Lager.” Aber auch zur Arbeitspartei. Denn deren “historische Rolle” in Israels Parteienspektrum sei beendet. Die Avoda, so deren Totengräber Oz&Co, “geht haltungslos in jede Koalition” und besitze keine nationale Agenda. Oz selbst strebt kein Mandat an, schon gar kein Ministeramt, sollte die noch namenlose Bewegung in einer Koalitionsregierung sitzen: “Ich bin ja kein Politiker, sondern Schriftsteller.” Die neue Partei soll das Vakuum füllen, das die nach rechts gerutschte Arbeitspartei im linken Sektor hinterlassen habe. Man wolle enttäuschte Arbeitspartei-Anhänger gewinnen, umweltbewusste, reformfreudige und arabische Israelis. Für die traditionsreiche “Avoda” könnte der öffentlich inszenierte Exodus das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit nach sich ziehen. Schon jetzt ist die Partei nur noch mit 19 Abgeordneten im 120-köpfigen Parlament vertreten. Im Februar, orakeln Demoskopen, könne die Partei der Staatsgründer nur noch auf zwölf Sitze hoffen.

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