Ruth Contreras: Alte Narrative in neuem Gewand?

Eine Buchkritik
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Christa Chorherr
Wessen Heiliges Land?
Christen im Israel-Palästina Konflikt
ISBN: 3-7003-1643-7
BRAUMÜLLER 3/2008

Wer sich erwartet, aus diesem Buch Informationen zu erhalten, die eine objektive Darstellung der Situation im Nahen Osten garantieren, wird gleich bei der Lektüre der ersten Zeilen enttäuscht.

Das Buch enthält zwar im Anhang ein Literaturverzeichnis, im Text selbst werden die Quellen für Chorherr’s Behauptungen nicht zitiert, was es vor allem für Leser, die mit der Situation im Nahen Osten nicht vertraut sind, unmöglich macht, sich wirklich zu informieren und kritisch zu lesen.

Immer wieder stößt man auf Widersprüchlichkeiten und unexakte Angaben ohne entsprechenden Verweis auf die Quellen.

Der Leser wird mit Halbwahrheiten konfrontiert, die zu einer einseitigen Sichtweise beitragen, wie sie von vielen Medien vertreten wird. In diesem Zusammenhang sei sie selbst zitiert: Im Abschnitt: „Rolle der Außenstehenden“ stellt sie auf Seite 202 fest, dass es „um das Gleichgewicht der Berichterstattung“ gehe, sie sei „oft punktuell selektiv und vermutlich auch inszeniert“. Genau das trifft auf das vorliegende Buch zu.

So stolpert man gleich auf der ersten Seite im Kapitel „Die Bewohner des Heiligen Landes“ über irreführende Statistiken. So heißt es: „Ca 76% der Bewohner Israels sind Juden, nur sie sind Staatsangehörige….“ und wenige Zeilen darunter „…von den israelischen Staatsbürgern sind ca. 1.3 Millionen Palästinenser (SIC!)…. „ „Die meisten Palästinenser sind Muslime, ca. 5% davon sind Christen (abnehmend)..“

Auf Seite 17 wiederholt sie, dass Nicht-Juden keine israelischen Staatsbürger sein können, übersieht dabei aber geflissentlich, dass es auch muslimisch-arabische Knesset-Mitglieder gibt. Die in Israel lebenden Araber besitzen das Wahlrecht. Israel ist eines der wenigen Länder im Nahen und Mittleren Osten, in denen auch arabische Frauen wählen dürfen. Dem Kabinett von Ariel Sharon gehörte ab 2001 der erste arabische Minister, Salah Tarif, an, ein Druse, der bis 2002 als Minister ohne Geschäftsbereich amtierte. Bis 2006 war er mit Unterbrechungen Abgeordneter zur Knesset,. Sie erwähnt nicht, dass in Israel das Arabische wie das Hebräische offizielle Landessprache ist, es überall mehrsprachige Ortstafeln gibt (Hebräisch, Englisch und Arabisch) und auch eigene Schulen für die arabisch sprechenden Kinder existieren.

Chorherr behauptet auf p. 16ff. „Araber sind nicht zur Armee zugelassen.“ Das ist unrichtig. Arabische Bürger müssen nicht in der israelischen Armee dienen. So wird ihnen erspart, gegen ihre arabischen Brüder kämpfen zu müssen. Es haben sich aber immer wieder Araber freiwillig zum Militärdienst gemeldet und arabische Beduinen haben bei paramilitärischen Einheiten gedient. Für die Drusen und Tscherkessen besteht auf eigenen Wunsch Militärdienstpflicht.

Auch wenn sich die Autorin durchaus bewusst ist, dass es verschiedene Narrative zur Situation im Nahen Osten gibt, muss ihr die notwendige Objektivität abgesprochen werden.

Zwar anerkennt sie die Existenz Israels, stellt aber den 1948 rechtmäßig entstandenen Staat Israel wiederholt als eine der „besetzenden Mächte“ in der Region dar.

Chorherr arbeitet sehr oft damit, durch unvollständige Informationen ein falsches Bild von der Situation zu vermitteln.

So wird etwa berichtet, dass die 2. Intifadah durch den Besuch Sharons auf dem Tempelberg ausgelöst wurde (Chorherr, p. 122), aber verschwiegen, dass laut dem damaligen Kommunikationsminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, Imad Faluji, bereits im Juli 2000 diese Ausschreitungen geplant waren.

Die Legende vom angeblichen Tod des 12-jährigen Muhammed Al-Durah, durch israelische Soldaten dem „Symbol des Palästinensischen Aufstandes“ wird von ihr kritiklos übernommen (Chorherr, p. 122), obwohl es auch ihr spätestens zum Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeiten zu dem 2008 erschienenen Buch bekannt gewesen sein sollte, dass der in den Medien gezeigte Film über diesen Vorfall eine Fälschung und Anlass zu mehreren Gerichtsverhandlungen gegen den dafür verantwortlichen französischen Journalisten Charles Enderlinwurde.[1] Das endgültige Urteil ist im Mai 2008 zu erwarten[2]

Ebenso übernimmt sie – wie zu erwarten – die verzerrte Darstellung der Vorfälle um die Geburtskirche in Bethlehem, in der sich vom 1. April 2002 bis 12. Mai 2002 bewaffnete Palästinenser verschanzt hatten. Der wiederholt von Chorherr zitierte lateinische Patriarch Michel Sabbah (Pax Christi) hatte fälschlich behauptet, dass es sich bei ihnen um schutzlose Flüchtlinge gehandelt hatte, die in der Geburtskirche Zuflucht fanden. (Chorherr, p. 128)[3]

Scheich Ahmed Yassins Tod wird ein Abschnitt gewidmet (Chorherr p. 140), in dem allerdings seine Rolle bei palästinensischen Terroranschlägen ebenso verschwiegen wird, wie die wesentlichen Punkte der in diesem Zusammenhang erwähnten„Charta der Hamas“ in der zur Vernichtung Israels aufgerufen wird.[4]

Nicht überraschend ist daher auch Chorherrs am ehesten befürworteter Lösungsvorschlag für den Nahen Osten: eine Einstaatenlösung.


[1] Die Welt 14. November 2007: Wer tötete den kleinen Palästinenserjungen?
http://www.welt.de/politik/article1361971/Wer_toetete_den_kleinen_Palaestinenserjungen.html [27.3.2008]

[2] Expert: IDF Didn’t Shoot Intifada Icon Mohammad al-Dura; Media Yawn http://newsbusters.org/blogs/lynn-davidson/2008/03/03/expert-idf-didnt-shoot-intifada-icon-mohammad-al-dura-media-yawn [27.3.2008]

[3] Sergio MINERBI: The Vatican and the Standoff at the Church of the Nativity.- Jerusalem Viewpoints No. 515, 15. März 2004, JCPA http://www.jcpa.org/jl/vp515.htm [27.3.2008]

[4] The Covenant of the Islamic Resistance Movement – Hamas (MEMRI Special Dispatch 17, Februar 2006
http://www.memri.de/uebersetzungen_analysen/2006_01_JFM/hamas_charta_17_02_06.pdf [27.3.2008]

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