Prof. Julius H. Schoeps: Abwegige Parallelen

Wenn Islamophobie und Antisemitismus in einem Topf landen
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Europa erlebt derzeit den interkulturellen “Lackmustest” – und hat ihn noch längst nicht bestanden. Christen, Juden und Muslime wissen auf dem “Alten Kontinent” herzlich wenig voneinander, und auch deshalb geht in der Mehrheitsgesellschaft die Angst vor “den anderen” um.

Die “anderen” – Türken, Inder, Amerikaner, Russen und andere – werden von manch Alteingesessenen als bedrohlich empfunden, und unter bestimmten Konstellationen schlägt Vorurteil und Aversion in offene Feindschaft um.

Europäische Juden kennen das hässliche Spiel seit 2000 Jahren, und nicht einmal nach Auschwitz kam der kontinentale Antisemitismus wirklich zum Stehen. Synagogen, jüdische Kindergärten und Schulen bleiben weiter unter Polizeischutz, und Rabbiner und Chassiden werden auf offener Straße attackiert.

Aber auch andere Minderheiten erleben das Übel von offener Feindschaft und Übergriffen. Spätestens seit die Ägypterin Marwa Ali El-Sherbini im Juli 2009 in Dresden von einem fanatisierten Russland-Deutschen erstochen wurde, wird das Thema “Islamophobie” in Deutschland heftig und emotional diskutiert.

Wie islamfeindlich sind die Deutschen wirklich? Wie entsteht Islamfeindlichkeit, und wo liegen die tieferen Wurzeln? Nicht nur die Medien, auch die Sozialwissenschaften haben das Problem für sich entdeckt. Das ist wichtig und an der Zeit, denn andernfalls läuft Deutschland, läuft Europa Gefahr, am Ende tatsächlich in einen irreparablen “Clash der Kulturen” zu schlittern.

Eine ganz andere Frage bleibt, wie das Problem Islamfeindlichkeit erforscht, analysiert und bearbeitet wird. Da scheinen auch erfahrene Wissenschaftler vor Irrwegen nicht gefeit, was Professor Wolfgang Benz mit seinem Beitrag “Hetzer mit Parallelen” in der “Süddeutschen Zeitung” vom 4. Januar anschaulich unterstrichen hat.

Benz, der das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin leitet, bemüht sich in diesem Beitrag, Strategien ausgewiesener Antisemiten des 19. Jahrhunderts mit denen heutiger Islam-Gegner zu vergleichen.

Der Vergleich mag hehren Motiven entspringen, doch bei genauerer Betrachtung entpuppt er sich als unfundiert, zweifelhaft – wenn nicht sogar gefährlich. Wolfgang Benz bemüht die perfiden “Protokolle der Weisen von Zion” und Heinrich von Treitschkes antijüdischen Hasstiraden aus dem Jahre 1879 als historisch abschreckende Beispiele, um alsbald einen überraschenden moralischen Impetus zu formulieren: “Wer sich, zu Recht, über die Borniertheit der Judenfeinde entrüstet, muss aber auch das Feindbild Islam kritisch betrachten (das sich zuweilen eines aggressiven, aufgesetzten Philosemitismus bedient)”.

Zunächst gut verständlich für mich: Islamfeindliche Hetze kann Öl ins Feuer von rassistischen Straftaten gießen – so wie bei Hassparolen gegen Afrikaner, Inder, Vietnamesen, Homosexuelle, Lesben und Juden auch. Und dagegen gilt es die Stimme zu erheben.

Worauf Wolfgang Benz allerdings mit einem Vergleich von traditionellem Antisemitismus und aktueller Islamfeindschaft hinaus will, bleibt dem Leser des Beitrages verborgen, wohl auch dank des nebulös-vagen Nebensatzes. Sind “aggressive Philosemiten”, wie er erklärt, tatsächlich die schärfsten Islam-Feinde? Bedeutet “pro-jüdisch” – wenn auch “künstlich pro-jüdisch” – automatisch so etwas wie eine Anfälligkeit für “anti-islamisch”? Muss man, in der Zuspitzung, israelkritische oder antiisraelische Positionen vertreten, um nicht in Verdacht zu geraten “islamophob” zu sein?

Es sei ein Gebot der Wissenschaft, schreibt Benz in der “Süddeutschen Zeitung” weiter, Erkenntnisse aus “der Analyse des antisemitischen Ressentiments paradigmatisch zu nutzen”. Hier nun verliert der Leser endgültig den erkenntnistheoretischen Anschluss. Benz geht offensichtlich davon aus, dass es möglich ist, eine analytische Brücke zu schlagen, und zwar von einer Massenbewegung, die im Laufe der Jahrhunderte Kirchen, staatliche Autoritäten, Nationalisten, Intellektuelle und schließlich Nazi-Todesschwadronen im Kampf gegen die Juden vereinte, hin zu einem destruktiven Gegenwarts-Phänomen voll Hass, Intoleranz und krimineller Energie, jedoch ohne erkennbares ideologisches Gerüst, ohne politisches Programm, ohne staatliche Rückendeckung und ohne die übermächtigen Mythen von den “Feinden der Menschheit”.

Wo, frage ich mich, sind in diesem Vergleichskonzept die “parallelen Wahnvorstellungen”, gemäß denen Muslime “aus rituellen Gründen” Kinder töten, Brunnen vergiften, Kulturen und Völker zerstören, den Ärmsten der Welt das letzte Hemd nehmen oder wahlweise blutige Revolutionen anzetteln? Wo ist der muslimische Alfred Dreyfus, dem in Europa öffentlich die Epauletten abgerissen werden? Wer unterstellt (gemäßigten) Muslimen hierzulande den Plan von der großen Weltverschwörung?

Nur zu gern ließe ich mich korrigieren, doch bis zur Stunde waren derartige Negativ-Zuschreibungen noch immer für Juden “reserviert”, und neuerdings vor allem für Israel. Von Ahmadinedschads regelmäßigen Tiraden bis hin zum türkischen Kassenschlager “Tal der Wölfe” blüht der Antisemitismus, bevorzugt auch mit radikal-islamistischer Färbung, aber das ist kein Thema im besagten “SZ”-Artikel. Genauso wenig wie der Umstand, dass analysierte anti-islamische Polemik von objektiver Islam-Kritik sorgfältig getrennt gehört.

Derweil durchlebt Europas Zivilgesellschaft schwierige Transformationsprozesse, in der einseitige Schuldzuweisungen alles andere als hilfreich sind. Der “Alte Kontinent” hat den interkulturellen “Lackmus-Test” eben nicht nur mit abendländischen Ethnozentrikern, religiösen Gutmenschen, Künstlern, Anarchisten, schillernden Intellektuellen und passiven Beobachtern zu bestehen. Auch Radikale haben sich vor Ort eingelebt, die Allah und die Scharia um ein Vielfaches dem westlich-demokratischen Werte-Konsens vorziehen. Das macht islamfeindliche Tendenzen keinen Deut besser, aber Ängste und Abwehrhaltungen unter Nicht-Muslimen verständlicher.

Eine derartige Dynamik inter-kulturellen Konfliktes hat Europa bis in der Zeit vor dem Holocaust nicht gekannt, und auch deshalb hinkt der Vergleich mit christlich-jüdischen Beziehungsstörungen im 19. Jahrhundert. Hingegen bleibt zu befürchten, dass die geforderte “paradigmatische Anwendung” von Kenntnissen aus der Antisemitismusforschung – in welcher Wolfgang Benz über Jahrzehnte zugegebenermaßen Hervorragendes geleistet hat – im Kontext der Islamophobie-Debatte eine Verharmlosung historischer und aktueller Judenfeindschaft nach sich zieht. Cui bono?

Prof. Julius H. Schoeps: Abwegige Parallelen

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