Heimo Gruber: Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken.

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Berlin: Wolf Jobst Siedler jr. Verlag 2006. 167 Seiten. Euro 16,50
ISBN 3-937989-21-8

„Hurra, wir kapitulieren!“ handelt von der Reaktion Europas auf den islamistischen Fundamentalismus und sowohl der Titel als auch der Untertitel „Von der Lust am Einknicken“ drücken das Resümee des in Berlin lebenden Journalisten Henryk Broder aus, der unseren Gesellschaften ein unangemessenes Entgegenkommen gegenüber diesen Tendenzen vorwirft. Er vergleicht das mit der sogenannten Appeasement-Politik des Westens in seiner Reaktion auf das Nazideutschland der 30er Jahre, die in der Meinung, durch Nachgeben den Nationalsozialismus besänftigen und einen Krieg vermeiden zu können, dessen aggressive Bestrebungen erst recht ermuntert hat.

Der Autor präsentiert eine Fülle von Fakten, die seinen Befund abstützen sollen. Breiten Raum nehmen dabei die Auseinandersetzungen um den bekannten dänischen Karikaturenstreit ein. Wie immer man zu einer karikaturistischen Darstellung des Propheten Mohammed stehen mag – Tatsache ist, dass der Konflikt dadurch eskaliert wurde, dass dänische Imame bei ihrer von der ägyptischen Regierung gesponserten Informationsreise durch diverse islamische Länder nicht nur die zwölf Mohammed-Karikaturen von „Jyllands Posten“ herumgereicht, sondern drei Fälschungen hinzugefügt haben, die dort nicht erschienen sind, aber den Eindruck erwecken sollten, als wäre das der Fall gewesen. (Eine zeigt den Propheten Mohammed als pädophilen Teufel, die andere mit Schweineohren und die dritte stellt den Propheten beim Sex mit einem Hund dar.) Die Folgen sind bekannt: Eine Gewaltwelle mit Dutzenden Todesopfern und in Europa hat es mehr oder weniger einen Konsens darüber gegeben: Das war nicht gut. Damit war weniger die fundamentalistische Gewalt gemeint als die Veröffentlichung der Karikaturen. Der multinationale Konzern Nestle hat sofort eine Erklärung herausgegeben, dass in Nestle-Produkten keinerlei Zutaten aus Dänemark enthalten sind. In vielen Supermärkten wurde dänische Butter aus den Regalen genommen und Broder fügt noch eine Menge von weiteren Beispielen hinzu. So sprach etwa Günter Grass von der „fundamentalistischen Antwort auf eine fundamentalistische Tat“ und demonstrierte damit nicht nur scheinbare Äquidistanz, sondern stellte tödliche Gewalt auf eine Stufe mit Zeichnungen, an denen er obendrein die Verantwortung für die Auslösung des Nachfolgenden festmachte.

Die Berliner Landesschulbehörde bewirbt seit vielen Jahren für den Aufklärungsunterricht an Schulen das Theaterstück „Was heißt hier Liebe?“. Plötzlich hat das Landesschulamt jede Werbung dafür verboten, weil es die Gefühle islamischer Schüler verletzen könnte. Broder berichtet dann von Beispielen aus Klassen, in denen Schüler mit deutschem kulturellen Hintergrund in der Minderzahl sind und als Nutten, Schlampen und Schweinefleischfresser angepöbelt werden. Aus Frankreich und Großbritannien ist zu hören, dass es immer schwieriger wird, ohne gezielte Störungen im Geschichtsunterricht über den Holocaust zu sprechen und jüngst hat eine britische Schule deshalb den Holocaustunterricht aus dem Unterrichtsprogramm genommen, was einer Kapitulation gleichkommt.

Auch wenn das extreme Auswüchse sind und den Blick auf Beispiele erfolgreicher Integration verstellen, so müssen solche Tendenzen ernst genommen werden. Der Sozialwissenschaftler Bassam Tibi, selbst ein gläubiger Muslim, warnt vor einer Verharmlosung des islamistischen Fundamentalismus, den er – nach Faschismus und Stalinismus – als dritten großen Totalitarismus bewertet. Darauf mit vorauseilender Anpassung zu reagieren, ermuntert lediglich extreme Kräfte und verstärkt deren Bild des dekadenten, schwachen Westens.

Den Islam nicht nur als Religion, sondern als politische Ideologie und Herrschaftssystem zu verstehen, ist Kernbestandteil von islamistischem Denken. Eine historische Entwicklung, die das Fundament für individuelle Menschenrechte geschaffen hat, hat in der islamischen Zivilisation kaum stattgefunden. Der einzelne ist Teil der islamischen Umma, der weltumspannenden Gemeinschaft der Gläubigen und geht in ihr auf.

Im Westen hat es eine lange Entwicklung der Menschenrechte gegeben, beginnend vom Denken der Aufklärung über die Deklaration der Menschenrechte durch die Nationalversammlung der Französischen Revolution bis hin zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen

vom 10.Dezember 1948. Spätestens mit der UNO-Erklärung sind die Menschenrechte globalisiert, auch geografisch unteilbar und können überall eingefordert werden.

In einer Vielzahl islamischer Länder besteht ein gewisses Demokratiedefizit. Und was das aktuelle Problem mit dem Islamismus verschärft: Den Westen haben diese Menschen, das muss selbstkritisch festgestellt werden, vielfach nur in Form des Kolonialismus kennengelernt. In das Vakuum der mangelnden demokratischen Legitimierung von staatlicher Herrschaft dringt nun der islamistische Fundamentalismus ein.

Die Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie hat sich seit der Aufklärung streckenweise auch im Ringen mit der Religion (im Westen mit dem Christentum) vollzogen, hat aber generell dazu geführt, dass das Modell der Trennung von Staat und Kirche vorherrscht und sich die großen christlichen Kirchen dieser Entwicklung anpassten. Auch religiöse Menschen haben sich säkularisiert.

Der Islam stellt in einigen europäischen Ländern die zweitstärkste Religionsgemeinschaft; damit sind dessen fundamentalistische Strömungen hier ebenso präsent. Migranten und Migrantinnen müssen integriert werden, aber als Menschen und als Individuen, die das Recht auf Religionsfreiheit und Ausübung ihrer Religion in Anspruch nehmen können. Da es in der islamischen Zivilisation ein unterentwickeltes Bewusstsein von den individuellen Menschenrechten gibt, wird sich der einzelne – je strenggläubiger er ist – vor allem als Bestandteil der Umma (Gemeinschaft aller islamischen Gläubigen) sehen und die Integration als Muslim und nicht als Individuum fordern. Und hier liegt das Problem und der durch eine noch so harmonistische Sichtweise nicht wegzuleugnende Konflikt mit dem Islamismus. Menschenrechte haben säkulare Wurzeln und können nur vom Staat und nicht von der Religion garantiert werden. Aber dort, wo eine Religion und nicht staatliche Gesetze die Integrationsregeln vorgeben würde, wäre nicht nur die Rechtsordnung durchlöchert, sondern mit der Gewährung von religiösen Sonderrechten auch ein historischer Rückfall hinter die Entwicklung seit der Aufklärung gegeben.

Dieses Spannungsfeld bietet den Stoff für Broders Streitschrift. Es ist kein Buch über islamistischen Fundamentalismus (wer sich darüber informieren will, dem seien die Publikationen Bassam Tibis empfohlen: Der neue Totalitarismus – Die fundamentalistische Herausforderung – Fundamentalismus im Iran – Die islamische Herausforderung), sondern nur die Kritik an einer Variante der Reaktion darauf. Die „Lust am Einknicken“ ortet Broder überall am alten Kontinent. Er bringt ein Beispiel aus Holland, wo ein Professor seine Lehrveranstaltung beenden musste, weil er sich mit islamistischem Antisemitismus auseinandergesetzt hatte und berichtet über Auswüchse in Frankreich und Schweden. In Deutschland machte eine türkischstämmige Soziologin auf die Gefahren des islamistischen Fundamentalismus aufmerksam und handelte sich dadurch prompt den Protest von

30 deutschen MigrationsforscherInnen ein, die beleidigt reagierten und meinten, man solle lieber deren Expertenwissen vertrauen. Wie es überhaupt auffällig ist, dass Opfer des Fundamentalismus wie die Somalin Hirsi Ali oder moderate Muslime als kritische Stimmen nicht selten unerwünscht sind, weil sich andere beleidigt fühlen könnten, die man lieber nicht reizen will.

Israel bildet ein zentrales und konstitutives Feindbild des Islamismus und daher überraschen auch die entsprechenden Stimmungsströmungen im europäischen Mainstream kaum.

Während die einen – neben verbalen Konzessionen an das Existenzrecht Israels – selbst dieses Feindbild pflegen und der amerikanischen und israelischen Politik die Schuld am Erstarken des Islamismus zuweisen, nähren andere die Illusion, dass nach einer Lösung des Nahostkonflikts der islamistische Fundamentalismus gleichsam verschwinden werde.

Aus diesen Quellen speisen sich auch die Haltungen jener Politiker, die – kaum hatte die Hamas die Regierungsmacht in der palästinensischen Autonomiebehörde errungen – nicht müde werden zu erklären, wie wichtig es sei, die Hamas anzuerkennen oder ihr gar kräftig unter die Arme zu greifen. Auch das belegt Broder mit einer Vielzahl an Beispielen. Dass ausgerechnet zwei österreichische EU-Abgeordnete mit ihrem Besuch beim

Hamas-Ministerpräsidenten in Ramallah den Bann brechen werden, hat Henryk Broder bei der Abfassung des Textes noch nicht geahnt.

Manchmal überzieht Broder mit seiner Lust an Pointen; wenn er etwa schreibt, der Unterschied zwischen Islam und Islamismus sei so wie der zwischen Alkohol und Alkoholismus. Nun ist die islamische Kultur eine absolut alkoholabstinente und daher erhebt sich die Frage, ob dieser Vergleich notwendig ist und ob nicht damit jenen, die Broder Islamophobie unterstellen wollen, leichtfertig ein Angriffspunkt gegeben wird.

Aber alles in allem hat „Hurra, wir kapitulieren!“ seine Funktion erfüllt. Das Buch ist zum Wachrütteln gedacht und die Aufmerksamkeit und beachtliche Verbreitung, die es gefunden hat, werden künftige Sichtweisen seiner Leserinnen und Leser nicht unberührt lassen.

Heimo Gruber ist Bibliothekar der Büchereien Wien und Mitglied von SPME Austria

Heimo Gruber: Henryk M. Broder: Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken.

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