Elvira Grözinger: Die Deutsche Bahn und die Krux mit dem Gedenken

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Am 27. Januar 1945 wurden Überlebende des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit und 1996 hat der damalige Bundespräsidenten Roman Herzog diesen Tag als einen deutschen Gedenktag deklariert, der an den Mord an sechs Millionen Juden und vielen anderen Opfern des Nationalsozialismus erinnern soll. Das war nötig, denn die Geschichte des Nationalsozialismus schien der jungen Generation immer weniger bekannt zu sein. Aufgrund des UNO-Beschlusses von 2005 wird dieser Tag nun auch weltweit begangen, doch hierzulande ist es jedes Mal eine spannende Sache, ob und wie dieses Gedenken vonstatten geht, mit oder ohne Pannen und Fettnäpfchen.

Jetzt, im neuen Jahr 2008, hat man wieder das deutsche Problem mit dem Gedenken in aller Deutlichkeit vorgeführt bekommen: Es war der Kasus mit dem Münchner Faschingsumzug, der – wie einstmals in der „Hauptstadt der Bewegung“ – mit Tausend Teilnehmern und Tausenden von Zuschauern unter der Patronage des (SPD-) Oberbürgermeisters als unbeschwertes feucht-fröhliches Fest ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag stattfinden musste und bei dem erst aufgrund der Proteste die geplante Route geändert wurde. Und es war die lange Affäre um die Ausstellung der Deutschen Bahn über ihre Rolle bei den Deportationen der Opfer im Dritten Reich, die nun endlich gezeigt werden konnte.

Man ist hierzulande offenbar wenig geneigt, sich seine Laune verderben zu lassen und das Datum wird nach Kräften verdrängt, denn der Veranstalter der Münchner Riesengaudi, der Karnevalsverein “Die Damischen Ritter” hat einen Vorsitzenden, dem bei der Terminplanung nicht bewusst gewesen sein soll, dass es sich um den Holocaust-Gedenktag handelte: “Hätte ich damals gewusst, um welch brisantes Datum es geht, hätten wir mit Sicherheit einen anderen Termin gewählt”, sagte er dem Berliner Tagesspiegel.

Aber nicht bloß Karnevalisten haben solche Schwierigkeiten, wie die Ausstellung „Sonderzüge in den Tod – Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn“ nur allzu deutlich gezeigt hat. Sie wurde nun am 23. Januar 2008 in der Ecke eines unterirdischen Zwischengeschosses des S- und Zugbahnhofs Potsdamer Platz, neben der Berliner DB-Zentrale, eröffnet. Der Ort ist im wahren Sinne des Wortes zugig, freiwillig verweilt man dort nicht länger als unbedingt nötig, weshalb viele der überaus zahlreich anwesenden Journalisten von einer stiefmütterlichen Behandlung der ungeliebten Ausstellung sprachen, zumal oben, am Potsdamer Platz selbst, der von Tausenden von Passanten und Touristen täglich frequentiert wird, kein einziger Hinweis auf die Ausstellung angebracht wurde. Wollte man sie unsichtbar machen?

Die Frage ist nicht unberechtigt, wenn man sich die Vorgeschichte dieser Eröffnung vergegenwärtigt. Ursprünglich haben die Initiatoren der als Wanderausstellung konzipierten Schau über die Deportation jüdischer Kinder aus Frankreich nach Auschwitz und andere Vernichtungslager, Beate und Serge Klarsfeld, geplant, ihre Ausstellung auch auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen, weil sie in Frankreich eine große Resonanz erfuhr. Auf Initiative der Pariser Opfer-Organisation „Fils et Filles des Deportés Juifs de France (FFDJF)“ und mit der Unterstützung der französischen Bahnorganisation SNFC wurde sie in 20 großen französischen Bahnhöfen gezeigt. Doch der seit 1996 amtierende deutsche Bahnchef Hartmut Mehdorn (Jahrgang 1942) weigerte sich beharrlich, diese Konzeption zu übernehmen, da sie ihm als nicht angemessen erschien. Wie die Medien im In- und Ausland berichteten, ein Skandal bahnte sich an, was 2006 den Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee schließlich zum Eingreifen zwang. Er brachte die Überlegung ins Gespräch, die Fotos und Dokumente der deportierten Kinder statt auf Bahnhöfen, in zwei historischen Waggons zu zeigen, die auf einem Extra-Gleis stehen würden. Doch auch diesen Plänen widersetzte sich Mehdorn, der eine im Nürnberger Bahnmuseum bereits befindliche Ausstellung lediglich weiter ausbauen und so dem Ruf nach Öffentlichkeit entsprechen wollte. Es entstand der Eindruck, dass „die Deutsche Bahn nicht bereit dazu [ist], sie sich nicht ihrer Verantwortung stellen [will]“, wie die enttäuschte Beate Klarsfeld schon im November 2006 dem RBB sagte, denn „die Züge transportierten die Juden aus allen europäischen Ländern nach Auschwitz in die Vernichtungslager, und deswegen sollte eine solche Ausstellung am Bahnhof gezeigt werden. Die Bahnhöfe sind wichtig, weil sie in den Zentren der deutschen Städte liegen und einem Publikum zugänglich sind, das auf eine solche Ausstellung nicht vorbereitet ist, sie doch sieht und sehr, sehr viel daraus lernen wird.“

Vor einem Jahr, nach weiterem öffentlichem Druck, lenkte Mehdorn schließlich ein. Die Ausstellung, die in Deutschland als Wanderausstellung in Bahnhöfen mehrerer Städte gezeigt wird, wurde von Susanne Kill, der Haus-Historikerin der Deutschen Bahn, Alfred Gottwaldt vom Deutschen Technik-Museum Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Centrum Judaicum sowie den Klarsfelds neu konzipiert. Auf 40 Stellwänden sind die Fotos und Dokumente der deportierten Kinder sowie die Angaben zum individuellen Schicksal angebracht und über Kopfhörer kann man die Berichte der Zeitzeugen hören. Obwohl die Ausstellung nicht mehr wie von Klarsfelds gewollt, „11.000 jüdische Kinder – Mit der Reichsbahn in den Tod“ heißt, wurden die Opfer auf diese Weise doch noch „in die Wirklichkeit zurück“ geholt und ihnen „ein Gesicht“ verliehen, um sie der Anonymität zu entreißen.

Zu der Berliner Eröffnung, die übrigens nicht in dem neuen Prestige-Objekt der Bahn, dem Berliner Hauptbahnhof stattfand, sondern, angeblich aus „Sicherheitsgründen“ in dem lokalen Stadtbahnhof, kamen rund Vierhundert Interessierte. Mit solchem Andrang hat die Bahn wohl nicht gerechnet, denn sie hatte viel zu wenige Stühle bereit gestellt, so dass die zahlreich angereisten, meist betagten französischen Gäste, erst sitzen konnten, als ihnen die bereits sitzenden deutschen Besucher ihre Plätze überließen.

Zur Eröffnung dieser beeindruckenden wie bedrückenden Ausstellung, bei der die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, der Minister Tiefensee, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose und Beate Klarsfeld sowie Hermann Simon vom Centrum Judaicum sprachen, erschien Mehdorn nicht. Statt seiner war Margret Suckale vom Vorstand der DB dabei.

In Berlin wird die Schau drei Wochen zu sehen sein, so dass der Bahn-Chef vielleicht doch noch den Weg dorthin finden wird. Die weiteren Stationen sind Halle, Schwerin, Münster und andere größere Städte. Es ist bedauerlich, dass diese Bilder nicht auf Dauer auf den Bahnhöfen zu sehen sein werden, denn nur so würden sie die erwünschte Wirkung erzielen können und die Auseinandersetzung der Bahn mit der eigenen verbrecherischen Geschichte perpetuieren.

Elvira Grözinger: Die Deutsche Bahn und die Krux mit dem Gedenken

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AUTHOR

Elvira Grözinger

Born 1947 in Poland as child of Holocaust survivors, grew up in Israel. Received a B. A. from the Hebrew University Jerusalem (English and French Literatures, Jewish History, History of Arts). Since 1967 in Germany –  Translators’ Diploma from the University of Heidelberg, studied then German Literature and Jewish Studies in Frankfurt on the Main. Doctorate in General and Comparative Literature from the Freie Universitaet Berlin. Worked as Lecturer in Literature and Scientific Researcher at Universities and academic Institutes in Frankfurt, Darmstadt, Potsdam and Berlin, now retired. As a long time WIZO-member she was for many years on the boards in Frankfurt and Berlin, and on the German Presidential Board. In 2007 she co-founded the German Section of SPME, and had been elected as its Vice President. Since February 2017 she is the President of the SPME-Germany. As publicist she gives lectures and publishes scientific and press articles. Author of 9 books, mainly on Jewish culture and literature and of over 200 scholarly articles and reviews.

Elvira Groezinger is married to Prof. em. of Religious and Jewish Studies, Karl E. Groezinger, affiliated Professor of the University of Haifa, has one married daughter who is a dermatologist, and two grandsons.


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