Chava Gurion: „Schmutzwasserproduktion” in Bielefeld

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Jeder Mensch weiß, wie Kläranlagen funktionieren. Mit Fäkalien verschmutzte Abwässer aus der Umgebung werden in Röhren und Kanälen gesammelt und zur Anlage geführt. Nachdem die Brühe Pumpen und Filter passiert hat, bekommt man auf der einen Seite eine kleine Menge von Feststoffen, die verbrannt oder als Dünger verwendet werden können, auf der anderen Seite eine große Menge reinen Wassers, das zur Wiederverwendung durch alle genützt werden kann.

Dünger

In Bielefeld, Deutschland, funktionierte das kürzlich andersrum. Einige sich pfiffig fühlende, links-linke Deutsche, nebenbei wohl auch selbst ernannte „Antifaschisten“, wie wir annehmen können, erfanden eine „Schmutzumkehranlage“. Über dubiose Kanäle sammelten sie ein paar herkömmliche Lügen, falsche Anschuldigungen, schmutzige Gerüchte und Verleumdungen und verdichtete sie zu einer enormen Portion von Fäkalien, um das Ansehen eines einzigen Mannes zu beschmutzen. Paradox genug, wählten sie zum Opfer ihrer gemeinen Blutbeschuldigung ausgerechnet einen anerkannten Antifaschisten und Aktivisten gegen Antisemitismus aus, den jüdischen Journalisten Karl Pfeifer aus Wien, der u. a. auch Mitglied des österreichischen Sektion der Akademiker für den Frieden im Nahen Osten (SPME – Scholars for Peace in the Middle East) ist. Und in Traditionen, mit denen wir uns offenbar (wieder?) vertraut machen müssen, benützten diese „Antifaschisten“ – vielleicht unbewusst – ziemlich faschistische Methoden und Schablonen, um das Opfer ihrer Verleumdung auszuwählen. Man könnte jetzt durchaus einwenden, dass es diese paar Leute zu sehr aufwertet, wenn man den Vorfall in der Öffentlichkeit thematisiert. Dennoch, gäbe es keine Reaktion des Beleidigten und anderer, könnte diese kleine Gruppe meinen im Recht zu sein und ihren geistigen Müll über dieselben dunklen Kanäle verbreiten, die sie für ihre Falschinformation genützt hat. Selbstverständlich sind diese Leute allein zu unbedeutend um als Gefahr überschätzt zu werden. Daher sollte der Vorfall nur als Beispiel für leider viele ähnliche genannt werden. Traurig genug, dass all diese Fäkalien sehr leicht als Dünger für neuen Antisemitismus dienen können.

Was war geschehen?

Der 81-jährige Journalist und Shoah-Überlebende Karl Pfeifer war von einer Studentenorganisation an der Universität und Hochschule von Bielefeld im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zu einem Vortrag über „Rassismus und Antisemitismus in Ungarn“ eingeladen worden. Veranstalter war die linke, antifaschistische Gruppe „Antifa AG“ am Universitätscampus von Bielefeld. Der Vortrag war schon Ende Oktober für 19. November im Autonomen Jugendzentrum AJZ angekündigt worden, doch zwei Tage vor dem geplanten Auftreten Karl Pfeifers traten einige wenige Leute in einer so genannten „Hausversammlung“ von Vertretern mehrerer Gruppen, die das Jugendzentrum regelmäßig frequentieren, dagegen auf. Sie behaupteten, sie hätten Informationen erhalten, Karl Pfeifer habe während des Israelischen Unabhängigkeitskrieges, als er als Soldat im Palmach (der vorstaatlichen Elite-Kampfeinheit der Haganah) diente, an einem Massaker in einem palästinensischen Dorf teilgenommen. Sie gingen sogar so weit Karl Pfeifer zu unterstellen, er habe aktiv an den Tötungen mitgewirkt.

Ultralinke Basisdemokratie

Jene, die ihn beschuldigten, konnten weder den Ort des behaupteten Massakers noch andere Details dazu nennen und gestanden selbst ein, nicht über ausreichende Informationen zu verfügen. Als sie dann zur Untermauerung ihrer Anschuldigung gedrängt wurden, erledigten sie die Angelegenheit mit der schlichten Erklärung: „Pfeifer ist ein Zionist“. Drei oder vier Leute stimmten gegen die Abhaltung des Vortrags, das genügte für die Absage. In augenscheinlichem Bemühen unparteiisch zu erscheinen, fügten die Teilnehmer der Versammlung hinzu, sie wären auch nicht bereit, für ein ehemaliges Mitglied der militanten Palästinenserorganisation „Schwarzer September“ aus den 70-er Jahren als Gastgeber zu fungieren. Selbstverständlich ersuchte niemand im AJZ Karl Pfeifer selbst, die Anschuldigungen zu replizieren, bevor man beschloss, die Veranstaltung zu stornieren. Darüber hinaus war keiner von ihnen bereit, die Fragen von deutschen Journalisten nach dem Ausschließungsgrund zu beantworten, nachdem diese von dem Vorfall erfahren hatten. Karl Pfeifer erlangte nur Kenntnis über das Geschehene, weil es in der Antifa AG von zweien ihrer Mitglieder berichtet wurde, die an der gegenständlichen Versammlung teilgenommen hatten. Glücklicherweise konnten die Gastgeber Karl Pfeifers eine andere Räumlichkeit organisieren und er konnte seinen Vortrag halten. Dieser hatte Ungarn zum Thema, wo neuerdings ein Wiederaufleben rassistischer Aktionen und Äußerungen zu beobachten ist.

Tapfere „Antifaschisten“

Wenigstens in Deutschland und Österreich ist es leicht, als tapferer Antifaschist zu gelten. Man muss das nur auf seine Fahne schreiben, sich als fundamentalistischer Linker verstehen und laut „niemals wieder“ sowie „Frieden“ schreien. Und für die, die gewohnt sind, nur Schlagzeilen zu vertrauen und in ihnen zu denken, ist es nicht falsch „arme Palästinenser“ hinzuzufügen. Denn es ist leider Tatsache, dass eine Mehrheit linker „Antifaschisten“ sich nicht so sehr um kryptofaschistische Bewegungen und deren möglichen Einfluss auf Regierungen in Europa kümmert, oder etwa um das Regime im Iran, das offen mit faschistischen Methoden arbeitet, noch um ähnliche Regime. Ihren einzigen „Teufel des Faschismus“ orten diese ultralinken Rastermenschen ausgerechnet in Israel. An dieser Stelle kann der gesamte Komplex ihrer dahingehend tiefsten Ignoranz und ihres Realitätsverlustes nicht erörtert werden. Doch der Punkt ist, dass sich die große Mehrheit moderner deutscher und österreichischer linker „Antifaschisten“ – sei es nun die Masse der braven Nachplapperer, die Creme der so genannten Linksintellektuellen oder das geschlossenen System der Linksextremen – in ihrem leider theorieimmanenten Hang stets die „Underdogs“ zu vertreten, eben auch verpflichtet fühlen, einhellig „für die Palästinenser“ zu sein, was auch immer das tatsächlich bedeuten mag. Systematisch und ohne differenzierende Prüfung sind sie mehrheitlich daher bekennende „Antizionisten“. Wenigstens seit sie Israel auf der Landkarte finden können, ein bis fünf Bücher über den Nahostkonflikt gelesen haben (z. B. Chomsky, Finkelstein, Pappé, Walt & Mearsheimer, eventuell auch noch Segev etc., die als einzige auf der obligatorischen Liste linksextremer Propaganda stehen) und einseitige Berichterstattung auf TV-Kanälen verfolgen. Wofür im ökonomischen Bereich Banken weltweit hart arbeiten müssen – das Triple-A-Rating – das wird hier mit ideologischen Worthülsen problemlos geschafft: Antifaschismus, Antikapitalismus, Antizionismus. Wobei hinsichtlich der beiden letzten in aller Tapferkeit Israel geschlagen wird, aber natürlich die USA gemeint sind. Und es ist schlicht eine ihrer eigenen falschen Schlussfolgerungen, dass Antifaschisten niemals Antisemiten sein können. Yes, they can. Nur einige bekannte Namen unter ihnen würden hier eine Menge Platz beanspruchen.

Antizionistischer Zweck adelt die totalitäre Methode?

Nach der bizarren Logik der ultralinken Moralwächter in Bielefeld ist es also schon kriminell, ein Zionist zu sein. Sollen wir uns wundern, wenn sie mit dieser Logik immer stärker auch in demokratische Kreise eindringen möchten? Es erspart dort viel Denkarbeit, sich anhand von Ideologieschablonen aus der klassenkämpferischen Mottenkiste vorkonditionieren zu lassen, und immerhin können im Antizionismus beliebige Variationen von Antisemitismus bequem versteckt werden. Es wird natürlich etliche geben, die das eingedenk der Faschismus-Keule als Antisemitismus-Keule denunzieren, dabei aber bedenkenlos die Anti-Antizionismus-Keule schwingen. Halten wir fest: In einer Vorgangsweise, die uns aus der Geschichte wie in heutiger Zeit nur von totalitären Systemen und Regimes bekannt ist, wurde im AJZ in Bielefeld ein Urteil über einen alten Mann wegen vermeintlicher Taten in seiner Jugend gefällt. Ohne Konkretisierung der Anschuldigung, ohne Beleg der Fakten, ohne Anhörung. Für einen „Schuldspruch“ setzte eine kleine Minderheit ihre Meinung gegen eine Mehrheit durch. Ist eine auch nur annähernd ähnliche Vorgangsweise seitens der internationalen Antifaschisten gegenüber Nazi-Kriegsverbrechern erinnerlich? Darf man jetzt an die vielen bekannten, älteren, deutschen und österreichischen Männer denken, denen partielle Demenz hinsichtlich ihrer Rolle als junge NS-Soldaten zur Entschuldigung zugestanden wurde? Karl Pfeifer dagegen erinnert sich genau an seine Tätigkeit als Palmach-Soldat, aber er wurde nicht danach gefragt. Seine Untat war offensichtlich nur, Zionist zu sein. Man versteht, dass er sich nicht wegen der ihm fälschlich unterstellten Taten angegriffen und verurteilt fühlt, sondern dafür, was er ist. Ein Jude, der sich als Soldat in seiner Einheit gegen Angriffe verteidigte, für das Recht auf einen eigenen, von der internationalen Gemeinde längst zugesagten, jüdischen Staat kämpfte und nach wie vor die Existenz eines jüdischen und demokratischen Staates befürwortet.

Zionismusvorwurf als Schuldprojektion

Karl Pfeifer hat tatsächlich von 1946 bis 1950 zunächst im Palmach und dann in der israelischen Verteidigungsarmee IDF als Soldat gedient, aber nie an irgendwelchen Massakern teilgenommen. Er weiß, wie auch viele von uns, dass im Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn von beiden Seiten unangemessene Aktionen durchgeführt wurden, wie es zu Kriegszeiten leider geschieht und noch in keinem Krieg der Geschichte vermieden werden konnte. Jedoch ist ein Vergleich des Palmach mit der Terrororganisation „Schwarzer September“, die mörderische Terroranschläge auf Zivilisten, auch in völlig unbeteiligten Ländern, durchgeführt hat, ebenso skandalös wie dumm. Auf derart niedrigem Niveau vorgetragen, ist die verunglimpfende Absicht der Verleumdung leicht erkennbar: Karl Pfeifer passt als ehemaliger Palmach-Soldat genau in das Beuteschema arroganter Antisemiten.

Sie benützen den Nahost-Konflikt schamlos zur Schuldprojektion und erhalten so in europäischen Kreisen zunehmend Aufwind. Das bekannteste und am weitesten verbreitete Beispiel von Schuldprojektion ist die Diffamierung von Israelis als „Nazis von heute“. Und das, wie nun in Bielefeld geschehen, mit Opferfindungsmethoden, die an jene von NS-Organisationen erinnern lassen.

Chava Gurion: „Schmutzwasserproduktion” in Bielefeld

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