Im Iran-Konflikt reicht das “Prinzip Hoffung” nicht aus. Eine Antwort auf Christoph Bertram · Von Matthias Küntzel
Und wieder haben die Mullahs die Welt brüskiert. Nach der iranischen Ankündigung, zehn Urananreicherungsanlagen zu bauen, ist die Staatengemeinschaft ratloser denn je. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadineschad hat das Ende des jüdischen Staats angezählt, Israels Streitkräfte haben schon im vergangenen Sommer die Bombardierung iranischer Uranlagen in einem Großmanöver geübt. Die Lunte, die den ersten Weltkrieg des 21. Jahrhunderts auslösen könnte, brennt. Was ist zu tun?
Entspannung, was sonst? empfahl Christoph Bertram in der vergangenen Woche (ZEIT Nr. 50/09). »Wie damals bei der Sowjetunion kann der Westen nur gewinnen, wenn er auch Iran gegenüber hartnäckig auf Entspannung und Abschreckung setzt.« Abschreckung bedeutet: Wir gestehen Teheran die atomare Waffenfähigkeit zu, schrecken das Regime durch Androhung des Zweitschlags jedoch ab. Entspannung bedeutet: Wir verzichten auf Sanktionen und versuchen durch »Annäherung der Interessen … das gegenseitige Misstrauen abzubauen«. Bertram, der in den Siebzigerjahren das International Institute for Strategic Studies leitete, kennt sich mit den Usancen des Kalten Kriegs aus. Sein Versuch, die Lehren der sozialliberalen Entspannungspolitik auf das Iran-Dossier unserer Tage zu übertragen, ist hingegen verfehlt. Was bei den Marxisten funktionierte, klappt deshalb bei den Mullahs noch lange nicht.
Ein erster großer Unterschied betrifft die Haltung zum internationalen System: Der Kreml wollte die Weltordnung von 1945 nicht aus den Angeln heben, sondern stabilisieren. Sein Konzept der »friedlichen Koexistenz« sah weder Vernichtungsdrohungen gegen andere Staaten noch die Geiselnahme von Botschaftsangehörigen vor. Demgegenüber wähnt sich der iranische Präsident Ahmadineschad »inmitten eines historischen Krieges, der seit Hunderten von Jahren andauert«; eines Krieges, der das säkulare System durch eine theokratische Ordnung ersetzen und in einem ersten Schritt Israel beseitigen will. Von Koexistenz oder Ausgleich kein Wort. An diesem Fanatismus ist selbst Barack Obamas Sympathieoffensive abgeprallt.
Auch der Appell, beim iranischen Regime auf die kriegsverhütende Kraft der »Abschreckung« zu bauen, ist von Wunschdenken geprägt. Im Kalten Krieg waren beide Kontrahenten vom Vorrang des Überlebens überzeugt. Nur deshalb schreckte sie die Androhung des Zweitschlags ab. Khomeinis Glaubenskämpfer funktionieren aber anders. Hier ist der Überlebenswille verpönt und durch die Sehnsucht nach dem Tod ersetzt. Es gibt kein zweites Regime, das die Paradieserwartung und den Märtyrertod derart systematisch propagiert – und praktiziert! So wurden im Krieg gegen Irak Tausende iranischer Kinder als »Märtyrer« auf die Minenfelder geschickt.
Wird das Regime mit Atomwaffen anders umgehen? Die Antwort ist unbekannt. Wir wissen aber, dass Ahmadineschad auch das atomare Feuer zum Werkzeug seiner Mission machen will. »Die Nuklearisierung Irans ist der Beginn einer grundlegenden Veränderung in der Welt«, rief er 2007 seinen Anhängern zu. Wenn in Iran das Zerstörungspotenzial der Kernspaltung mit dem Furor des Religionskriegs zusammenkommt, ist das Risiko keineswegs gering, sondern hoch – unerträglich hoch jedenfalls für Israel, das die unmittelbare Bedrohung seiner Existenz nicht hinnehmen kann. Gerade diese Dimension des Konflikts spricht vollends gegen einen Vergleich mit dem Kalten Krieg: Je länger die internationale Staatengemeinschaft den Konflikt mit Teheran vermeidet, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Israel seine Verteidigung in die eigenen Hände nimmt. Wer den absehbaren Krieg vermeiden will, muss handeln, und zwar bald.
Doch ausgerechnet hier, bei der Frage, wie die Weltgemeinschaft den iranischen Atomplänen entgegentreten kann, sieht Bertram schwarz. Er behauptet, dass mit Sanktionen nichts erreicht werden kann – obwohl es ernst zu nehmende Sanktionen bislang nie gab. Dabei liegt der Instrumentenkoffer bereit. Er muss nur geöffnet und die Instrumente müssen ausgepackt werden.
Das ist erstens der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dessen bisherige Sanktionen, da hat Bertram recht, waren zu schwach, um die Politik des Regimes zu verändern. Doch drohte man den Mullahs in allen Resolutionen weitergehende Maßnahmen nach Abschnitt VII, Artikel 41 der UN-Charta an. Bis heute harrt dieser Maßnahmenkatalog seiner Umsetzung: Er sieht, solange Teheran die Sicherheitsratsbeschlüsse ignoriert, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die Einstellung des Luft-, See- und Eisenbahnverkehrs sowie die teilweise oder vollständige Unterbrechung aller Wirtschaftsbeziehungen vor.
Die Umsetzung solcher Maßnahmen hängt weder von der Zustimmung Moskaus noch von der Zustimmung Pekings ab, wie vielfach eingewendet wird. Es ist vielmehr eine Frage politischer Führung. Hätte Willy Brandt seinerzeit die neue Ostpolitik von einem Beschluss des Sicherheitsrats abhängig gemacht, hätte es diese nie gegeben.
Da ist zweitens das Aktionsfeld der Europäischen Union. Hier hat das niederländische Parlament neue Maßstäbe gesetzt. Es forderte die europäischen Verantwortlichen auf, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen, also den Handel mit ihnen zu unterbinden. Da die Revolutionsgarden mehr als 70 Prozent des iranischen Außenhandels kontrollieren, wäre der Effekt groß.
Drittens ist in besonderem Maße Deutschland als der wichtigste westliche Handelspartner Irans gefragt. Was hält die Bundesregierung eigentlich davon ab, ihre Handelsbeziehungen zu einem Land abzubrechen oder auf ein Minimum zu reduzieren, das Israels Zerstörung propagiert? Am Interesse deutscher Exporteure kann dies kaum liegen, betrug doch der Anteil der Iranexporte am Gesamtaufkommen der deutschen Exportwirtschaft im Rekordjahr 2005 gerade einmal 0,6 Prozent. Während die deutsche Wirtschaft ein Iranembargo verkraften könnte, gilt das umgekehrt nicht. Die iranische Industriestruktur ist von deutscher Technik dominiert und in diesem Hightech-Segment auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen.
Bertram geht auf diese Möglichkeiten nicht ein und lässt auch den Wandel innerhalb Irans außer Acht. Dabei wirkt sich die Tatsache, dass sich das Land seit der Wahlfälschung vom Juni 2009 in zwei einander feindlich gegenüberstehende Blöcke gespalten hat, auch auf das Atomprogramm aus. Erstens gerät mit den Eskapaden Ahmadineschads auch dessen Lieblingsprojekt in die Kritik. »Ein grüner Iran braucht kein Atomprogramm« – diese Parole wird seit Anfang November von der Protestbewegung skandiert. Zweitens hat das Argument vom bösen äußeren Feind, gegen den sich Volk und Führung wehren müsse, ausgedient. Stattdessen wird der Westen aufgefordert, sind endlich zu entscheiden – für oder gegen die iranische Opposition.
Berlin spielt beim Irankonflikt in der ersten Reihe mit. Bisher hat es Sanktionen eher abgebremst denn forciert. Die Juni-Erhebung hat nicht nur die Islamische Republik, sondern auch die deutsche Iranpolitik in eine Krise gestürzt. Die Position der Nicht-Ausgrenzung Irans, die Deutschland seit Beginn des Atomstreits verfolgt, ist gescheitert. Wenn es dabei bleibt, statt den Druck zu erhöhen, fördert Deutschland nolens volens eben das, was es verhindern will: den Krieg.
Aus: Die ZEIT Nr. 51/09, 10. Dezember 2009.
Bertrams Artikel, auf den sich meine Antwort bezieht, findet sichhier