Taliban nutzen die Schwächen der Demokratien

Islamexperte Bernard Lewis fordert Konsequenz beim Kampf gegen die apokalyptischen Fanatiker - und mehr Unterstützung für Reformer
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Princeton – Der Westen muss Reformern helfen, den Islam von radikalen Islamisten zu befreien, sagt der Islamexperte Bernard Lewis. Er schließt neue Großanschläge auf den Westen nicht aus. Viel hänge von der Politik des nächsten US-Präsidenten ab, ob der reformerische oder der radikale Islam siegreich sein wird.

DIE WELT:

Als jüngst die Mittelmeer-Union gegründet wurde, gab es Debatten, ob man denn mit vermuteten Sponsoren von Terroristen wie Syriens Präsident Baschar al-Assad verhandeln solle. Nun hat er es in den Élysée-Palast geschafft wie einst Jassir Arafat in das Weiße Haus. Verliert die freie Welt den Kampf gegen die radikalen Islamisten?

Bernard Lewis:

Das Ringen gegen die Islamisten ist weder verloren noch gewonnen. Wir haben überlebt, weil die Feinde noch größere Fehler als wir gemacht haben. Man sollte aber nicht mit Terroristen verhandeln. Denn sie können keineswegs durch Gespräche verwandelt werden. Das ist die Erfahrung meiner Generation, die das Beugen vor der Terrorgefahr mit der Politik der Beschwichtigung, appeasement, des damaligen britischen Premiers Chamberlain und dem Münchner Abkommen verbindet. Zwar leben wir in einer anderen Zeit. Doch sind die Grundprinzipien des menschlichen Benehmens gleich: Schwäche und Furcht ermutigen den Gegner.

Aber die Menschheit hat schon den Nazismus und den Bolschewismus überwunden. Wird die Niederlage des Islamismus unsere Befreiung sein?

Lewis:

Vor allem die Befreiung des Islam, aber auch unsere. Wenn wir sie nicht von ihren Tyranneien befreien, dann werden sie uns zerstören. So war es gleichwohl mit den Nazis und den Bolschewiki. Alle drei Gruppen haben viel gemein – und voneinander gelernt.

Zum Beispiel im Mantel sozialer Wohltaten daherzukommen wie die libanesische Hisbollah?

Lewis:

Die drei genannten Gruppen eint auch ihre Fähigkeit, die Schwächen in unserer Gesellschaft zu entdecken und auszunutzen. Zum Beispiel unsere pluralistische Offenheit und der Mangel an Konsequenz in Zeiten, in denen Konsequenz besonders nötig ist.

Das scheint umso fataler, als es im Westen den “Kurs des vorauseilenden Zurückschreckens” gibt, des “preemptive cringe”.

Lewis:

Ja, nach dem Motto “Was haben wir nur getan, um sie zu verärgern, und wie können wir es korrigieren?”

Der Iran hat gerade Syrien mit Konsequenzen gedroht wegen seiner informellen Gespräche mit Israel, die zu einer Anerkennung des jüdischen Staates führen könnten. Zeigen sich da Risse in der merkwürdigen Achse Iran-Syrien?

Lewis:

Diese Gespräche sind beiderseits eher taktischer Art. Doch ist die Achse tatsächlich in Gefahr: Im Irak geht es nun wesentlich besser. Das Regime stabilisiert sich. Viele Teile des Landes zeigen sich friedlich und normal. Das gefährdet das benachbarte Syrien und den Iran, deren Regime weder friedlich noch normal sind. Die religiösen Fanatiker wie die von Syrien unterstützte libanesische Hisbollah sehen im apokalyptischen Kampf den Triumph ihrer Sache. Das gilt nicht minder für al-Qaida und den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Der Iran feiert im nächsten Jahr das 30. Jubiläum seiner Islamischen Revolution. Dieser aber geht es heute schlechter als je zuvor.

Woher kommt dort der extreme Hass gegen die Juden und den israelischen Staat?

Lewis:

Im Iran ging es Juden zwar nicht so gut wie in der Türkei, aber doch relativ gut. Obwohl Deutsche dorthin eine Art des europäischen Antisemitismus gebracht haben. Die Nazis betonten nicht zu Unrecht, dass “Arier” und “Iran” dieselbe linguistische Wurzel haben. Überdies meinten sie, dass die Iraner nicht so wie all diese “semitischen Völker” rundherum seien. Diese deutsche Propaganda war im Zweiten Weltkrieg recht effektiv. Sie zeitigt noch immer ihre Spuren. Zudem hatte Schah Reza Pahlawi diplomatische Beziehungen zu Israel hergestellt.

Dadurch, dass Teheran die radikal-islamische Hamas und die Hisbollah unterstützt, wurde es zu einem Hauptakteur im israelisch-palästinensischen Konflikt, obwohl es fernab liegt. Und wenn der Westen nicht einheitlich vorgeht, könnte dieses Regime, das Israel von der Landkarte fegen möchte, bald über Atomwaffen verfügen.

Lewis:

Das ist eine große Gefahr. Es gibt auch weitere iranische Vorstöße, durch den Irak und Syrien nach dem Libanon, im Süden zu den palästinensischen Gebieten, im Osten durch Afghanistan nach Zentralasien. Die Iraner propagieren auch dort messianisch ihre Islamische Revolution.

Stichwort Afghanistan: Sind die Länder des Westens gegenüber den Taliban am Hindukusch konsequent genug?

Lewis:

Nein, eher zeigt sich die Entschlossenheit der afghanischen Regierung gegen die Islamisten. Der Westen sollte mehr tun. Die Taliban nutzen die Schwächen der demokratischen Ordnungen aus, wo man allzu leicht zum “Chamberlain-Gambit” neigt: “Lasst uns verhandeln und sehen, was wir für sie tun können.”

Auch in der Türkei entbrennt ein harter Machtkampf zwischen Säkularen und Islamisten.

Lewis:

Der ist sehr ernst und läuft auf eine größere innere Konfrontation zu. Früher intervenierte das Militär. Doch heute sorgt es sich für diesen Fall um den angestrebten Beitritt in die Europäische Union.

Ist Ankara nicht mehr die große Hoffnung für den Reform-Islam?

Lewis:

Doch, Anhänger des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan betonen, in Europa gebe es christlich-demokratische und christliche Parteien, die zuweilen die Regierung bilden. Warum solle das nicht in einer islamischen Demokratie so sein? Ein gutes Argument, wobei sie dessen Wahrheitsgehalt erst noch beweisen müssen.

Kommen wir zum Erdöl: Auch im Nahen Osten befördern Energie- und Klimawandel das Ende der Erdöl-Ära. Was bedeutet das für diese Länder?

Lewis:

Den Militanten würde eine Finanzierungsquelle ausgehen. Ihr Fanatismus lebt bekanntlich von Ignoranz. Der Erdölreichtum war doch ein Desaster. Ein geflügeltes amerikanisches Wort lautet: “Keine Steuern ohne repräsentative Vertretung.” Arabern flossen die Erdölprofite nur so zu, ohne dass sie im Innern eine repräsentative Vertretung entfalten mussten. Das stärkte die autokratischen Regime, und es blockierte viele andere Arten der wirtschaftlichen Entwicklung.

Zum Beispiel die Bildung. Die Misere in der arabischen Bildung besteht fort, wo nach wie vor ein beträchtlicher Teil vor allem der weiblichen Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann. Ist Besserung in Sicht?

Lewis:

Frauen sind die beste Hoffnung für islamische Regionen. Das haben dortige Autoren vor zwei Jahrhunderten schon erkannt. Sie fragten, warum ihr Raum, der doch so lange die zivilisatorische Entwicklung anführte, so stark zurückgefallen sei. Ein türkischer Autor spitzte es einmal zu: “Wie können wir mit dem Westen konkurrieren, wenn wir nur die Hälfte der Talente unserer Bevölkerung nutzen?” Übrigens haben im Irak die Frauen viel Fortschritt zu verzeichnen. Und dies im gesamten vorigen Jahrhundert.

Es gibt also Hoffnung an Euphrat und Tigris. Wird Amerika länger im Irak militärisch präsent sein?

Lewis:

Möglich, aber ich halte es für weniger wahrscheinlich. Ich vermute, diese Präsenz wird, sobald es geht, beendet werden. Wie viel Staub wirbelten die amerikanischen Truppen auf, die nur zum Schutz Saudi-Arabiens gegen Saddam Hussein da waren. Und Amerika hegte dort keinerlei imperiale Interessen, erregte aber durch seine zeitweilige Militärpräsenz viel Feindschaft. Dies rief auch Osama Bin Laden auf den Plan, wie er es selbst erklärt hat. Man darf nicht vergessen, dass für Muslime Saudi-Arabien das Heilige Land ist, nicht Palästina.

Das US-Magazin “New Yorker” brachte unlängst eine Karikatur Barack Obamas: Er ist darauf islamisch gekleidet, seine Frau erscheint als militanter Angela-Davis-Typ, an der Wand hängt ein Bild Bin Ladens, und im Kamin brennt eine US-Flagge. Obama erfährt viele Sympathien im islamischen Raum; Hamas-Führer traten sogar für ihn ein. Schadet ihm das daheim?

Lewis:

Die Karikatur sollte Obama verteidigen und eine Satire auf Leute sein, die gegen ihn sind. Aber das ging nach hinten los. Wir kennen Obamas Stand noch nicht. Bei ihm geht noch viel hin und her. Viel wichtiger ist, welche Botschaft wir den Militanten übermitteln, gegen die wir im Irak kämpfen. Sie verstehen nichts von Demokratie und legen das übliche Hickhack vor Wahlen als Schwäche, Furcht und Unentschlossenheit aus. All das ermutigt sie.

Rechnen Sie mit neuen terroristischen Großanschlägen im Westen?

Lewis:

Sie sind nicht auszuschließen. Viel hängt davon ab, welche Politik der nächste Präsident Amerikas verfolgt. Fällt er in den Stil der 1990er-Jahre zurück, werden wir wieder Angriffe erleben. Der Fehler lag besonders darin, keine effektiven Gegenmaßnahmen ergriffen zu haben. Terroristen würden nicht zögern, nukleare Waffen zu benutzen. Für sie, mit ihrer apokalyptischen Vision, wirkt eine derartige Zerstörung nur noch viel verlockender.

Der Orientalist Carl Heinrich Becker meinte, der große Gegensatz bestehe nicht zwischen Christentum und Islam, sondern zwischen mittel- und fernöstlichen Religionen, wenn man hier einmal das Judentum, das Christentum und den Islam als Religionen aus dem mittelöstlichen Raum gelten lässt. Meinen Sie, dass Indien und China ein Gegengewicht bilden werden?

Lewis:

Bei China bin ich mir nicht so sicher, welchen Weg es einschlagen wird. Es hat eine beträchtliche Minderheit von Muslimen, die zu einem gewissen Maße auch politisch aktiv ist. Aber davon dringt wenig nach außen. Das demokratische Indien hingegen wird in jedem Falle eine große Rolle spielen. Es ist zwar kein islamisches Land, hat aber eine immens große islamische Minderheit: Nach Indonesien die zahlenmäßig zweitstärkste islamische Gemeinschaft der Erde. In Indien leben immerhin mehr Muslime als in Pakistan. Auch von dieser Warte her befindet sich Indien in einer speziellen Position. Es wird die Entwicklung in der Welt stärker beeinflussen. Man sollte überdies die Muslime Russlands und die auf dem Balkan nicht vergessen, wobei Letztere anders als die heute üblichen Einwanderer nach Europa oftmals gar die gleiche Ethnizität und Sprache wie die übrigen Einwohner dieser Region haben.

Meinen Sie noch immer, dass Europa Ende des Jahrhunderts islamisch sein wird?

Lewis:

Möglich, vielleicht weniger wahrscheinlich. Vor allem wegen des neuen Bewusstseins in Europa. Die Hauptsache sind demografische Trends, Migration und Geburtsrate. Sicher, Einwanderer passen sich an. Sie sehen dies an Israels Arabern: Sie haben mehr Kinder als die jüdischen Einwohner, aber weniger als ihre arabischen Nachbarn. Dennoch, geht dies in Europa so weiter, wird es zum Ende des Jahrhunderts eine muslimische Mehrheit haben. Überdies ist Polygamie zwar gegen das Gesetz. Wenn sie aber in muslimischen Familien vor der Einwanderung bestand, dulden sie einige Regierungen Europas auch danach. Mit allen Folgen für die Sozialleistungen.

Islamexperte Bernard Lewis (92) wurde am 31. Mai 1916 in London geboren, wo er an der School of Oriental and African Studies als Historiker und Islamwissenschaftler abschloss. An der Princeton University im US-Bundesstaat New Jersey lehrte er bis zu seiner Pensionierung 1986. Er ist Professor emeritus für Nahost-Studien und gilt als einer der besten Kenner des Islam. Der Nestor der angelsächsischen Islamwissenschaften ist seit 1982 Amerikaner. Lewis hat 25 Bücher geschrieben, darunter: “Der Untergang des Morgenlandes”, “Die Araber” und den Bestseller “What went wrong?”, der sich mit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA auseinandersetzt.

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