Interview mit dem Aachener Politikwissenschaftler Richard Gebhardt über über den Aachener Friedenspreis und die Kölner “Klagemauer”,

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“Es gibt in Deutschland das merkwürdige Gefühl, die israelische Politik nicht kritisieren zu dürfen”

Ein Interview mit dem Aachener Politikwissenschaftler Richard Gebhardt über den Aachener Friedenspreis und die Kölner “Klagemauer”, über die blinden Flecke der deutschen “Friedensfreunde” und die Dimensionen des Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft…

Interview: Uri Degania

Uri Degania: Ende 2010 haben nahezu alle demokratischen Parteien Kölns und zahlreiche Kölner Initiativen in einer parteiübergreifenden Resolution gegen die als antisemitisch empfundenen Darstellungen an der „Kölner Klagemauer“ protestiert. Solche parteiübergreifenden Resolutionen kommen unter konkurrierenden Parteien nur höchst selten vor. Wie beurteilen Sie als Politikwissenschaftler den Inhalt und die Wirkung dieser Resolution?

Gebhardt: Resolutionen dieser Art sind immer symbolpolitische Rituale – und haben dennoch eine reale politische Wirkung. Wie Ortsschilder mit dem Zusatz „Düren gegen Rassismus“, wie Stolpersteine oder die antifaschistische Umbenennung einer Straße. Diese Rituale bieten Orientierungspunkte dafür, wie die politische Kultur einer Stadt ausgerichtet werden soll. In ihnen zeigt sich das Selbstbild der Stadt, nicht die politische Realität. Das Signal ist aber klar: Den Aktivisten der Klagemauer werden die Grenzen der Kritik aufgezeigt.

Herr Herrmann stellt seit vielen Jahren vor dem Kölner Dom Papptafeln mit umstrittenen Aussagen auf. Er macht dies bis heute. Durch diese Tafeln wird das geistige Klima einer Stadt mit geprägt. Wie beurteilen Sie die Aktivitäten Herrmanns? Wie wirkt es auf Sie, wenn gerade Deutsche in der von ihm gewählten Weise Israel und Juden auf das Schärfste verurteilen?

Ihre Frage berührt einen sehr grundsätzlichen Punkt: Wann schlägt die Kritik an der israelischen Regierung in Ressentiment um, ab wann werden die Grenzen der Kritik überschritten, ab wann werden antisemitische Stereotype eingesetzt, um die israelische Politik zu denunzieren? Prinzipiell ist das Recht auf freie Meinungsäußerung ein hohes Gut. Als politischer Aktivist wäre ich immer dafür, das Maximum auszuloten. Was aber als Maximum gilt, ist Resultat der Kräfteverhältnisse in der Öffentlichkeit. Und über die Frage, ab wann eine öffentliche Äußerung antisemitisch ist, herrscht kein Konsens – weder in der Wissenschaft, noch in der politischen Debatte. Die Diskussionen um die Walser-Rede, um Möllemann, Karsli, Hohmann oder eben die „Klagemauer“ erinnern mich aufgrund der begrifflichen Konfusion, die in diesen Fällen herrschte, an das Wort des amerikanischen Verfassungsrichters Potter Stewart, der in einem konkreten Fall über die gesetzliche Ahndung von Pornographie zu befinden hatte, vor der konkreten Definition, was Pornographie denn sei, aber zurückschreckte. Sein Motto lautete schlicht: “But I know it when I see it…” Politologen sollten sich also nicht einbilden, dass sie die Grenzen der Kritik bestimmen oder Definitionen aufstellen können. Sie sollten schlicht den ideologischen Rahmen der Debatte aufzeigen.

Es verwundert mich immer, wenn eine Kritik der israelischen Politik mit dem Zusatz „gerade ich als Deutscher“ versehen wird. Soll das bedeuten, dass wir „als Deutsche“ so gut aus Auschwitz gelernt haben, dass wir nun den Israelis Ratschläge erteilen können, unsere Verantwortung also gerade in der Erteilung von Zensuren in Sachen Menschenrechte besteht?

Sie fragen, wie die „Klagemauer“, von der ich mich als Pendler lange Jahre vor Ort überzeugen konnte, auf mich wirkt? Nun, prinzipiell habe ich kein Problem mit scharfer Kritik. Avigdor Lieberman wird in der israelischen Presse häufig als „Rassist“ bezeichnet – warum sollte dies prinzipiell nicht auch an einer Kölner „Klagemauer“ möglich sein? Warum sollten Hermann und seine Mitstreiter nicht den Einsatz von Streubomben ein „Verbrechen“ nennen können?

Wer wirklich die freie Rede und eine offene Gesellschaft verteidigen will, in der auch der Prophet Mohammed nach allen Regeln der blasphemischen Kunst verspottet werden darf, müsste auch diese Polemik aushalten können.

Der Aufschrei über die Situation in Gaza wäre also völlig legitim. Dies als subjektiver Eindruck vorweg. Wenn wir aber auf die konkrete Kölner „Klagemauer“ schauen, erkennen wir in der Agitation gegen Israel folgendes Muster: Dämonisierung, Delegitimierung, Doppelstandards. Israel gilt als alleiniger Kriegstreiber und wird als „kollektiver Jude“ symbolisiert, während die andere Konfliktseite – etwa die Hamas und deren antisemitische Charta – vornehm ignoriert wird. Schon Möllemann konnte trefflich gegen Ariel Scharon schimpfen und zugleich als Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft einen Kotau vor dem damaligen syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad machen, ohne dass diesem „Menschenrechtler“ irgendein Widerspruch aufgefallen wäre. Es ist gerade diese Einseitigkeit, die verdächtig ist. Und sobald das Recht auf freie Meinungsäußerung genutzt wird, um – wie im Kölner Fall – Ritualmordlegenden und mehr in den Umlauf zu bringen, ändert sich der Rahmen der Debatte. Denn dann steht nicht mehr das Recht auf Kritik, sondern die tatsächliche Volksverhetzung im Zentrum der Diskussion. Einen Beitrag zu Völkerverständigung leistet die „Klagemauer“ also nicht. Für Walter Herrmann und seine Mitstreiter ist Israel der Schurkenstaat, die anderen Staaten und Konfliktparteien sind die Opfer. Und in seiner Agitation schreckt Herrmann auch nicht vor antisemitischen Stereotypen zurück. Sie haben das ja auf haGalil häufig dokumentiert. Die Grenzen der Kritik werden also im politischen Prozess ausgehandelt – und der verläuft nun einmal nicht unter aseptischen Laborbedingungen. weiter zum Artikel

Interview mit dem Aachener Politikwissenschaftler Richard Gebhardt über über den Aachener Friedenspreis und die Kölner “Klagemauer”,

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