Die ersten Israelis

Eine Rezension von Karl Pfeifer
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Die ersten Israelis
Die Ersten Israelis. Die Anfänge des Jüdischen Staates.. Tom: Segev. Published by München, Siedler, 2008, 2008. EUR 19,90 pp.416

Interessant fand ich in dieser Ankündigung, die Aussage„zionistische Mythen wurden von der harten politischen Realität infrage gestellt.“

Interessant, dass dem sozialistischen Renner Institut die Infragestellung „zionistischer Mythen“ so wichtig scheint, dass es dafür auch zwei höchst zweifelhafte Autoren wie Mearsheimer und Walt nach Wien einlud, die den alten Mythos von der jüdischen Verschwörung, von der Lobby, die angeblich der Regierung in Washington DC die Politik vorschreibt, aufwärmten.

Israel entsprach nicht genau dem, was Theodor Herzl erträumte. Schon bei der Entstehung des Staates war es kein Geheimnis, Selbstkritik war schon immer eine Eigenschaft, an der es Juden nicht mangelte und alle eigenen Mythen wurden vom Anfang an in Frage gestellt.

Es ist sicher kein Zufall, dass Juden etwas für utopische Bewegungen übrig hatten, und wer sah schon zu Zeiten von Theodor Herzl den Zionismus als eine nationale Bewegung an, die erfolgreich eine Revolution durchführen würde?

Utopie bedeutet einen Zustand, in dem ideale Bedingungen herrschen. Da dies natürlich nicht erreichbar ist, werden die Menschen unzufrieden sein und sich immer mehr anstrengen, um doch einiges zu erreichen. So gesehen hat die zionistische Revolution immerhin einen Staat geschaffen, nachdem Juden zweitausend Jahre keinen hatten, trotz dem Vorurteil, das besagte, Juden wären nicht fähig einen eigenen Staat zu verwalten, Es hat eine Masseneinwanderung, – mit allen Problemen – erfolgreich integriert. Eine jüdisch-israelische Nation entstand, mit eigener Sprache, eigener Kultur und eigener erfolgreicher Ökonomie, eine Nation, die bereit war schwere Opfer zu bringen, um in einem jüdischen und demokratischen Staat zu leben und die diesen Staat in mehreren Kriegen auch erfolgreich verteidigte.

Tom Segev stellt sich naiv. Er bestellte sich Akten, die einen Sachverhalt zeigten, der dem widersprach was er in der Schule gelernt hatte. „Dabei sind wir mit dem Mythos aufgewachsen, in Israel eine gerechte Gesellschaft ohne Diskriminierung aufzubauen.“ Das, obwohl er selbst anmerkt, dass das Wort Zionismus schon damals als synonym für leeres Geschwätz benützt wurde. Also kein Mensch, der damals in Israel lebte und seine fünf Sinne beisammen hatte, konnte glauben, dass ausgerechnet in Israel eine gerechte Gesellschaft ohne Diskriminierung aufgebaut wird. Es gab zwar ein Segment der Gesellschaft – die Kibbuzbewegung – in der es so schien, aber wie wir heute wissen, ist die Kibbuzbewegung in tiefer Krise, weil sich eine auf Gleichheit basierende Gesellschaft anscheinend auf die Dauer nicht halten kann.

Segev lässt den Eindruck entstehen: Wenn nur die heutige israelische Führung auf die „neuen Historiker“ hören würde, so wäre der Frieden zu erreichen und erkennt an, dass die meisten Israelis Frieden wollen und bereit sind einen bestimmten Preis dafür zu zahlen. Doch: „Inzwischen umgeben sich die Israelis mit Zäunen und Mauern, die das Leben der Palästinenser erschweren.“

Obwohl diese Zäune und Mauern die Anzahl der Terroranschläge vermindert haben, erwähnt das Segev nicht, denn wenn das Leben israelischer Bürger oder die Bequemlichkeit von Palästinensern auf die Waagschale geworfen wird, dann wiegt anscheinend für Tom Segev die Bequemlichkeit der Palästinenser mehr als das Leben seiner Mitbürger. Solches wird ja im Ausland belohnt, da wird man dann als „guter Israeli“ herumgereicht und von den Medien beachtet und manchmal sogar bejubelt.

Es ist schon lehrreich, wie Segev die Probleme der Integration von Einwanderern schildert und dabei keine Schwierigkeit und keine Fehler auslässt. Doch im Endeffekt wurden einige Einwandererwellen, d.h Millionen Menschen erfolgreich integriert, obwohl doch die Einwanderer in der Regel nicht Hebräisch sprachen und aus einer ganz anderen Gesellschaft kamen. Hingegen flüchteten die Palästinenser meistens lediglich ein paar Kilometer weiter in Ortschaften, wo sie nicht ihre Sprache oder Gewohnheiten wechseln mussten: „Was das Flüchtlingsproblem betraf, stellte sich heraus, dass das Nationalbewusstsein der Palästinenser, je länger sie sich im Stich gelassen fühlten und je länger sie im Exil verharrten, umso stärker wuchs und damit die Chancen sie in arabischen Ländern anzusiedeln, immer geringer wurden.“

Was dabei Tom Segev unterschlägt, ist die Tatsache, dass die arabischen Regime, von Anfang an keine Absicht hatten, diese Menschen zu integrieren und alles daran setzten, sie in Lagern unter entwürdigenden Bedingungen zu halten. Diese Länder von denen wirklich keines demokratisch ist, haben ein Interesse daran, von ihren eigenen Problemen mit Hinweis auf das Schicksal der Palästinenser, ablenken zu können und tragen die Hauptschuld an der bis heute dauernden Diskriminierung der Palästinenser (Ausnahme Jordanien). Die palästinensische Elite unterstützt diese Politik seit Jahrzehnten und redet den Palästinensern ein, dass es eine Rückkehr zum status quo ante geben könnte..

Ben Gurion werden schwere Vorwürfe gemacht, dass er nicht auf die harten Bedingungen der arabischen Regime für einen Frieden eingegangen ist. Immerhin haben die arabischen Staaten den Krieg begonnen und er wollte diese deswegen nicht noch belohnen.

Hat schon irgendjemand gehört, dass man den indischen und pakistanischen Führungen Vorwürfe gemacht hätte, weil sie nicht bereit waren, nach dem 1947/48 zehn Millionen geflüchtet waren, diese Flüchtlinge wieder zurückzubitten? Natürlich nicht, aber Tom Segev macht Ben Gurion und den damaligen israelischen Politikern den Vorwurf, Flüchtlinge nur im Rahmen von Familienvereinigung, die Genehmigung zur Rückkehr gegeben zu haben.

Ausgesprochen lehrreich ist das Kapitel „Die erste Million“ über die Einwanderung nach Israel, in dem er dokumentiert, wie Juden aus den Volksdemokratien von Zionisten und Israel freigekauft wurden, um ihnen die Einwanderung nach Israel zu ermöglichen. Erschütternd sind die Berichte über Juden in der arabischen Welt, über deren Armut und wie sie von den arabischen Staaten behandelt wurden. Das sei all denjenigen empfohlen, die für jede und sei sie noch so grobe Menschenrechtsverletzungen arabischer Staaten Verständnis aufbringen, gleichzeitig aber von Israel die Maßstäbe einer Utopie einfordern.

Segev schreibt über die israelische Arme: „Abgesehen von den schweren Verlusten und den militärischen Niederlagen, den Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden, die es im Laufe des Krieges gegeben hatte…“

Was hier Segev tendenziös betont, waren wirklich Randerscheinungen in der Armee und nicht charakteristisch, verglichen mit anderen Armeen, waren diese Erscheinungen marginal. Wenn man bedenkt, dass Israel erst im April 1948 die ersten schweren Waffen erhielt, sind die Leistungen der militärischen Führung und der Soldaten nicht zu unterschätzen. Das erkennen auch führende Militärhistoriker an. Das passt aber nicht in die antizionistische Narrative und daher werden die militärischen Niederlagen, die es auch gab von Segev derartig hervorgehoben.

Gewalt die von Juden begangen wurde, wird von ihm betont während er die arabische Gewalt vernachlässigt.

Utopien haben immer ein romantisch-mystisches Element, doch Segev überschätzt seine Rolle als Historiker und als jemand der angebliche Mythen zerstört. Ich las als israelischer Soldat bereits 1949 das Buch von S. Jishar in dem er schilderte, wie israelische Soldaten die Bewohner eines arabischen Dorfes vertrieben und in meiner Einheit löste das Buch heftige Diskussionen aus. Benny Morris Buch über die Entstehung des palästinensischen Flüchtlingsproblems wurde schon 1991 auch in Hebräischer Sprache veröffentlicht. Dank Ephraim Karsh „Fabricating Israeli History / The „New Historians“ (Hebräisch „Fibruk haHistroia haJisraelit 1999 und zweite Auflage 2001) wissen wir, welche bisweilen ganz grobe Fehler bzw. Fälschungen diese „neuen Historiker“, die von Segev gelobt werden, begangen haben.

Segev wirft den israelischen Politikern vor, nicht für einen Frieden – auf dem Papier – den hohen Preis bezahlt zu haben, den seine Feinde verlangten und versucht die andere Seite als friedfertig darzustellen und er bemängelt durchgehend, dass die israelischen Regierungspolitiker nicht nach den heutigen vorgegebenen hohen moralischen europäischen Standards handelten: Auf den gegebenen historischen Kontext geht er nicht ein, deshalb soll daran erinnert werden, dass in der Zeit nach 1945 Millionen von Menschen vertrieben worden sind und mit der Ausnahme von Israel nirgendwo ernsthaft die Forderung nach Rückkehr erhoben wurde. Im Falle Israels aber „übersieht“ er, dass lediglich ca. 10 Prozent der palästinensischen Flüchtlinge während Kriegshandlungen vertrieben worden sind. Wenn wir nun vergleichen, was unter den Augen der europäischen Staaten im früheren Jugoslawien passiert ist, dann können wir getrost der damaligen israelischen Führung Humanismus bescheinigen, gerade dann, wenn eine verlogene palästinensische und antizionistische „Narrative“ darauf besteht, dass Israel die Palästinenser so behandelt, wie die Nazis die Juden oder sogar schlechter.

Segev versucht auch mit diesem Buch infotainment zu liefern, doch das gelingt ihm nicht durchgehend, die vielen ermüdenden Details überwiegen und manches stimmt auch nicht, so schreibt Segev, dass in Deir Yassin „über 200 Menschen“ getötet wurden. Bereits vor Jahren hat ein Wissenschaftler der Bir Zeit Universität herausgefunden, dass es 100-110 Opfer waren; auch war Schulamit Lev-Ari kein Kolumnist sondern eine Kolumnistin.

Für ein Verständnis der Konflikte der israelischen Gesellschaft ist das Buch entbehrlich.

 

Die ersten Israelis

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