Chava Gurion: Die dunklen Seiten des Planeten

  • 0

Chava Gurion: Die dunklen Seiten des Planeten
Die dunklen Seiten des Planeten: Rudi Gelbard, der Kämpfer. Eine Reflexion . Walter Kohl., 2035. EUR 27,00 pp.235

„Schon wieder ein Buch über die KZs. Als hätten die Israelis diese Sachen nicht schon genug instrumentalisiert für ihre widerliche Apartheid-Politik.“ Man kann sich sein Gegenüber auf der Rückfahrt per Bahn, von der Buchpräsentation in Linz nach Wien, nicht aussuchen. Einer Buchpräsentation, die mit der Begrüßung des Gastgebers vom Linzer Wissensturm sowie einfühlsamen Reden von Peter Weidner (Bund der Freiheitskämpfer Linz) und Sozialminister Buchinger eingeleitet worden war, anhand treffend ausgesuchter Textstellen eine spannende wie bannende Autorenlesung bot und schließlich im Vortrag der Hauptfigur Rudi Gelbard über die Shoah samt Diskussion gipfelte. Niemand ging von diesem Abend ohne Ergriffenheit, aber auch nicht ungetröstet.

Diesen Zufall, auf ein Gegenüber mit unmissverständlichem Zugang zu „diesen Sachen“, der Shoah nämlich, samt der leider weit verbreiteten, „zeitgemäßen“ Verknüpfung mit Feindseligkeit gegenüber Israel zu treffen, hat sich das Buch wirklich nicht verdient. Das Buch, das ich nun druckfrisch in Händen halte, seine Rückseite unvermeidlich dem Blick des Gegenübers aussetze. Ein Gegenüber, gewiss nicht bildungsfern, daher doppelt bedauerlich vom herrschenden Mainstream selbst instrumentalisiert. Die unfreiwillige, doch notwendig nachgefolgte Diskussion mit ihm hat mit dem Buch selbst nichts zu tun und wäre eine andere Geschichte.

Andererseits, gerade der Kämpfer Rudi Gelbard, in Selbstbezeichnung „Zionist sozialdemokratischer Prägung“, wäre wohl erfreut, dass das Buch über ihn, eine Zentralgestalt der Shoah-Überlebenden in Österreich, schon in seinen ersten Minuten der Öffentlichwerdung eine solche Diskussion über Israel und eine straffe Gegenargumentation zu einem offensichtlich stark links orientierten Friedensbewegten einleiten konnte.

Das, was sich zwischen einem einfühlsam gestalteten, berührenden Umschlag in seiner äußeren Form als Buch präsentiert, ist allerdings in seiner unmittelbaren wie immer wieder nachklingenden Wirkung viel mehr als das. Es ist vor allem mehr durch das, was es nicht ist und nie sein wollte, auch an keiner Stelle vorgibt zu sein.

Es ist keine übliche Biografie – dazu fehlen die vom Autor Walter Kohl bewusst vermiedenen, weil vom Beschriebenen kategorisch ausgeschlossenen Details über private Aspekte des Lebens eines Überlebenden der Shoah. Das macht das Buch umso interessanter, da es abschweifende Gedanken der Lesenden ausschließt und alle Sinne auf die unermesslich leidvolle Dramaturgie eines Lebens wirft, dessen erster Phase einer fröhlichen Kindheit eine zweite der Verachtung, Verfolgung und tödlichen Bedrohung gefolgt war – Kindheitsjahre von besonders prägender Bedeutung, wie es die Psychologie nennt. Eine geraubte Jugend, geraubte Perspektiven, wenigstens nur das sein und werden zu können, was allen Gleichaltrigen der vom Rassenwahn der Nazi-Ideologie Unbetroffenen so selbstverständlich offen gestanden war. Jugendjahre, reduziert auf die täglich wiederkehrende Perspektive „auf Transport“ zu kommen oder nicht, jeden Überlebenstag als gewonnenen zu empfinden und dennoch nicht zu wissen, ob Dankbarkeit dafür überhaupt angebracht sei.

Wer das Buch nur als weitere Grundlage der Shoah-Literatur rein wissenschaftlich als Nachschlagwerk nutzen möchte, auf den kommt eigene Arbeit zu: Zahlen- und Datenmaterial ist zwar akribisch genau in den Text gewoben, alle Fakten sind belegt und die Quellen genannt, auf ein Sach- und Personenregister wurde vom Autor aber bewusst verzichtet. Der Textfluss wird auch nicht durch Fußnoten nach Wissenschafterart gehemmt. So möge der oder die Lesende im Inhalt festgehalten werden und fortschreiten, nicht in individuelle Unsicherheiten abschweifen, die auch nachträglich geklärt werden können. Damit wird vom Lesenden, besser: vom Erlebenden zu Recht ein besonderer Zugang zum Inhalt gefordert: Der Wissensdrang kommt an der Geschichte des Rudi Gelbard nicht vorbei. Dennoch bietet das Buch zahlreiche Einblicke in bisher wenig oder kaum Dokumentiertes, Zitate, Ergänzungen, Erläuterungen und Querverbindungen zu zeitgeschichtlichen Fakten, die der Autor penibel recherchiert hat.

Im Sinne des besonderen Zugangs zum Inhalt wurde vom Autor auch bewusst auf ein Inhaltsverzeichnis verzichtet. Die Geschichte des Rudi Gelbard ist keine, der man sich abschnittsweise, über spezielle Interessenspunkte nähern kann, schnell mal zwischen Kaffee und Frühstücksbrot, zwischen Abendnachrichten und Hauptfilm. Dieses Buch fordert den Respekt der ganzen Zuwendung, wie das Leben des Rudi Gelbard.

Rudi Gelbard ist ein Verführer, Autor Walter Kohl ist ein Verführer. Er nimmt uns an der Hand und führt uns in seine Reflexion der Lebensgeschichte dieses ungebrochenen Kämpfers gegen Faschismus und Antisemitismus hinein, die uns nicht loslässt bis wir im Heute angekommen sind. Fast gefangen, verführt vom großen Verführer Rudi Gelbard, suchte Walter Kohl während seiner Arbeit dennoch Distanz und befragte auch dessen Weggefährten und Freunde. Das Ergebnis blieb gleich. Es ist kein Abstand möglich zur Geschichte des Rudi Gelbard. Ja, dieses Buch ist eine Reflexion. Es ist aber gleichzeitig auch ein Freund. Immer wieder ein mahnender Freund, wenn wir uns übermütig in Alltagsbanalitäten verwirren, ein aufmunternder Freund, wenn wir in Hoffnungslosigkeit versinken. Niemand bleibt unerschüttert, niemand bleibt ungetröstet zurück. Doch auch niemand unaufgerufen.

No pasarán!

Chava Gurion: Die dunklen Seiten des Planeten

  • 0