Antisemitismus an der Uni Hamburg

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Antisemitismus an der Uni hat in Deutschland lange Tradition. Auch im Sommersemester 2005 sollte an der Universität Hamburg eine Vorlesung zum Thema Der neue Antisemitismus: Ein Weltproblem? stattfinden. Prof. Dr. Rolf Hanisch, Professor am Institut für Internationale Angelegenheiten, war auf dem besten Wege sich dieser langen Tradition anzuschliessen.

Bereits im Vorfeld hatte die Hamburger Studienbibliothek (HSB) in einem kritischen Brief an die Universitätsleitung[1] darauf hingewiesen, dass die Ankündigung der Vorlesung im Vorlesungsverzeichnis eine antisemitische Ausrichtung der Vorlesung vermuten ließ. Hanisch kündigte an: Der Dozent teilt allerdings wesentlich Befunde der aktuellen Antisemitismuskritik nicht und vertritt damit eine Minderheitenposition. Im Sitzungsplan waren Vorlesungen zu Themen wie Sind Juden selbst schuld am Antisemitismus?, Das Lebensrecht Israels? Welches Israels? und ,Ungerechtfertigte Kritik an Israel und Antisemitismus: Auge um Auge, Zahn um Zahn’” vorgesehen. Schon aus diesen wenigen Zeilen ließen sich fast alle Denkmuster eines sekundären Antisemitismus, eines deutschen Antisemitismus nach Auschwitz, erkennen.

Die erste Vorlesung am 07. April 2005 war von einem bunt gemischten Publikum besucht, das sich bereits in der ersten Sitzung Statements wie Der Vorwurf des Antisemitismus trifft meist die Falschen oder Die richtigen Antisemiten werden nicht verfolgt, weil wir uns nur mit den halben Antisemiten beschäftigen. Und es wird viel tabuisiert, das schränkt die wissenschaftliche Meinungsfreiheit ein anhörte. Der Hanisch – wie er sich selbst stets nannte – ist für Hanisch (Ich kann nur sagen: Ich leugne meinen Antisemitismus ) ebenso wenig ein Antisemit, wie Walser, Möllemann oder Hohmann. Die ZuhörerInnen machten – bis auf wenige Ausnahmen – keine Anstalten, dem irgendetwas entgegen zu setzen. Einzelne verließen den Raum, die Mehrheit jedoch schien an Hanischs lockerer und jovialer Art Gefallen zu finden. Mit zynischem Grinsen verteilte Hanisch Kopien des eingangs erwähnten Briefs mit dem Hinweis, dieser Schmutzbrief trifft den Kern dessen was ich hier versuche zu sagen und bezeichnete ihn als Pflichtlektüre.

Trotz umfangreicher Kritik und eines zweiten Flugblatts gab es auch nach der zweiten Vorlesung, weder von Hanisch, noch von den ZuhörerInnen, irgendwelche Anzeichen, sich mit den Vorwürfen auseinander zu setzen. Daraufhin beschlossen die KritikerInnen die Vorlesung zu blockieren. Die dritte Sitzung wurde deshalb von einem eigens gebildeten Bündnis gegen antisemitische Lehrveranstaltungen (BgaL) aus studierenden und außeruniversitären AntifaschistInnen mit Transparenten und Trillerpfeifen gestört. Einzelne Studierende schlossen sich dem Protest an, die große Mehrheit regte sich über die Störaktion auf: Das ist ja wie 33. In der Folge kam es zu fast tumultartigen Szenen übereifriger HörerInnen, die – wie ein älterer Kommilitone mitteilte – endlich mal die Judenfrage diskutieren wollten. Bei der vierten Sitzung wurde das Gebäude von AntifaschistInnen blockiert, woraufhin der damalige Geschäftsführende Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft, Prof. Dr. Friedbert Rüb, die Hanisch zugeneigten TeilnehmerInnen mit ins Institutsgebäude nahm, nicht ohne sich über die SA-Methoden der Blockierenden aufzuregen. Ab diesem Zeitpunkt fand die Vorlesung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Blocksitzungen statt, damit die Frage nach dem Lebensrecht Israels, was laut Prof. Rüb ja auch in der arabischen Welt wissenschaftlich diskutiert ” werde, geklärt werden konnte.

Als Skandal muss nicht nur angesehen werden, dass ein Professor in Hamburg 2005 eine antisemitische Lehrveranstaltung halten wollte, sondern dass dies weder für Universitätsgremien, noch für die Öffentlichkeit, noch für eine nennenswerte Anzahl der Studierenden ein Problem darstellte.

Aufgrund dieser desaströsen Situation an der Uni Hamburg entschloss sich das BgaL in Zusammenarbeit mit der HSB, für das folgende Semester mit einer selbstorganisierten Veranstaltungsreihe mit begleitendem Lektürekurs im Rahmen der Freien Hamburger Hochschule (FHH) eine kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus anzustoßen. Für den Lektürekurs wurde ein Reader zusammengestellt und ein Konzept für 8 Sitzungen erarbeitet. In diesen wurde sich mit der Antisemitismuskritik der Kritischen Theorie sowie mit verschiedenen historischen Erscheinungsformen des Antisemitismus und ihrer theoretischen Analyse auseinandergesetzt. Obwohl die erste Sitzung dieses Lektürekurses sehr gut besucht war, kamen trotz massiver Werbung leider von Sitzung zu Sitzung weniger Menschen in das Seminar. Für die verbleibenden TeilnehmerInnen entstand jedoch ein produktiver Rahmen für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, die im folgenden Semester mit einem Lektürekurs zum Thema „Psychoanalyse und Antisemitismuskritik” fortgesetzt wurde.

Parallel zum Seminar wurde eine Vortragsreihe zur Kritik und Analyse des Antisemitismus mit fünf Vorträgen organisiert, die durchgehend gut besucht waren. Vier dieser fünf Vorträge wurden für das FSK aufgezeichnet, bearbeitet und gesendet. Diese möchten wir Euch jetzt noch kurz vorstellen.

Den Eröffnungsvortrag bildete Das bürgerliche Subjekt und seine Feinde. Antisemitismus und Antifeminismus bei Otto Weininger von Christine Achinger (University of Warwick/UK). Darin analysiert sie die 1903 erschiene Dissertation Geschlecht und Charakter, in der Weininger seine Theorie zweier gegensätzlicher Prinzipien M (ännlich) und W (eiblich) entwarf. Achinger interpretiert dies als die Herstellung des bürgerlichen männlichen Subjekts durch Abwehr und Verfolgung des Naturhaften und Irrationalen im Prinzip W. In einem weiteren vielfach unbeachteten Kapitel führt Weininger auch das Prinzip J (üdisch) als die Verkörperung des Abstrakten ein, das das bürgerliche Subjekt gewissermaßen von der anderen Seite bedroht. So analysiert Achinger Weiningers Text mit Hilfe der Dialektik der Aufklärung als Versuch der Abwehr von Naturherrschaft im Prinzip W und von Kulturherrschaft im Prinzip J, das bürgerliche Subjekt somit als permanent prekäres, eingeklemmt zwischen zwei Fronten. (Otto Weininger selbst erschoss sich im Jahr der Erscheinung seines Buches.)

Achingers Vortrag bietet sowohl eine hervorragende Einleitung in die Grundkonzeption der Dialektik der Aufklärung, als auch eine außergewöhnlich spannende Analyse der Verknüpfung von Antifeminismus und Antisemitismus.

Im zweiten Vortrag mit dem Titel Islamismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus erläuterte der Politologe Matthias Küntzel (SICSA/Hebrew University of Jerusalem) die historische Verbindung des arabischen mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus. Insbesondere den Ideologietransfer Nazi-Deutschlands, das über Radio Zeesen ein speziell entwickeltes arabisch-sprachiges Programm in den Nahen und Mittleren Osten ausstrahlte, interpretiert Küntzel als Verbindungslinie zwischen Nazis und der frühen palästinensischen Nationalbewegung unter Mufti Mohammed Amin al-Husseini.

Küntzels Vortrag ist eher historisch angelegt und sei besonders jenen empfohlen, die sich über die guten Verbindungen zwischen der Führung des Dritten Reichs und den ersten palästinensischen Nationalisten informieren wollen.

Der dritte Vortrag von Klaus Briegleb (Berlin) trug den Titel Fayngolds Opfervergleich: Über den lüstern erzählten Antisemitismus des Günter Grass.

An Günther Grass’ Roman „Blechtrommel” zeigt Briegleb exemplarisch die Verschränkung von Opferdarstellung und Obszönität. Mit der „engführenden Lektüre einzelner Textpassagen zeigt er auf wie Antisemitismus sich unbewusst-bewusst fortschreibt. Insbesondere die Rolle des Romans in der bundesrepublikanischen Rezeption wird von Briegleb als Versuch deutscher Schuldabwehr interpretiert.

Der vierte Vortrag von Frank-Oliver Sobich (Bremen) zum Thema Wallstreet, Westbank, Weltverschwörung. Über den Zusammenhang von Antisemitismus und Antiamerikanismus geht auf die Paralellen von antiamerikanischem und antisemitischem Verschwörungsdenken ein. Sobich interpretiert beide Ressentiments als konformistische Rebellion, also als vemeintlich rebellischen Aufstand ehrlicher deutscher Bürger gegen amerikanische Unkultur und seelenlosen Materialismus. Der Antiamerikanismus gilt ihm dabei als Musterbeispiel einer Auslagerung gesellschaftlicher Konflikte in das außereuropäische Ausland, zum Beispiel wenn ständig auf die unmenschlichen Haftbedingungen im Gefangenenlager Guantanamo hingewiesen wird, dabei aber die Bedingungen in den deutschen Abschiebeknästen in unmittelbarer Nähe nicht erwähnt werden.

Sobichs Vortrag trifft eine sehr aktuelle Problematik, da eine verkürzte Kapitalismuskritik gegen Heuschrecken und US-Finanzinvestoren in breiten Teilen der Linken immer noch vertreten wird, ohne die problematischen Anknüpfungspunkte an antisemitische Stereotype zu reflektieren.

Der fünfte Vortrag von David Hirsh (London) vom Netzwerk ENGAGE, der aus Zeitgründen leider nicht aufgezeichnet werden konnte, thematisierte aktuelle antisemitische Vorfälle an englischen Universitäten, wo unter anderem eine Kampagne zum Boykott israelischer WissenschaftlerInnen ausgerufen wurde.

Die Vorträge können bei www.freie-radios.net als Serie „Theorien des Antisemitismus” heruntergeladen werden. Ob zu Hause, auf Eurem MP3-Player oder den Barrikaden, unserer Ansicht nach stellen sie immer noch eine gute Grundlage für eine Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten des Antisemitismus dar.

BgaL

www.freie-radios.net

Serie “Theorien des Antisemitismus”

www.engageonline.org.uk


[1] 1 Eine Dokumentation zu den Aktivitäten und Flugblättern findet sich unter www.studienbibliothek.org/texte/reader_hanisch_2.pdf

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