Interview mit Michael Kiefer: Islamischer Antisemitismus

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Als Deutscher kann man in islamischen Ländern gelegentlich eine Form der Gastfreundschaft kennen lernen, die bestürzt. Dann nämlich, wenn das Willkommen verbunden ist mit dem Lob des Nationalsozialismus, weil der die Judenvernichtung betrieben hat. Das ist nicht die einzige Form des Antisemitismus, die in islamischen Ländern anzutreffen ist. In Filmen, Büchern, journalistischen Beiträgen wird Judenhass gepredigt – und auch in religiösen Ansprachen. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer hat sich mit diesem Phänomen intensiv befasst.

Das Gespräch im Wortlaut:

Matthay: Woher stammt diese Abneigung gegen Juden in islamischen Ländern, die bis zum offen geäußerten Vernichtungswunsch geht?

Kiefer: Der Antisemitismus ist in den islamischen Gesellschaften seit der Mitte der 20er Jahre zu beobachten. Zunächst in Palästina und Ägypten, nach der Staatsgründung Israels ab Mitte der 50er Jahre ganz massiv auch Syrien, Irak und ab dem Jahr 1979, nach der iranischen Revolution auch im Iran. Also man kann sagen, dass er ein ständiger Begleiter des Palästinakonfliktes gewesen ist. Er tritt wellenförmig vor allem immer dann auch, wenn der Konflikt eskaliert und nach der Eskalation. Es ist bedauerlicherweise in den letzten Jahren immer mehr geworden. Das hängt auch schlicht damit zusammen, dass wir es mit einer ganz neuen Qualität von Medien zu tun haben, mit Satellitensendern, die sehr weit ausstrahlen und auch hier in Europa zu empfangen sind und wir haben in den letzten Jahren auch eine neue Qualität von Fernsehsendungen in dieser Hinsicht, eigene Produktionen, die den Palästinakonflikt thematisieren, die diesen mit Antisemitismen aufladen und das wird dann zum Teil recht erfolgreich vermarktet.

Matthay: Ich möchte gerne noch mal zurückgehen, Sie haben die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts angesprochen, den Palästinakonflikt. War es denn so, dass Antisemitismus vorher in der islamischen Welt überhaupt nicht präsent war?

Kiefer: Antisemitismus in dem Sinne wie wir ihn aus Europa kennen sicherlich nicht. Es gab und gibt natürlich im Koran judenfeindliche Passagen, die verweisen auf den Konflikt Mohammeds mit den Juden in Medina, direkt zu Anfang, aber diese Stellen haben in der islamischen Geschichte, also in der islamisch-jüdischen Tradition eigentlich nie eine sehr große Rolle gespielt. Es gab zwar hin und wieder Phasen von Diskriminierung und Verfolgung, so in Marokko als auch im Iran, aber das waren insgesamt doch eher Ausnahmen. Wenn man jetzt die ganzen islamischen Gesellschaften nimmt und vor allen Dingen im Osmanischen Reich waren die Bedingungen für die Juden gut im Vergleich zu Europa. Wir hatten ja auch aus Europa eine Abwanderung ins Osmanische Reich, also nach 1492 nach dem Alhambra-Edikt sind zum Beispiel viele spanische Juden, portugiesische Juden ins Osmanische Reich gegangen, auch Juden aus Mitteleuropa. Im Vergleich zu der mittelalterlichen Geschichte ging es ihnen relativ gut, aber es war nicht frei von Diskriminierung. Man sollte es auch nicht verklären.

Matthay: Welchen Einfluss hat denn eigentlich der christliche Antijudaismus auf den islamischen Antisemitismus?

Kiefer: Der Einfluss ist insofern präsent, als dass wir gewisse Stereotype des christlichen Antisemitismus heute auch im islamistischen Antisemitismus finden, zum Beispiel das Motiv des Ritualmörders ist irgendwann aufgetaucht. Es gibt zum Beispiel ein Buch des ehemaligen syrischen Verteidigungsministers Mustafa Tlas, der die Damaskusaffaire des Jahres 1840 aufgreift. Hintergrund dort verschwand zum damaligen Zeitpunkt ein Kapuzinermönch und die Juden von Damaskus wurden beschuldigt, diesen Mönch entführt zu haben und an ihm einen Ritualmord begangen zu haben. Das ist das erste Mal, das übrigens eine solche Ritualmordanschuldigung im damaligen Osmanischen Reich vorgetragen wurde, und Tlas behauptet nun, dieser Ritualmord hätte tatsächlich stattgefunden und diese Praxis des Ritualmordes würde es auch nach wie vor geben. Das Buch hat übrigens einen höchst besorgniserregenden Erfolg, muss man schon fast sagen. Ich glaube, es geht mittlerweile in die 13. Auflage und es wird auch immer noch verkauft. Man kann es also problemlos auch in Damaskus oder wo auch immer finden. Dieses Bild ist also da, und es wird im nationalistischen arabischen Antisemitismus gebraucht, aber auch bei den Islamisten. Was mich, als ich das das erste Mal mitbekommen habe, etwas verwundert hat, weil im Kontext einer islamischen Geschichte die Figur des Ritualmörders eigentlich historisch unbekannt ist.

Matthay: Es gibt Wissenschaftler, die weisen daraufhin, dass manche Suren des Korans antisemitisch ausgelegt werden könnten. Wie weit ist Antisemitismus im Islam begründet? Stimmt das überhaupt?

Kiefer: Es gibt natürlich judenfeindliche Passagen im Koran. Das stimmt. Und von den Islamisten, das muss man auch in aller Deutlichkeit sagen, werden sie auch antisemitisch interpretiert. Sie werden wortwörtlich genommen. Islamisten betreiben, das ist ja ein Kennzeichen ihrer Ideologie eine unmittelbare Koranexegese. In der Vergangenheit war das nicht so, wir haben in der Tat eine ausgewogene, exegetische Tradition, die abgewogen hat, die andere Stellen mit hinzugenommen hat, aber es war Kennzeichen der modernen islamistischen Ideologie, dass diese Dinge unmittelbar genommen werden, wortwörtlich, wie sie dort stehen und dann kann man in der Tat auch Judenfeindschaft darauf begründen. Das geht.

Matthay: Eingangs haben Sie den Palästinakonflikt erwähnt, die Geschichte Israels ist offenbar ein wichtiger Faktor bei der Entstehung des islamischen Antisemitismus. Warum ist das so?

Kiefer: Man kann zum Teil nur spekulieren, aber was man sagen kann, das ist, nach 1948 war es so, dass die Verwunderung darüber, dass die arabischen Armeen gescheitert sind sehr groß war. Man muss sich das damalige Judenbild noch einmal vorstellen, das in den arabischen Gesellschaften kursierte. Juden galten als schwach, ängstlich, als unterlegen. Nun auf einmal waren sie als Militärmacht präsent und gewannen gegen Muslime. Das war etwas, das nach einer Erklärung verlangte und der Antisemitismus bot mit seinen absurden Verschwörungsphantasien, die ja bis zur Weltverschwörung hinreichen, ein perfektes Erklärungsmuster für die Niederlage. Das ist auch ein Ding, was wir in all den Jahren immer wieder finden – das Vorhandensein Israels, das Bestehenkönnen Israels, trotz all der Kriege, die mittlerweile stattgefunden haben, wird auf eine weltweite jüdische Konspiration zurückgeführt. Man geht immer davon aus, dass dieser Staat nicht ein einfacher, normaler Staat ist, sondern Teil einer jüdisch-amerikanischen Verschwörung ist. Wir hatten das ja jetzt auch immer wieder in Ahmadinedschads Äußerungen, die ja ebenfalls von einer solchen Verschwörung ausgehen. Dieses Bild ist sehr präsent und wird sozusagen auch immer wieder herangeführt um den Erfolg dieses Staates zu begründen.

Matthay: Sie erwähnen jetzt Verschwörungstheorien, da gibt es ja auch “Die Weisen von Zion” zum Beispiel. Welche Formen nimmt der islamische Antisemitismus noch an?

Kiefer: “Die Protokolle der Weisen von Zion” spielen eine sehr große Rolle in nahezu allen antisemitischen Schriften, die wir im islamistischen Spektrum haben. Wir finden sie bereits Mitte der 50er Jahre, die Figur des Verschwörers, wir finden das aber auch in Ayatollah Khomeinis Schriften, auch dort wird davon ausgegangen, dass es eine Verschwörung gibt und man findet es auch bei anderen Autoren, auch solchen, wo man es gar nicht glauben würde, wie zum Beispiel dem Scheich der Assa-Universität, der bereits in den 60er Jahren eine Dissertation verfasst hat, die sich mit Israel auseinandersetzt und in der er ebenfalls eine jüdische Verschwörung behauptet.

Matthay: Wie sieht es zum Beispiel aus mit der Charta der Hamas? Ich glaube, die enthält auch einige Passagen.

Kiefer: Auch dort finden wir Verweise auf “Die Protokolle der Weisen von Zion”. Israel wird, wenn man so will, als eine Zwischenetappe auf dem Weg zur jüdischen Weltherrschaft dargestellt.

Matthay: Jetzt mal angekommen, es käme eines Tages dazu, dass Israel und die Palästinenser Frieden schließen. Würde das zum Verschwinden des Antisemitismus islamischer Prägung führen?

Kiefer: Das ist eine schwierige Frage. Der Antisemitismus ist zwar ein stetiger Begleiter des Palästinakonfliktes gewesen, und würde der Konflikt gelöst werden, würde man sicherlich eine Abnahme erwarten können. Aber er ist andererseits ein so integraler Bestandteil der islamistischen Weltsicht geworden, dass ich nicht denke, dass er damit schlagartig verschwinden würde. Vermutlich würde es bleiben, denn wie gesagt, der Antisemitismus bezieht sich ja nicht nur auf Israel, sondern er ist sozusagen ja ein zentrales Moment der Weltdeutung geworden. Man erklärt ja damit auch andere Dinge. Man kann es ja nachlesen in den Schriften der Hisbollah, die Juden werden ja auch für AIDS verantwortlich gemacht, oder für andere Dinge, für moralische Dekadenz. Man lastet ihnen unheimlich viel an. Es geht nicht nur um den Staat Israel, sondern im Grunde genommen wird alles, was als ungünstig, als anti-islamisch wahrgenommen wird, wird einer Verschwörung zugeschoben und ich denke deswegen, dass man sicherlich ein Abflauen beobachten könnte, aber ich glaube nicht, dass er ganz verschwinden würde.

Matthay: Welche Funktion hat dieser Antisemitismus denn dann in islamisch geprägten Gesellschaften?

Kiefer: Zunächst einmal hat man eine Erklärung für relativ komplexe Vorgänge. Es ist ja, wie ich schon angedeutet habe, ein System der Weltdeutung. Man kann, ohne sich viel Gedanken zu machen, für dieses und jenes einen Schuldigen finden, und man lenkt natürlich auch davon ab, was die eigenen Regierungen tun. Selbstverständlich ist es so, dass die ökonomischen Miseren, die wir im Nahen Osten oder in Nordafrika zu beklagen haben, eigene muslimische Regierungen in einem erheblichen Maße zu verantworten haben und wenn man immer nach Palästina schaut und diesen Konflikt fokussiert, dann spricht man sich auch frei von jeglicher Verantwortung für das, wie es im eigenen Land läuft. Klar, das kann man schon sagen.

Matthay: Wer pflegt eigentlich diesen Antisemitismus in der arabischen Welt? Welche Medien, welche Parteien oder welche Strömungen sind das?

Kiefer: Das sind im Moment vor allem die Iraner, die dies tun. Das haben sie auch schon in der Vergangenheit getan, aber im Moment noch mehr. Das hängt zum einen damit zusammen, dass sie über Medien verfügen, über die sie das verbreiten können. Das iranische Fernsehen hat einige Serienproduktionen auf den Markt geworfen, die wir mittlerweile auch in türkischsprachiger Ausgabe finden. Es sind aber nicht nur die Iraner, es sind auch die Saudis, die einen nicht unerheblichen Anteil daran haben. Die Saudis haben über lange Jahre hinweg auch “Die Protokolle der Weisen von Zion” vertrieben. (..) Man findet Antisemitismus auch in Schulbüchern. Es hat ja den Skandal um die Bücher der Fahd-Akademie in Bonn gegeben, vor einem halben Jahr war das ungefähr, und wir haben hier – das ist dann für Europa noch mal bedeutsam – auch türkische Islamistenkreise, die antisemitische Ideologie verbreiten. Auch hier in Deutschland im Übrigen.

Matthay: In Deutschland leben ungefähr dreieinhalb Millionen Menschen islamischen Glaubens, wie weit verbreitet ist denn der Antisemitismus unter denen?

Kiefer: Das weiß ich nicht. Ich habe bedauerlicherweise, also vor allem bei Jugendlichen, in den letzten Jahren Antisemitische Äußerungen mitbekommen, aber welches Ausmaß das hat, ob das zum Beispiel mehr ist als bei deutschen oder anderen Jugendlichen, vermag ich nicht zu sagen. Das hängt auch einfach damit zusammen, dass wir bislang keine aussagekräftigen Untersuchungen haben, die sichere Erkenntnisse in dieser Richtung ergeben könnten. Aber es gibt ihn. Und es würde sich sicherlich lohnen, das mal zu untersuchen.

Matthay: Durch welche Medien wird das hier verbreitet? Ist es einfach der Rückgriff zum Beispiel auf dieselben Satelliten, dieselben Sender, die in der arabischen Welt zu haben sind?

Kiefer: Nein, es sind dann schon türkische Fernsehsender, die hier zu benennen sind, aber es ist nicht nur bestimmte türkische Satellitenfernsehen, es sind natürlich auch Printmedien und das Internet, was hier eine große Rolle spielt.

Matthay: Könnte man auch sagen, dass dadurch ein Re-Import des Antisemitismus, oder auch des sekundären Antisemitismus nach Europa geschieht?

Kiefer: Das kann man so nennen. Wir haben ein Phänomen, was es vor zehn oder fünfzehn Jahren in den Migrantenkreisen in dieser Form noch nicht gegeben hat, das haben wir jetzt hier. Und es kommt aus dem Nahen Osten, es wird von Außen hereingetragen und erstaunlicherweise kriegen wir es heute mit den Bildern, die ursprünglich von hier in den Nahen Osten gegangen sind, wieder zurück in Gestalt des islamistischen Antisemitismus.

Matthay: Findet das auch Anklang in der deutschen Mehrheitsgesellschaft?

Kiefer: Das halte ich für sehr gewagt. Es gibt ja zahlreiche Untersuchungen aus jüngerer Zeit, die zeigen, dass der Antisemitismus in Deutschland ja nach wie vor stark ist. Er ist verbreitet. Wir hatten ja auch einige Affären, die dies gezeigt haben in den letzten Jahren. Insofern bedarf es da nicht eines islamistischen Antisemitismus, um hier wieder eine Verstärkung herbeizuführen. Aber was wir schon sagen müssen, ist, dass wir sehen müssen, dass der moderne Antisemitismus von seiner Kerngestalt her ein sensibler Code ist, man kann ihn in unterschiedliche weltanschauliche Konzepte integrieren, auch religiöse Konzepte. Und was wir beobachtet haben in der letzten Zeit ist eine Diversifität dieser Anschauung. Die Stereotype sind immer die gleichen, aber die Verkleidungen sind jeweils andere. Und er wird in der Regel immer genutzt, um Antworten zu geben auf schwierige Situationen, schwierige gesellschaftliche oder ökonomische Situationen. Er wird probates Mittel der Krisenerklärung, er findet immer einen Schuldigen, und darin liegt die Gefahr, dass man anderen Menschen die Schuld gibt an einer Entwicklung, von sich selbst ablenkt und sozusagen einen Sündenbock haben möchte für das, was nicht richtig geht, und nicht so geht, wie man haben will.

Matthay: Gerade in Deutschland würde man das vermutlich als ganz besonderes Problem betrachten. Kann man denn dagegen etwas tun? Hat das etwas mit Schulunterricht zu tun, oder womit?

Kiefer: Das hat in der Tat auch etwas mit Schulunterricht zu tun, aber nicht nur mit Schulunterricht, sondern auch mit politischer Bildung im Allgemeinen und man muss sagen, in den letzten Jahren ist faktisch gar nichts getan worden in dieser Richtung. Gut, es hängt natürlich auch damit zusammen, dass das Phänomen relativ neu ist, wir beobachten es seit ungefähr fünf Jahren. Mittlerweile ist es aber bekannt, und die Politik, insbesondere auch die Bildungspolitik ist aufgefordert hier noch etwas zu unternehmen. Wir brauchen Materialien, es muss an den Schulen thematisiert werden, fachgerecht thematisiert werden und bislang ist dies nicht geschehen.

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