Siglinde Bolbecher (1952 – 2012)

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Siglinde Bolbecher (1952 – 2012)

 
Am 6.Juli 2012 ist Siglinde Bolbecher einer schweren Krankheit erlegen. Ihr beeindruckendes Lebenswerk ist untrennbar mit der Erforschung und Dokumentation des österreichischen Exils, im speziellen der Biografien der von den Nationalsozialisten in die Flucht getriebenen Autorinnen und Autoren und der Rekonstruktion ihres Schaffens verbunden. Viele Jahrzehnte hindurch hat sie sich gemeinsam mit ihrem Mann Konstantin Kaiser mit großem Einsatz dieser Aufgabe gewidmet und ein beachtliches Netzwerk geschaffen, das im Kampf für die Erinnerung und gegen das Vergessen dem nachhaltigen Zerstörungswerk der Nazis durch die Wiederaneignung literarischer Schätze Widerstand leistet.

In Wien geboren und aufgewachsen, hat Siglinde Bolbecher nach den Universitätsstudien der Theaterwissenschaft, Anglistik, Geschichte und Philosophie an der Bundesakademie für Sozialarbeit unterrichtet und war freie Mitarbeiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. In den frühen 1980er Jahren hat sie die Theodor Kramer – Gesellschaft http://www.theodorkramer.at/ und den Verein zur Förderung und Erforschung der Antifaschistischen Literatur mitbegründet und neben einer umfangreichen Publikations- und Veranstaltungstätigkeit bislang 28 Jahrgänge der Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstandes “Zwischenwelt” (bis 2000 unter dem Titel “Mit der Ziehharmonika”) und die “Buchreihe antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte” herausgegeben. Seit 2001 wird jährlich der Theodor Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil vergeben.

Am 2000 erschienen “Lexikon der österreichischen Exilliteratur” hat Siglinde Bolbecher als Mitherausgeberin und Mitautorin 15 Jahre lang gearbeitet.
Die besondere Aufmerksamkeit und das leidenschaftliche Interesse Siglinde Bolbechers galten stets dem Schicksal der exilierten Frauen: Sie organisierte zahlreiche Ausstellungen und Symposien zum Frauenbild des Nationalsozialismus und den besonderen Bedingungen der literarischen Produktion von Frauen; zu Stella Kadmon, Elisabeth Freundlich, Stella Rotenberg, Ruth Klüger, Eva Kollisch, Ilana Shmueli und vielen anderen hielt sie persönlichen Kontakt. Darüber hinaus hat sie seit 2002 die Frauen-Arbeitsgemeinschaft in der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung geleitet.

Was das offizielle Österreich nicht geleistet hat, ist das unschätzbare Verdienst von Siglinde Bolbecher und ihrer MitstreiterInnen: Den in alle Welt Vertriebenen – zum allergrößten Teil Jüdinnen und Juden – das Gefühl gegeben zu haben, in der früheren Heimat nicht zur Gänze in Vergessenheit geraten zu sein. 
Mit Siglinde Bolbecher verlässt uns ein liebenswerter Mensch voller Lebendigkeit und ständiger Anteilnahme am Geschehen. Exil war für sie nie bloßes Forschungsobjekt, sondern Empathie für Schicksale, die sie den Betroffenen spüren lassen konnte. Sie war immer bemüht, zu allen – und deren Zahl ging im Laufe der Jahre in die Hunderte – die jemals einen Beitrag zur Exilforschung leisteten, eine persönliche Verbindung herzustellen. Und wenn es bloß ein kleiner Artikel für die “Zwischenwelt” war: Sie begleitete und betreute das Entstehen mit Umsicht, Kompetenz, Gründlichkeit und ständigem Meinungsaustausch.   

Bereits von ihrer tödlichen Krankheit gezeichnet, konnte sich Siglinde Bolbecher noch darüber freuen, im März 2012 im Parlament von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Rahmen einer stimmungsvollen Feier das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich zu empfangen.

Siglinde Bolbecher (1952 – 2012)

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