Almut Bruckstein-Çoruhs Geschichtsklitterung und die “Bauleute”

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Offener Brief zum Artikel „Die Bauleute“ von A. S. Bruckstein-Çoruh im Tagesspiegel, Sonntag 19. Juni 2011

Es dient nicht der Wahrheit und fördert nicht die Friedensfähigkeit im Nahostkonflikt, wenn Autoren glorifizierend einseitige Bilder zeichnen. Almut S. Bruckstein konnte man dies bezüglich des Judentums schon zu einer Zeit vorwerfen, als sie sich noch als Judaistin zu bezeichnen beliebte. Und nun, wo sie auf die Seite der „jüdischen“ Gaza-Aktivisten – um Felicia Langer oder die inzwischen von Henryk Broder als Nichtjüdin entlarvte Edith Lutz – gewechselt hat, tut sie dies mit verkehrten, rabiat antizionistischen, Vorzeichen: Gegenüber dem Frieden suggerierenden “panarabischen” Mythos des Biennale Pavillons zu Venedig steht bei ihr das Zerbomben des Gazastreifens durch die israelische Armee. Als gäbe es über Israel nur von angeblicher “Apartheid”, von der arabischen Seite hingegen nur von Brüderlichkeit und ‚Glückseligkeit‘ zu berichten, blendet sie völlig die täglichen Selbstmordbomber z.B. im Irak, in Afghanistan oder in Pakistan, die Koptenmorde in Ägypten oder die Bomben Ghaddafis und Assads auf ihre Völker aus.

Nicht redlich und historisch falsch ist es zudem, wenn die Autorin den Zionismus, der als Kind seiner Zeit zweifellos von der Kolonialpolitik der europäischen Staaten profitierte, mit den Zielsetzungen der damaligen Kolonialstaaten gleichsetzt, mit deren „Geste der kolonialen Unterwerfung ‘primitiver Völker’… der Ausübung von militärischer Gewalt, der kollektiven Unterdrückung der im Lande Ansässigen […]”. Kennt die ehemalige Judaistin nicht die wahren Gründe für die Entstehung des Zionismus als dem Selbstrettungsversuch einer trotz Aufklärung und Emanzipation verfolgten und unterdrückten Judenheit? Diese benutzte die kolonialistischen Aspirationen der nichtjüdischen Europäer nur als Hilfsmittel zur Selbstrettung, um endlich einen sicheren Hafen zu erlangen und nicht – wie jene – zur kolonialen Unterdrückung und Ausbeutung. Dass die arabischen Bewohner des Gebiets die für sie fremde jüdische Zuwanderung nicht gerne sahen, ist unbestritten.

Auch das von der Autorin verherrlichte Bild des jüdischen Kosmopoliten ist – wenn man die Texte aus dem 19. Jh. liest – doch eher als ein verfolgungsbedingter Selbstschutzmechanismus der von allen Seiten ausgestoßenen Juden verstanden worden, denn als eine internationalistische Tugend. Auch wenn nach der Autorin der “Widerstand gegen Unterdrückung, Rassismus und Apartheid eine jüdische Tugend war; dass das Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden zum jüdischen Habitus gehörte”, so sollte eine Wissenschaftlerin bei aller ideologischen Verblendung nicht vergessen, dass all dies zunächst eine existentielle Frage der unterdrückten und rassistisch abgesonderten Juden war, bevor sie daraus zeitlose philosophische Maximen formuliert. Stattdessen sollte sie sich einer authentisch alten jüdischen Maxime erinnern – “du sollst dir kein Bildnis machen”, d. h. auch kein ahistorisches Bildnis, das sodann als Würgestrick gegen die davon abweichenden Juden benutzt wird, die nicht zu jenen “jüdischen und arabischen Intellektuellen” gehören, zu denen sich nun die späte Jüdin Bruckstein-Çoruh zählt.

Auch dies ist eine durchsichtige geschichtsklitternde Verharmlosung, wenn Maimonides von ihr zu einem “arabischen jüdischen Gelehrten” gemacht wird, der in Wahrheit nur ein arabisch schreibender und sprechender Jude war, welcher wegen der islamisch-almohadischen Verfolgung seine andalusische Heimat und später auch Nordafrika verlassen musste. Bruckstein-Çoruh läßt dies ebenfalls unerwähnt. Und wenn die Autorin behauptet, ein Satz aus Maimonides’ Mischne Tora habe bis heute seine Gültigkeit, weil ihr dieser Satz besonders gut in den Kram passt, so führt sie den nichtkundigen Leser abermals in die Irre, wenn sie glauben macht, dass eine solche Schrift gesetzliche Verbindlichkeit besäße, was nicht der Fall ist. Die ehemalige Judaistin wusste früher die jüdische Meinungsvielfalt sehr wohl zu preisen, tut es aber nicht, wenn sie einen utopisch-messianischen Satz von Maimonides zitiert, der sich so bei diesem nicht findet, wie aus der von der Autorin angeführten Übersetzungssprache (z.B. „politische Souveränität“) schon deutlich wird. Im Übrigen wird von der Autorin geflissentlich übergangen, dass Maimonides in diesem zitierten Werk Mischne Tora auch ausführlich von jüdischer Kriegsführung spricht.

Das Ganze ist demnach eine durchsichtige Werbung für ein Lieblingsunternehmen, für welches sich die zum Judentum übergetretene Autorin nun gerne anbietet: nämlich für eine neue kosmopolitische jüdisch-arabische gelehrte Körperschaft, welche die Quellen ihrer Tradition kennt. Kommentierend möchte man dazu vermerken: eine solche Körperschaft sollte allerdings diese Quellen besser kennen, sie getreuer wiedergeben und historisch richtig einordnen, um tatsächlich zu einer Verständigung beitragen zu können.

Kaum erträglich wird Bruckstein-Çoruhs Argumentation schließlich, wenn sie sich z.B. mehrfach auf den in den seriösen Wissenschaftskreisen diskreditierten und von der Universität Haifa entlassenen Historiker Ilan Pappe beruft, der ein Befürworter der Einstaatenlösung ist, und damit die Existenz Israels als jüdischen Staat auszulöschen beabsichtigt. Pappe, Autor von Die ethnische Säuberung Palästinas, dem renommierte Historiker vorwerfen, Quellen falsch zitiert zu haben, war und ist einer der prominentesten Befürworter des Israel-Boykotts. Anstatt Brücken zu bauen, wie es Intellektuelle tun sollten, die in Diensten keiner Ideologie stehen, reißt die Autorin diese ein und stellt ihre wissenschaftliche Reputation in Frage.

Dr. Elvira Grözinger ist Literaturwissenschaftlerin, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der Scholars for Peace in the Middle East und Mitglied der WIZO.

Almut Bruckstein-Çoruhs Geschichtsklitterung und die “Bauleute”

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AUTHOR

Elvira Grözinger

Born 1947 in Poland as child of Holocaust survivors, grew up in Israel. Received a B. A. from the Hebrew University Jerusalem (English and French Literatures, Jewish History, History of Arts). Since 1967 in Germany –  Translators’ Diploma from the University of Heidelberg, studied then German Literature and Jewish Studies in Frankfurt on the Main. Doctorate in General and Comparative Literature from the Freie Universitaet Berlin. Worked as Lecturer in Literature and Scientific Researcher at Universities and academic Institutes in Frankfurt, Darmstadt, Potsdam and Berlin, now retired. As a long time WIZO-member she was for many years on the boards in Frankfurt and Berlin, and on the German Presidential Board. In 2007 she co-founded the German Section of SPME, and had been elected as its Vice President. Since February 2017 she is the President of the SPME-Germany. As publicist she gives lectures and publishes scientific and press articles. Author of 9 books, mainly on Jewish culture and literature and of over 200 scholarly articles and reviews.

Elvira Groezinger is married to Prof. em. of Religious and Jewish Studies, Karl E. Groezinger, affiliated Professor of the University of Haifa, has one married daughter who is a dermatologist, and two grandsons.


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