Vortrag von NATAN SZNAIDER bei der Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Zentrum fürAntisemitimusforschung der TU Berlin

zum Thema "Der Holocaust im transnationalen Gedächtnis"
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“Es ist… genau die Universalisierung des Bösen, welche die metaphorische Kaft des Holocaust antreibt und die eine lokale Vereinnahmung im Falle von Menschenrechtsverbrechen ermöglicht.”

Die Endlösung war die Endlösung der Judenfrage. Es war keine Kriegshandlung. Die Endlösung war auch kein Verbrechen gegen die Menschheit, wie es auch keine Menschenrechtsverletzung war. Es war ein an den Juden begangenes Verbrechen. Dieses historische Urteil wird in den heutigen Debatten um Menschenrechtsverletzungen und transnationaler Holocausterinnerung oft aus den Augen verloren.

Die Begründung der Menschenrechte ist heute universell bestimmt. Das heißt jenseits des Nationalstaates. Menschenrechte gehen von Menschen, nicht von konkreten in Gemeinschaften eingebetteten Staatsbürgern aus.

Man kann davon ausgehen, dass im Zeitalter der Globalisierung kollektive Erinnerung nicht mehr auf einen territorial oder national fixierten Ansatz reduziert werden kann. Stattdessen orientieren sich neue Gedächtniskulturen an universalen Symbolen wie der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” und dem Begriff des „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“. Die Grundlagen für ein transnationales Gedächtnis in Europa sind über die andauernde Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung entstanden, wie man das auch sehr deutlich am Gedenktag anläßlich der 60jährigen Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 sehen konnte. Auch Kofi Annan ist sich der Globalisierung der Erinnerung bewusst: “Das Böse, das zum Tod von sechs Millionen Juden und anderen in den Lagern geführt hat, bedroht noch heute jeden von uns. Jede Generation muss wachsam sein, um sicherzugehen, dass sich solche Ereignisse nicht erneut abspielen“, so Annan in seiner Rede zur Befreiung von Auschwitz.

Die sich globalisierende Welt wird von einem sich ausweitenden menschenrechtlichen Diskurs angetrieben. Auf der anderen Seite gehen hier begriffliche Trennschärfen von Auschwitz als das singuläre Verbrechen an den Juden verloren.

Gehen wir nochmals auf das Universale zurück wie es auch in den Nürnberger Prozessen formuliert worden ist. Dort heißt es:

“Verbrechen gegen die Menschlichkeit (oder Menschheit): nämlich Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung oder andere an der Zivilbevölkerung vor Beginn oder während des Krieges begangene unmenschliche Handlungen; oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes, in dem sie begangen wurde, verstieß oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die an der Fassung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.”

Damit stellen sich Fragen, die sich einer schnellen Beantwortung entziehen: Wer sind bei diesen Verbrechen die Opfer – die Juden oder die Menschheit, also alle? Einschließlich der Täter?

Und hier liegt natürlich die Falle dieser Universalität. Die Erinnerung an den Holocaust wird in diesem Sinne zu einem Mahnmal an die allgegenwärtige Modernisierung der Barbarei. Darin drückt sich die historische Erfindung der national und staatlich entgleisten Moderne aus, die das moralische, politische, ökonomische und technologische Katastrophenpotential wie im Schreckensbilderbuch des Reallabors ohne Erbarmen und Rücksicht auf Selbstzerstörung entfaltet hat. In der Erinnerung an den Holocaust gewinnt der Bruch mit der Vergangenheit Macht für die Zukunft. Die Globalisierung dieser Norm und die Kosmopolitisierung der Holocausterinnerung sind mittlerweile zu einem integralen Bestandteil der europäischen Politik und Zivilgesellschaft geworden. Die Erinnerung an den Holocaust wird zu einer europäischen Erinnerung, die Europa dazu verhelfen kann, ein eigenes (wenn auch negatives) Wertesystem zu entwickeln.

Die Erinnerung an den Holocaust bietet daher die Gelegenheit, ein universelles Gedächtnis zu schaffen, das über jeden Konflikt erhaben ist. Rechte machen sich negativ fest, was geschieht, wenn sie gebrochen werden. Das ist die paradigmatische Rolle, die die Holocausterinnerung für eine globale Menschenrechtspolitik spielt. Nach dem Holocaust kann der souveräne Staat nicht mehr die alleinige Grundlage des Rechts und der Gerechtigkeit sein. Damit wurden auch die moralischen Grundlagen für globale Institutionen der Gerechtigkeit geschaffen. Aus dem Negativen – aus der Erfahrung dessen, das nie wieder passieren darf – entstanden die UN- Konventionen der Allgemeinen Menschenrechte und der Versuch, den Völkermord als illegal zu erklären, bis hin zu dem Versuch durch internationales Recht zukünftige „Holocauste” zu vermeiden, da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, daß einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt, so heißt es in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Der Holocaust wurde also zum Sinnbild der Barbarei und jeder darf sich nun bedienen, denn in diesem Diskurs gibt es keine Juden und keine Deutschen mehr. Es gibt nur Menschen und Menschheit, wie das auch im Begriff der “Verbrechen gegen die Menschheit” und der Entstehung eines moralischen und legalen Kodex gegen ‘Völkermord’ klar wird. Der globale Umfang dieser Entwicklungen ist unverkennbar. So lassen sich etliche Referenzen zum Holocaust in Debatten über Sklaverei und Kolonialismus finden. Viele afrikanische Intellektuelle bedienen sich eines Holocaustvokabulars, um ihren Ansprüchen gegen die früheren Kolonialmächte ein besonderes Gewicht zu verleihen. Das UN-Kriegstribunal für Ruanda hat sich in seiner Anklage gegen Personen, denen Medienhetze und Tötungsaufrufe vorgeworfen wurde, direkt auf den Nürnberger Präzendenzfall des Stürmerherausgebers Julius Streicher bezogen. Es ist also genau diese Universalisierung des Bösen, welche die metaphorische Kraft des Holocausts antreibt und die eine lokale Vereinnahmung im Falle von Menschenrechtsverbrechen ermöglicht.

Dies hat mit einer Gedächtniskultur zu tun, welche sich demonstrativ an den Holocaust als eines formativen historischen Moments erinnert, wo die Rechte der Menschen völlig außer Kraft gesetzt waren und die Humanität der Opfer zum Objekt der Vernichtung wurde. Der Preis, den man für solche Haltungen bezahlt, ist der des politischen Urteilsvermögens. Auf Kosten dieses Urteilsvermögens kommt dann die moralistische Reaktion, wobei man sich seine eigene moralische Überlegenheit gegenüber den Barbaren bewahrt. Man verurteilt und wird dadurch zum besseren Menschen – ein Puritanismus des guten Gefühls macht sich breit.

Man glaubt dabei an einen abstrakten Begriff des Menschen, eines nackten Menschen ohne ethnische oder nationale Zugehörigkeit, dessen Würde und körperliche Unversehrbarkeit vor den Eingriffen des Staates geschützt werden muss. Auch ist das neue sich vereinigende Europa unter anderem als Antwort auf den Horror des 20. Jahrhunderts entstanden. Für konkrete Opfer bleibt da kein Platz mehr.

Gerade in Deutschland birgt diese Universalisierung oder eher eingeschränkt Europäisierung des Holocaust nicht nur ein emanzipatorisches Potential, sondern kann auch apologetisch gedeutet werden. Auch, oder gerade in Deutschland haben die Koordinaten partikularer und universaler Erinnerungen Anlass zu neuen Debatten über einen „guten” oder „schlechten” Sonderweg gegeben. Viele, für die der Holocaust die Ikone des Sonderwegs der alten Republik darstellt, sorgen sich um den Verlust dieser für einen negativen Nationalismus bestimmenden Form. Auf den ersten Blick erscheint diese Sorge nicht eindeutig, zielt doch die kosmopolitische Gedächtniskultur durchaus auf eine post-nationale Konstellation. Wenn man verstanden hat, dass der Menschenrechtsdiskurs ein entkontextualisierter Diskurs ist – da er sich der historischen Einbettung von Menschen verweigern muss, sonst wäre es ja kein Menschenrechtsdiskurs, sondern ein Bürgerrechtsdiskurs – dann wird man auch verstehen, warum der Holocaust als symbolische Repräsentation des Bösen entkontextualisiert wird. Das sollte man aber gerade in Deutschland nicht mit einem emanzipatorischen Gedächtnis verwechseln. Die massenmediale Wiederentdeckung von deutschen Opfern ist mittlerweile ein integraler Bestandteil einer neuen Geschichtspolitik wie die Bombenopfer und der sich entwickelnde Diskurs über die Vertreibung deutlich zeigen.

Dieses Paradox – der Universalisierung als Voraussetzung für eine Re-Nationalisierung- entwickelt sich auch auf dem Hintergrund von tradierten Feindbildern und dem Nährboden eines Menschenrechtsdiskurs, der die internationale Politik des letzten Jahrzehntes mitbestimmt. Das sinnstiftende Potential das durch die Entkontextualisierung des Holocausts freigesetzt wird, ermöglicht es unterschiedliche Menchenrechtsverletzungen mit dem Holocaust gleichzusetzen. Wenn man früher wegen Auschwitz pro-Israel sein konnte, kann man heute wegen Auschwitz gegen Israel sein, wobei die höchste Trumpfkarte der direkte Vergleich von Israelis und Nazis ist. Hier dann auch die ständige Verknüpfung von Israel als Menschenrechtsverletzer, da ja Menschenrechtsverletzungen nun Teil der Holocaustikonographie geworden sind.

Damit hat die Stunde der Völkerrechtsfundamentalisten geschlagen, die die Vernichtung der Juden zum Anlass nimmt, sich auf ein hohes moralisches Ross zu setzen und Leviten zu lesen. Man siehe nur den offenen Brief einiger deutscher Politologen vor einigen Wochen. Dort heißt es ja auch „Ohne den Holocaust an den Juden würde die israelische Politik sich nicht berechtigt oder gezwungen sehen, sich so hartnäckig über die Menschenrechte der Palästinenser und der Bewohner Libanons hinwegzusetzen, um seine Existenz zu sichern.” Dies entspricht auch in zunehmenden Masse einer gesinnungsethischen Haltung die um jeden Preis geo-politische Probleme in ein universales Völkerrecht aufgehen lassen will.

Besonders seit dem 11. September und dem Irakkrieg ist diese Tendenz in der politischen Kultur Deutschlands und den transatlantischen Spannungen zwischen Europa und den USA unverkennbar. Hier wird der durch eine universalgeschichtliche Deutung des Holocausts zustanden gekommene Menschenrechtsdiskurs weniger zum Anlass von konstruktiven politischen Lösungsvorschlägen, sondern eher ein Auslöser von tiefliegenden Ressentiments gegen die ursprünglichen Opfer des Holocausts. Im Namen der Demokratie und der Menschenrechte kann man sich nun verpflichtet fühlen Antizionist und Antisemit zu sein. Auschwitz ist nach 60 Jahren nun endgültig befreit und wird einer allgemeinen Menschenrechtspolitik untergeordnet. Das mag moralisch aufrüsten, aber zum politischen Verständnis trägt es nichts bei. Wir sollten bei allem Universalierungsdrang nicht den Sinn für das verlieren, was wirklich passiert ist. Die Endlösung war die Endlösung der Judenfrage. Es war keine Kriegshandlung.

Und hier beginnen in den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel Probleme der “Angemessenheit”. Die Suche nach Normalisierung, die gerade nach der Einigung und Europäisierung Deutschlands so deutlich wird, ist gelinde gesagt unangemessen. Es bedeutet die Tragik der eigenen Geschichte zu verleugnen. Und das ist ja auch einer der großen Kritikpunkte aus Deutschland in Richtung Israel: Hat denn Israel aus der Geschichte nichts gelernt? Sind die Juden durch ihr Leiden nicht bessere Menschen geworden? Und auch in Deutschland will man wie überall in der Welt der eigenen Opfer gedenken. Es ist die Globalisierung des Opferdaseins.

Es sind genau diese anderen Maßstäbe, die die besondere Beziehung dieser Länder ausmachen. Alles andere wäre, wie gesagt, unangemessen. Unangemessen deshalb, weil der Preis einer Entgeschichtlichung von Auschwitz zu hoch sein kann.

Wir danken dem Autor für die Bereitstellung seines Vortragsskripts.

Vortrag von NATAN SZNAIDER bei der Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Zentrum fürAntisemitimusforschung der TU Berlin

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