Thomas Eppinger: Ein Gespenst geht um

  • 0

Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst des Zionismus. Alle Mächte der alten und der neuen Welt haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der amerikanische Präsident, schwedische Intellektuelle und deutsche Polizisten.

Als ich in einer österreichischen Kleinstadt ins Gymnasium ging, lag Auschwitz gerade einmal 30 Jahre zurück. Die Täter lebten mitten unter uns. Als Richter, Lehrer, Ärzte oder einfache Arbeiter. Es war die Zeit der letzten großen Nazi-Prozesse, die sich die meist kurz zusammenfassen ließen: die Täter kamen ungeschoren davon. Angesichts der monströsen Verbrechen der Nazis erschien uns die Normalität des Schweigens außerhalb von Schule und Universität unfassbar. Während die älteren Generationen »einen Schlussstrich ziehen« wollten, quälte uns die Frage nach der Schuld und der persönlichen Verstrickung unserer Eltern und Großeltern in den Massenmord an den Juden. Für einen pubertierenden Jugendlichen war die Vergangenheit damals allgegenwärtig, die Gegenwart eines kleinen Landes im Nahen Osten hingegen weit entfernt. Der Generationenkonflikt lag so viel näher als der Nahostkonflikt.

Aber eines war klar, damals an der Schule und später an der Uni: Niemals würden wir es zulassen, dass jemals wieder ein ähnliches Verbrechen geschehen würde. Weder an den Juden noch an sonst jemandem. In der Praxis hat allerdings schon damals kaum jemand hingesehen, als die Khmer Rouge ein Viertel ihrer Bevölkerung ausgerottet haben. Und als 1994 in Ruanda innerhalb von drei Monaten fast eine Million Tutsis abgeschlachtet wurden – unter dem Schirm der UNO und den Augen der Weltöffentlichkeit – hat es hierzulande nicht einmal für eine Lichterkette gereicht. Hätten die Hutus statt der Tutsis die Berggorillas niedergemetzelt, hätten wir das sicher nicht so einfach durchgehen lassen. Wie auch immer. Zumindest der Antisemitismus war irgendwann als Thema abgehakt. Erledigt. Wir doch nicht. Nicht unsere Generation. Antisemiten, das waren die anderen, die Gestrigen.

Schnitt.

30 Jahre später ist der Antisemitismus wieder mitten in der Gesellschaft angekommen. Wenn Juden in Europa in ihre Schulen oder Synagogen gehen, müssen sie das unter Polizeischutz tun. England verzeichnet mehr antisemitische Übergriffe als je zuvor in der jüngeren Geschichte. Auf Facebook finden sich tausende Mordaufrufe an Juden. In Paris wird ein Jude entführt, gefoltert und ermordet, weil er Jude ist. In Toulouse wird ein Anschlag auf eine Synagoge verübt. Auch in Worms wird eine Synagoge angezündet. In Malmö trauen sich Juden kaum mehr auf die Straße, viele wandern aus. In Hannover wird eine jüdische Tanzgruppe mit Steinen beworfen. In Rostock werden die Fenster des jüdischen Gemeindehauses zertrümmert. In Duisburg stürmen Polizisten eine Wohnung um eine israelische Flagge vom Balkon zu reißen, von der sich der islamische Mob provoziert fühlt. In Bochum wird ein Student für das Tragen einer israelischen Fahne zu einer Geldstrafe verurteilt. In Kassel wird das Anbringen einer israelischen Fahne auf einem Informationsstand behördlich untersagt. „Tod Israel“ kann man auf Plakaten von Free-Gaza Demonstranten lesen, „Vergast die Juden“ ertönt es in Frankfurt.

Gleichzeitig ist die Dämonisierung Israels zur politischen Normalität geworden. Der UN Menschenrechtsrat arbeitet sich fast ausschließlich an Israel ab. Als der iranische Präsident kundtut, dass er Israel am liebsten aus den Geschichtsbüchern ausradieren würde, halten sich die Proteste in Grenzen.

Israel wird in aller Welt als „Apartheidstaat“ verleumdet. Der – überaus wirksame – Sperrzaun gegen die täglichen Selbstmordattentate wird als Pendant zur Berliner Mauer verurteilt.

Als der Angriff auf Israel (um nichts anderes handelt es sich bei dem Versuch, eine Blockade zu brechen, die verhängt worden ist, um den Waffennachschub für die Hamas einzuschränken) einer von türkischen Islamisten initiierten Flottille mit dem Tod von neun Djihadisten endet, hyperventiliert die Weltöffentlichkeit vor Empörung. Denn die türkischen Fanatiker waren schließlich nicht allein. Nützliche Idioten wie Henning Mankell, der schon zuvor Israel das Existenzrecht abgesprochen hatte, und Bundestagsabgeordnete der LINKEN waren mit an Bord.

Linke Pseudofeministinnen, die wegen eines fehlenden Binnen-I in der Stellenausschreibung einer Provinztischlerei auf der Stelle eine Petition an den Bundestag verfassen würden, ließen sich anstandslos von ihren arabischen Mitstreitern in ein eigenes Frauendeck sperren. Vom Wiener Gemeinderat bis zum deutschen Bundestag wurden einstimmig antiisraelische Resolutionen verabschiedet.

Die Schickeria erkennt die Zeichen der Zeit und stellt sich auf die Seite des politischen Mainstreams. Hollywoodstars wie Meg Ryan und Sänger wie Elvis Costello sagen lange geplante Auftritte in Tel Aviv ab, um nicht in den Verdacht zu geraten mit Israel zu sympathisieren. Letztlich läuft alles auf dasselbe hinaus: Als einzigem Staat der Welt wird Israel das Recht abgesprochen, sich zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen.

Israel wird als Kolonialmacht denunziert, deren Existenz auf der Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung beruhe. Dabei hat Israel längst fast alle in den Verteidigungskriegen gegen seine arabischen Nachbarn eroberten Gebiete aufgegeben, vom Sinai bis zum Gazastreifen. Die Hoffnung „Land für Frieden“ blieb jedes Mal unerfüllt. Sowohl der Rückzug aus dem Libanon als auch jener aus Gaza wurde mit einer Welle von Selbstmordattentaten und fortdauerndem Raketenbeschuss vergolten. Warum die mangelnde Legitimierung Israels eine glatte Lüge ist, beschreibt Richard Herzinger in der NZZ :

„Israel wurde durch eine Abstimmung der Uno ins Leben gerufen – kein anderer Staat der Welt besitzt eine solch starke Legitimierung durch die internationale Gemeinschaft. Die Vorgeschichte seiner Gründung, die jüdische Siedlungswelle erst im Rahmen des Osmanischen Reichs, dann des britischen Mandatsgebiets Palästina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch als eine feindliche Invasion intakten arabischen Gebietes hinzustellen, ist eine grobe Vereinfachung. Teile der arabischen Clans, die damals in Palästina das Sagen hatten, kooperierten durchaus bei dieser jüdischen «Landnahme». Erst die in den zwanziger Jahren entstandene palästinensische «Nationalbewegung», die später mit Hitler-Deutschland kooperierte, schürte den Hass gegen jegliche jüdische Präsenz in Palästina.

Wenig bekannt ist, dass es dort bereits Ende der zwanziger Jahre antijüdische – und keineswegs nur «antizionistische» – Pogrome gab. Auch jüdische Extremisten wendeten freilich Gewalt an, und nach dem Überfall arabischer Armeen unmittelbar nach der Gründung Israels kam es infolge der Kriegshandlungen zu israelischen Übergriffen gegen arabische Zivilisten. Einen systematischen israelischen Vertreibungsplan gegen die palästinensische Bevölkerung aber hat es nie gegeben. Die meisten Palästinenser verließen auf Druck und wegen falscher Versprechungen arabischer Führer das israelische Hoheitsgebiet.Wenn die palästinensische Seite jedoch auf ein pauschales «Rückkehrrecht» pocht, müsste auch von den 800 000 Juden gesprochen werden, die seit Israels Staatsgründung aus den arabischen Ländern vertrieben und vom jüdischen Staat integriert wurden.“

Die fortschreitende Delegitimierung Israels verläuft parallel zur Expansion des Islam nach der Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979. Seit Khomeini breitet sich vom Iran eine besonders aggressive Spielart des politischen Islam über die ganze Welt aus. Heute ist Teheran der wichtigste Geldgeber der Hisbollah, die ebenso wie die Hamas die Auslöschung des Judenstaats in ihrem Programm hat. Abgesehen von den wahabistischen Extremisten in Saudi-Arabien ist Iran mittlerweile der mit Abstand wichtigste Financier islamischer Terroristen. Von allen Staatsmännern der Moderne ist Ahmadinejad der aggressivste und unverhohlenste Judenhasser seit Hitler. Er leugnet die Shoa und träumt von der Auslöschung Israels. Das macht ihn für politische Freunde wie Chavez nicht minder attraktiv, steht Ahmadinejad doch gleichzeitig an der vordersten Front gegen jenen Feind, den beide noch mehr hassen als Israel: Amerika.

Und hier schließt sich der Kreis. Das nachsichtige Wohlwollen, mit dem die Linke auf die theokratische Diktatur blickt, ist so alt wie die Islamische Republik selbst. Ende der 70er Jahre war das Schah-Regime bei den westlichen Intellektuellen so sehr verhasst, dass sie in den charismatischen Geistlichen, die so gar nicht dem aufklärerischen Ideal entsprachen, die Prototypen des postmodernen Revolutionärs sahen. Dabei lag der kleinste gemeinsame Nenner der internationalen Solidarität ausschließlich im Anti-Amerikanismus. Die verhinderten Revolutionäre von 1968 sind zehn Jahre später reihum dem revolutionären Charme der bärtigen Turbanträger erlegen.

Seither haben die Alt-68er in den Redaktionsstuben ganze Arbeit geleistet: bei einer Umfrage im Jahr 2003 sahen 59% der Europäer in Israel die größte Bedrohung für den Weltfrieden, dicht gefolgt von den USA. Dann erst folgten Nordkorea und Iran. Hinzu kommt die demographische Veränderung Europas. Juden sind in keinem europäischen Land eine nennenswerte Wählerschicht, Muslime in fast allen. Insbesondere die Sozialdemokratie hat die muslimischen Einwanderer als Klientel entdeckt, die es vor vermeintlicher Diskriminierung zu schützen gilt. Das Momentum des postmodernen Antisemitismus kommt aus dem Islam und – man muss es leider sagen – von links.

Die Dominanz der arabischen Staaten in der UNO ist in Verbindung mit dem Populismus westlicher Politiker für Israel hoch brisant. Dem Staat kommen seine Verbündeten abhanden. Die Türkei profiliert sich unter Erdogan immer mehr zur diplomatischen Speerspitze der islamischen Expansion, wird aber trotzdem vom britischen Premier Cameron umgarnt, der sich gemeinsam mit Erdogan gegen Israel stellt. Am Ausmaß der Demütigung Netanyahus bei seinem Besuch im Weißen Haus konnte man mit freiem Auge erkennen, wie sehr selbst die USA unter Obama auf Distanz gegangen sind. Und Kontinentaleuropa ist aus israelischer Sicht wohl schon längst eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

Jeder Jude hat das Recht nach Israel zu ziehen, sei es auf der Suche nach Heimat oder auf der Flucht vor Verfolgung. Damit ist Israel der einzige Garant der Sicherheit der Juden, und zwar aller Juden weltweit. Als ein israelisches Kommando 1976 in Entebbe jüdische Geiseln, die zuvor ausgerechnet von deutschen Terroristen selektiert worden waren, aus der Gewalt Idi Amins befreite, ist das für alle Welt sichtbar geworden.

Wer die Existenz Israels als unabhängigen jüdischen Staat in Frage stellt, stellt gleichzeitig die Existenz aller Juden zur Disposition. Vieles deutet darauf hin, dass die physische Existenz der Juden seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr so gefährdet war wie heute. Niemand von uns wird einmal sagen können, er hätte nichts gewusst.

http://www.freiewelt.net/blog-2168/ein-gespenst-geht-um.html

Thomas Eppinger: Ein Gespenst geht um

  • 0