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In diesen Tagen erscheint das Buch »A weary, unrewarding journey. The Israeli peace movement 1993-2003«. Die Autorin Tamar Hermann, Professorin an der Open University in Tel Aviv, forscht seit langem über die Friedensbewegung in Israel und legt mit dem Buch eine kritische Analyse über das Scheitern der einstmals starken Bewegung vor. Nicht erst die zweite Intifada, sondern der Osloer Friedensprozess markiert für sie den Anfang vom Ende des israelischen Friedensaktivismus. interview: florian schwarz
Gibt es in Israel derzeit mehr Friedensforschung als Friedensaktivismus?
Der Friedensaktivismus in Israel geht heute gegen Null. Es gibt noch einige Gruppen, die existieren, weil sie aus dem Ausland finanziert werden. Aber große, öffentliche Aktivitäten und gesellschaftlicher Einfluss sind auf dem niedrigsten Stand seit dem Ende der siebziger Jahre, als in Folge des Yom-Kippur-Kriegs die Bewegung groß wurde.
Hat das Jahr 2000, der Beginn der zweiten Intifada, zum großen Bruch in der Friedensbewegung geführt?
Ich würde sagen, dass der große Bruch bereits 1993, beim Beginn des Osloer Friedensprozesses, anzusetzen wäre. Das war der historische Punkt, an dem sich die Anhänger der Friedensbewegung nicht mehr sicher waren, ob sie überhaupt noch eine Daseinsberechtigung haben. Die damalige Regierung von Itzhak Rabin übernahm ihre Agenda, ohne die Bewegung irgendwie einzubinden oder politisch zu belohnen. Die Friedensbewegung entschied sich dagegen, als Wachhund zu fungieren, und damit dagegen, die Regierungspolitik kritisch zu begleiten. Sie befürchtete, mit der Kritik an der Regierung die rechte Opposition gegen den Oslo-Prozess zu unterstützen. Auch als Rabin, Shimon Peres und Ehud Barak ihre, durch die Osloer Verträge bestimmten, Pflichten nicht erfüllten, schwieg die Bewegung, und damit verlor sie enorm an Glaubwürdigkeit.
Denken Sie dabei vor allem an Peace Now, die größte und älteste linkszionistische Bewegung, die traditionell um den Anschluss an einen gesellschaftlichen Konsens bemüht ist?
Nicht nur. Gush Shalom um Uri Avnery waren die einzigen, die gegen Rabin demonstrierten. Alle anderen waren ziemlich still. Das Jahr 2000 war dann der K.O.-Schlag.
Heute stehen auf der einen Seite kleine, sich ständig radikalisierende Gruppen, die Israel als rassistischen Apartheidstaat oder Ethnokratie beschreiben, und auf der anderen Seite der Linkszionismus.
Der Linkszionismus hat sich in die Mitte und zur Rechten bewegt. Heute gibt es keine linkszionistische Agenda mehr. Der Linkszionismus stand schon immer im Widerspruch zwischen der Zugehörigkeit zum zionistischen Credo und der Kritik an den Ursachen des Konflikts. Es ist sehr schwierig, Zionist zu sein und gleichzeitig zu fordern, dass Israel für das den Palästinensern 1948 zugefügte Unrecht Reue empfinden soll. So stehen diese Menschen in einer kognitiven Dissonanz, die sie lösen, indem sie sich entweder radikalisieren oder ins zionistische Lager zurückkehren. Dort müssen sie einen Großteil ihrer linken Ansprüche aufgeben. Deshalb fehlt Peace Now heute jegliche Unterstützung auf der Graswurzelebene.
Sehen Sie heute Möglichkeiten, dass die Friedensbewegung wieder auf die Beine kommt?
Es sieht nicht danach aus, auch weil der Rest der Linken kollabiert ist. Außerdem sind die Friedensbewegten mit starken Ressentiments seitens der Bevölkerung konfrontiert, die sie als Repräsentanten und Prototypen der alten Eliten wahrnehmen: Mittel- und höhere Mittelklasse, aschkenasisch, säkular. Damit bleiben die Möglichkeiten für eine Mobilisierung der Friedensbewegung minimal. Noch wichtiger ist, dass die Jugend aus der traditionell eher links stehenden soziodemographischen Schicht heute von der friedenspolitischen Agenda nichts mehr wissen will. Sie ist entweder vollkommen unpolitisch oder wandert in die Mitte ab. Die aschkenasische Jugend von heute ist im Durchschnitt konservativer als ihre Eltern. Auf linken Demonstrationen sind die Leute heute 50 Jahre und älter, wohingegen auf jenen der Rechten wesentlich mehr jüngere Leute teilnehmen. Uns fehlt also die zweite Generation, die sich der Friedensbewegung anschließt.
Trotzdem erklärt das noch nicht, warum ein linker Lifestyle in Israel schwer zu finden ist.
Wenn du 18 bist, musst du für zwei bis drei Jahre zum Militär, dann gehst du in die Uni oder für ein Jahr nach Indien oder Lateinamerika. Außerdem revoltieren Jugendliche nicht mehr gegen ihre Eltern, da sie in der Regel auf deren Unterstützung angewiesen sind, um die Uni-Gebühren und die Miete zu bezahlen. Die Leute kaufen sich die richtigen Klamotten, und das war’s. Wenn gegen die Eltern revoltiert wird, dann meistens mit konservativen Überzeugungen.
Ist das der Grund, warum es heute kaum Kontakte zu Palästinensern gibt?
Nein. Die Leute haben nie wirklich zusammen gearbeitet.
Die radikale Linke hatte aber doch sehr früh Kontakte zur palästinensischen Seite. Das Alternative Information Center, Uri Avnery und andere sprachen schon in den Siebzigern mit der PLO, später kamen Frieden Jetzt und auch die Regierung. Gibt es heute in den palästinensischen Gebieten überhaupt noch einen Gesprächspartner für die radikale Linke?
In der Westbank finden sich immer noch säkulare Kräfte beispielsweise in der Fatah, mit denen die israelischen Radikalen kommunizieren. Es ist nicht so, dass nichts passiert. Aber es geschieht in so geringem Ausmaß, dass es keinerlei politische Auswirkungen hat. Einige versuchten sogar, mit der Hamas zu sprechen, waren aber nicht erfolgreich.
Gibt es Bereiche, in denen die radikale Linke in Israel viele Menschen erreicht?
Ihre Agenda ist für fast alle Israelis unannehmbar. Zudem erhalten sie Geld von christlichen Kirchen und grünen Parteien und gelten daher als unpatriotisch, elitär und mehr dem Ausland als Israel verbunden. Sie werden als kontaminierend wahrgenommen.
Viele der radikalen Linken behaupten, das zentrale Hindernis zu einem Frieden sei der »Sicherheitsfetisch« der Israelis. Wie beurteilen Sie die israelische Sicherheitspolitik?
Es handelt sich hier um eine sehr reale Besorgnis. Indem man die Sicherheit als Fetisch bezeichnet, hält man die Situation für fiktiv. Das ist falsch. Israel ist bedroht. Die Bedrohung wurde und wird durchaus manipulativ genutzt. Aber sie ist nicht fiktiv. Problematisch ist, dass die Frage der Sicherheit hier alles dominiert. Unsere Analysen und Beschreibungen der israelischen Gesellschaft leiden darunter.
Geht es also weniger um Sicherheit als eher darum, Angst zu schüren?
Die Palästinenser haben ihren Teil und wir den unseren dazu beigetragen. Es ist leider nicht so, dass die Palästinenser dem israelischen Kollektiv gute Gründe dafür liefern würden, die Sicherheit als bestimmende Perspektive auf die Situation aufzugeben. Und an einem andauernden Frieden gibt es kein Interesse, da dadurch der bedrohliche Andere verschwinden würde, der die jeweiligen Kollektive verbindet.
Durch die Sperranlage zur Westbank fühlen sich die Israelis heute sicherer. Kann der Sicherheitszaun dazu führen, dass die Israelis noch einmal auf die Palästinenser zugehen?
Die Israelis denken überhaupt nicht mehr an die andere Seite. Aber ich glaube schon, dass sie durch den zurückgegangenen Terror politischen Alternativen gegenüber aufgeschlossener werden. Auf der anderen Seite sehen sie durch das Nachlassen des Terrors auch keinen Grund mehr dazu.
Wie könnte die palästinensische Seite die israelische Öffentlichkeit heute beeinflussen, ihr mehr Zugeständnisse zu machen?
Wenn die Hamas eine Erklärung verabschieden würde, in der sie Israel anerkennt und sich zu egal welchen Verhandlungen bereit erklärt, wäre die israelische Regierung gezwungen, ihre Position zu den Palästinensern neu zu bestimmen.
Wie stehen die Chancen für einen solchen Schritt?
Die Hamas sieht keinen Grund dafür. Sie glaubt fest daran, dass sie in 40 bis 80 Jahren gewinnen werden. In solchen Zeiträumen denken diese Leute. Ihre Hoffnung besteht in einem demographischen Sieg. Warum also sollten sie jetzt Abkommen treffen, wenn sie sowieso an einen Gewinn des Ganzen glauben?