Die „Protokolle” im Stil des 21. Jahrhunderts

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Gegenwärtig wird in Großbritannien ein weiterer akademischer Boykott gegen Israel organisiert. Diese Boykott-Bewegung repräsentiert nicht alle britischen Lehrbeauftragten und Intellektuellen. Und die Organisatoren stellen keine Mehrheit sondern eher eine kleine Minderheit dar. Jedoch gibt es keine Initiativen für Boykotte gegen andere Länder: nicht gegen den Iran, der die Schoah leugnet und droht, Israel zu zerstören; nicht gegen den Sudan, der Völkermord in Darfur begeht; nicht gegen Saudi-Arabien, wo Menschen wegen Übertretungen religiöser Gesetze hingerichtet werden; und nicht gegen China, das Tibet und Shenzhen unterdrückt. Auch die verhassten Vereinigten Staaten von Amerika werden nicht boykottiert, weil dies Akademikern, die nach Harvard, Yale oder Princeton gehen möchten, schaden würde.

Als ich in den Jahren 2003 bis 2005 während einer Freistellungszeit an der Universität Oxford war, stellte ich erstaunt fest, auf welche Art viele Professoren und Studenten an dieser berühmten Universität Israel und den Zionismus betrachten. In Oxford gibt es einen starken intellektuellen Strom, der Zionismus mit Rassismus, Imperialismus und Kolonialismus gleichsetzt. Die Kontrolle über die palästinensischen Autonomiegebiete, die Siedlungen und die Darstellung Israels als ein Staat, der Frieden verweigert, haben dazu beigetragen. Doch es wäre falsch, wenn wir dächten, das Problem würde mit dem Rückzug aus den Autonomiegebieten und der Gründung von zwei Staaten für zwei Völker gelöst.

Laut Ansicht vieler Leute in Oxford ist der ursprüngliche und historische Zionismus rassistisch. Die Menschen der ersten Einwanderungswellen werden als weiße europäische kolonialistische Siedler betrachtet, die wie die Siedler in Südafrika in ein Land kamen, das ihnen nicht gehörte, um die palästinensischen Einheimischen auszubeuten. Immer wieder hörte ich, dass Israel ein Apartheid-Staat sei. Sprecher, die diese Ansicht äußerten, bekamen tosenden Applaus.

Erst kürzlich wurde in Oxford eine „Israel-Apartheid“-Woche veranstaltet. Dabei war der Ruf nach einem ökonomischen, kulturellen und akademischen Boykott gegen Israel zu vernehmen. Auch der Lösungsvorschlag ist ein südafrikanischer: nicht zwei Staaten für zwei Völker, kein jüdischer Staat neben einem palästinensischen Staat, sondern eher ein einziger Staat, in dem Juden letztlich eine Minderheit sein werden. Wenn Ohren verschlossen sind, haben Erklärungsversuche, nach denen zwei Staaten für zwei Völker nicht Apartheid bedeutet sondern eher der größte Wunsch der Moderaten und Friedenssucher auf beiden Seiten ist, keine Chance gehört zu werden.

Antisemitische Töne sind ebenfalls nicht illegitim. Wenn es um „die Zionisten“ geht, bezieht man sich dabei nicht nur auf die Israelis sondern auch auf die Juden, besonders auf die Juden in den Vereinigten Staaten, weil jeder weiß, dass sie das Pentagon, den Kongress und das Weiße Haus kontrollieren und weil jeder weiß, dass die Juden Israel dienen. Und somit kontrolliert Israel die Juden der Vereinigten Staaten, die Juden der Vereinigten Staaten kontrollieren die Politik der Vereinigten Staaten und die Vereinigten Staaten kontrollieren die Welt. „Die Protokolle der Weisen von Zion“ im Stil des 21. Jahrhunderts. Ich habe gehört, dass über „die Foxmans“ gesprochen wurde, die Europa kontrollieren wollen und über die „Schwartzes“, die Kongressmitglieder bestechen.

Parallel zur Feindschaft gegenüber Israel gibt es keine Versuche das zu kritisieren, was in anderen Ländern des Nahen Ostens geschieht. Ich habe Fakultätstreffen im Center for the Study of the Middle East mit Botschaftern aus Iran und Syrien besucht. Der iranische Botschafter beschrieb sein Land als eine Musterdemokratie, wo seit Khomeinis Revolution nur Gerechtigkeit und Menschenrechte die Wege erhellen. Niemand widersprach ihm und keiner stellte eine kritische Frage.

Die Diskussion mit dem syrischen Botschafter war auch entspannt und freundlich. Niemand zeigte irgendein Interesse an der Besatzung des Libanon, an den Folterkammern oder an freien Wahlen in Syrien. Einen Tag, nachdem in den Medien über die Enthauptung eines Studenten in Dscheddah berichtet worden war, lud man den Botschafter von Saudi-Arabien zu einer offiziellen Rede ein.

Als ein Israeli, der gegen die Besatzung und die Siedlungen ist, der eine Lösung von zwei Staaten für zwei Völker unterstützt, der sich aber auch als Zionist betrachtet, der die Existenz eines jüdischen und demokratischen Staates, der ein Staat für alle seine Bürger ist, wünscht, bin ich frustriert, dass in diesen Kreisen keine Bereitschaft herrscht, die Komplexität des jüdisch-arabischen Konflikts zu sehen. Es gibt überhaupt kein Verständnis für die jüdische Geschichte der Pogrome, Verfolgungen und Deportationen oder für die Bedeutung der Schoah. Sie wissen nicht und sie wollen auch nicht wissen, dass wir historische Wurzeln in diesem Land haben und dass unsere Sprache keine europäische ist, dass die Hälfte der Juden in Israel nicht aus Europa kommt und dass diejenigen, die aus Europa kamen, als Außerirdische betrachtet und als „Semiten“ gemieden wurden und dass die Zionisten kein kolonialistisches Vaterland hatten.

Benjamin Neuberger ist Politologe an der Open University of Tel Aviv. Der Artikel erschien am 29.5.06 in der Zeitung Haaretz.

Die „Protokolle” im Stil des 21. Jahrhunderts

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