Thomas von der Osten Sacken: Clockwork Orange der Islamisten

  • 0

http://jungle-world.com/seiten/2007/31/10339.php

Für die alte al-Qaida wird es schwierig im Irak. Die Brutalität der Anschläge nimmt zu. Sie gehen auf das Konto einer neue Generation von Jihadisten. von Thomas von der Osten-Sacken

Der Inhalt des kürzlich in der Times veröffentlichten Berichts über das sunnitische Stadtviertel al-Doura, bekannt als eine der Hochburgen des so genannten Irakischen Widerstandes in Bagdad, wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen. Doura gilt nämlich inzwischen als letzter Rückzugsort von al-Qaida. Die US-Armee und die irakischen Streitkräfte übernehmen sukzessive die Kontrolle in den sunnitischen Gebieten der irakischen Hauptstadt.

Leutnant James Danly vom US-Militärgeheimdienst berichtet der britischen Times, dass ihn vermehrt Überläufer aus dem Umfeld der Terrorgruppe aufsuchen, die die brutalen Methoden bei al-Qaida ablehnen und sich angesichts der militärischen Erfolge der amerikanischen Armee eine Amnestie erhoffen. »Erst nach­dem al-Qaida wirklich barbarisch geworden ist und Dinge getan hat, wie Gesichter mit Klaviersaiten abzuschneiden und die ganze Familie zu zwingen, dabei zuzugucken, um sie dann umzubringen und nur ein Kind übrig zu lassen, das die Geschichte erzählen kann, merken die Leute, in was für einer Klemme sie stecken«, erklärt Danly.

Ähnliche Stimmen kommen auch aus anderen Teilen des Irak, wo seit Monaten sunnitische Stammesmilizen erfolgreich gegen al-Qaida kämpfen und der bislang geschlossen auftretende Widerstand gegen die irakische Regierung und die Koalitionstruppen längst der Vergangenheit angehört. Selbst in der Provinz von Dyala, in die viele Terroristen aus Bagdad geflohen sind, gelingt es ihnen kaum noch, zusammenhängend kontrollierte »Emirate« zu errichten. Stattdessen mehren sich Nachrichten von Massakern. So berichtete beispielsweise der Journalist Michael Yon, dass amerikanische Soldaten Anfang Juli in der Nähe von Baqubah ein Massengrab mit den Leichen von Frauen und Kindern gefunden hätten, die von al-Qaida ermordet worden seien.

Al-Qaida im Zweistromland, 2004 von Abu Musab al-Zarkawi gegründet, scheint geschwächt zu sein. Doch wie eine Offizierin der US-Armee im Radiosender Voice of Iraq erklärte, steht man nun vor einem neuen Problem. Die nachkommenden, meist noch sehr jungen Terroristen würden die alten Kader von al-Qaida an Brutalität überbieten. Seit es sich um eher regionale Banden handele, die sich oftmals zwar »al-Qaida« nennen würden, aber nur noch wenig mit der ursprünglichen Organisation gemeinsam hätten, werde wahllos und mit extremer Brutalität getötet. Zu ihren Opfern zählen Männer, die auf offener Straße rauchten oder im Verdacht standen, Schiiten, Kurden oder Kollaborateure zu sein. Bei diesen Banden handelt es sich offenbar um amoklaufende Jugendliche, die in einem Klima von Angst, Krieg und täglicher Brutalität aufgewachsen sind und nun Clockwork Orange auf islamistisch inszenieren.

Spektakuläre Anschläge im Irak haben in den vergangenen Wochen zwar abgenommen, doch das Ausmaß der Brutalität nimmt überall im sunnitischen Gebiet zu. Längst ist aus dieser Region geflohen, wer kann. Ein Großteil der geschätzten zwei Millionen irakischen Flüchtlinge in Jordanien und Syrien stammt aus dem Zentral­irak.

Die krisenhafte Entwicklung im Irak, immerhin der erklärte Hauptkampfplatz von al-Qaida, auf dem die amerikanische Armee geschlagen und ein neues Kalifat errichtet werden sollte, spiegelt eini­ge der grundlegenden Schwierigkeiten, mit denen das Terrornetzwerk momentan zu kämpfen hat.

Zwar mag es der Führungsriege schmeicheln, dass die amerikanischen Geheimdienste kürzlich erklärten, al-Qaida sei so stark wie seit 2001 nicht mehr. Doch derlei Erklärungen müssen im Zusammenhang mit dem Präsidentenwahlkampf gesehen werden, denn die CIA lässt keine Chance ungenutzt, um die Regierung von George W. Bush zu diskreditieren. So bezweifelte etwa George Friedmann, Gründer des US-amerikanischen Think Tanks Stratfor, dass al-Qaida derzeit überhaupt in der Lage sei, in den USA zuzuschlagen, und fragte kürzlich, was eigentlich noch unter dem Begriff al-Qaida zu fassen sei. Eine Organisation, wie sie 2001 bestand, mit vergleichsweise zentralen Führungsstrukturen und einer einigermaßen kohärenten Strategie, existiert offenbar nicht mehr. Zielten frühere spektakuläre Anschläge gegen »Kreuzfahrer und Juden« und mit ihnen verbündete arabische Regierungen noch auf eine Einigung der Muslime unter gemeinsamer Führung, ist es dem internationalen Jihadismus gelungen, chaotische und bürgerkriegsähnliche Zustände zu produzieren. Ob in Algerien, Marokko, Jordanien, Pakistan oder dem Irak, in überwältigender Mehrheit fallen inzwischen Muslime den Anschlägen und Suicide Bombings der Jiha­disten zum Opfer.

Sicher ist es deshalb auch kein Zufall, dass in all diesen Ländern – mit Ausnahme der palästinensischen Gebiete – die Verehrung Ussama bin Ladens drastisch abnimmt und immer weniger Befragte Selbstmordattentate gutheißen. Nach einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Pew-Instituts halten nur noch 20 Prozent aller Jordanier bin Laden für einen geeigneten »World Leader«, ein Rückgang um 36 Prozent im Vergleich zum Jahr 2003, während nur noch neun Prozent aller Pakistanis Suicide Bombings unterstützen. Im Irak haben sich inzwischen selbst sunnitische Parteien, die noch bis vor kurzem den »Widerstand« offen unterstützten, gegen einen schnellen Abzug der Amerikaner ausgesprochen.

Ein erfolgreicher Anschlag in den USA oder in Israel und selbst in Europa würde das Image von al-Qaida vermutlich wieder aufbessern. Entgegen der Warnungen aus den USA scheint die operative Fähigkeit, solche Anschläge durchzuführen, allerdings weitgehend eingeschränkt. Zwar bietet der tägliche Kampf im Irak und in Afghanistan die Möglichkeit, immer neue Jihadisten unter Frontbedingungen auszubilden, aber oft fehlen jene ruhigen Rückzugsgebiete, die für die Planung größerer Anschläge nötig sind. Inzwischen kontrollieren äthiopische Soldaten Somalia, und die saudischen al-Qaida-Zellen sind, glaubt man dem Terrorexperten Ely Karmon, weitgehend zerschlagen.

Auf der anderen Seite bleiben Pakistan und Nord­afrika, wo sich im Januar die Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) offiziell in »al-Qaida für den islamischen Maghreb« umbenannt hat. Es heißt, sie habe einige Trainingscamps in der Sahara eingerichtet, von wo aus sie auch Anschläge in Europa plane. Auch im Gaza-Streifen sollen, israelischen und jordanischen Geheimdienstangaben zufolge, neue al-Qaida-Zellen entstanden sein.

Die geringer werdende Unterstützung von einst sympathisierenden Staaten wie Saudi-Arabien oder den arabischen Emiraten ist ein weiteres strukturelles Problem von al-Qaida. Zwar verfügen lokale Organisationen über verschiedene Einkünfte aus Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, jedoch kann keine Terrororganisation langfristig ohne staatliche Unterstützung auskommen. Es bleibt der Iran. So erklärte Nasser al-Bahri, der ehemalige Leibwächter bin Ladens, dem Satellitensender al-Arabiya, man unterhalte zu dem Mullahstaat enge Beziehungen. Dies bestätigen auch kurdische Sicherheitskräfte aus dem Nordirak, die über verschiedene Ansar-al-Islam-Camps auf der iranischen Seite der Grenze berichten. Doch das Verhältnis zum Iran ist nicht einfach. Schließlich halten die sunnitisch-salafitischen Terrorgruppen die Schiiten für Abtrünnige, die mit allen Mitteln bekämpft werden müssen. Entsprechend hatte im Juni die Organisation »Islamischer Staat Irak« dem Iran mit Krieg gedroht.

Es ist schwer, definitive Aussagen über den Zustand von al-Qaida zu treffen. Die derzeitigen Einschätzungen und Analysen von Experten könnten kaum widersprüchlicher sein. Doch insgesamt scheint es um das Terrornetzwerk nicht zum Besten bestellt zu sein. Jedenfalls ist es ihm bislang nicht geglückt, auch nur eines von seinen 2001 angestrebten Zielen zu erreichen. Ob am Ende die Jihadisten oder die USA den längeren Atem in diesem Abnutzungskrieg haben, kann guten Gewissens niemand prognostizieren.

Klar ist jedoch, dass der Nahe Osten sich in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Aufkommen des jihadistischen Terrors in einem Maße barbarisiert hat, dass es Jahrzehnte dauern wird, um die Folgen dieser Hinterlassenschaft in den Griff zu kriegen. Diesen Erfolg kann leider niemand mehr dem islamischen Terrorismus streitig machen.

Thomas von der Osten Sacken: Clockwork Orange der Islamisten

  • 0
AUTHOR

SPME

Scholars for Peace in the Middle East (SPME) is not-for-profit [501 (C) (3)], grass-roots community of scholars who have united to promote honest, fact-based, and civil discourse, especially in regard to Middle East issues. We believe that ethnic, national, and religious hatreds, including anti-Semitism and anti-Israelism, have no place in our institutions, disciplines, and communities. We employ academic means to address these issues.

Read More About SPME


Read all stories by SPME