Der Historiker Wolfgang Benz über die Antisemitismusforschung und neue Formen des Judenhasses

"Wir können nur aufklären"
  • 0

http://www.morgenpost.de/content/2007/08/03/feuilleton/913828.html#

Das Zentrum für Antisemitismusforschung gehört zu den weltweit bekanntesten Forschungsinstituten Berlins. Seit 1990 leitet es der Historiker Wolfgang Benz. Der 66-Jährige gehört zu den bekanntesten Zeithistorikern Deutschlands und den weltweit angesehensten Holocaust-Forscher. Mit ihm sprach Sven Felix Kellerhoff über die Aktualität des Antisemitismus und neue Formen des Judenhasses.

Berliner Morgenpost: Das Auswärtige Amt in Berlin zeigt derzeit eine Ausstellung des Zentrums für Antisemitismusforschung und der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem mit dem Titel “Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?”. Alles dasselbe?

Wolfgang Benz: Nein. Antisemitismus ist der Oberbegriff für jede Form von Judenfeindschaft, wie es sie seit Jahrhunderten gibt. Antizionismus ist eine politische Haltung, die sich gegen die Existenz des Staats Israel richtet. Kritik an der Politik Israels ist dagegen eine ganz natürliche Sache. Viele benutzen sie heute aber als Ventil, um ihre Judenfeindschaft zu äußern – und dann ist es eben nicht mehr normal.

Vorurteile gegen Juden gibt es in völlig unterschiedlichen Milieus – zum Beispiel bei rechtsextremen Nationalisten, bei linken Internationalisten und bei vielen Muslimen. Kann man angesichts dieser weiten Verbreitung dem Antisemitismus überhaupt durch Aufklärung beikommen?

Es ist schwer, aber nicht aussichtslos, und eine andere Möglichkeit als Aufklärung haben wir ohnehin nicht. Deshalb muss man die Wurzeln der Judenfeindschaft freilegen, auf das Irrationale hinweisen. Vor allem sollte man zeigen, dass es bei allen Spielarten der Judenfeindschaft stets um Instrumentalisierung geht: Juden werden in Anspruch genommen für Missstände, mit denen sie gar nichts zu tun haben.

Welche Rolle spielen heute noch die Holocaust-Leugner in Europa?

Eine ziemlich geringe. Sie genießen allerdings wegen der Maßlosigkeit und der Irrationalität, mit der sie historische Wahrheit leugnen, mehr Aufmerksamkeit, als ihnen zukommt.

Neben den offenen Holocaust-Leugnern gibt es die Relativierer, die etwa behaupten, die Mehrheit der Deutschen sei eigentlich gegen die antijüdische Politik des NS-Regimes gewesen. Sind sie nicht eigentlich gefährlicher?

Der Schurke im Maßanzug, im Gewande des Biedermanns ist immer gefährlicher als der Strolch, dem man seine bösen Absichten gleich ansieht. Deshalb ist eine intellektuelle Strömung, die zu beschönigen, zu verharmlosen oder aufzurechen versucht, im Augenblick sicher die größere Gefahr für die Aufklärung über das, was geschehen ist.

Das Zentrum für Antisemitismusforschung widmet seine diesjährige Sommeruniversität im September den weniger bekannten Formen des Antisemitismus. Was steht genau auf dem Programm?

Zum Beispiel werden wir uns mit der Behauptung beschäftigen, es sei ein Tabu, Israel zu kritisieren. Natürlich geht es auch um die Aneignung antisemitischer Stereotypen durch arabische, durch islamistische Judenfeinde.

Sie sind gerade 66 Jahre alt geworden. Wie geht es weiter mit der Antisemitismusforschung und dem Zentrum, das Sie seit 17 Jahren leiten?

Das Zentrum werde ich weiterhin leiten, und ich verspüre keine Neigung, mich zur Ruhe zu setzen. In einer Zeit, in der die Geisteswissenschaften an Bedeutung verlieren, ist es schwierig, ein solches interdisziplinäres Institut zu erhalten. Ich werde oft gefragt, ob das Zentrum an der Technischen Universität (TU) richtig angesiedelt sei. Ich glaube ja, auch wenn es dort nur noch wenig Geisteswissenschaften gibt. Die TU betrachtet dieses weltweit singuläre Institut als eine besondere Herausforderung und behandelt uns gut. Einen anderen Standort mag ich mir daher nicht vorstellen.

*****

Siehe auch: Sommeruniversität gegen Antisemitismus: Antizionismus, Israelfeindschaft, islamistischer Judenhass

Der Historiker Wolfgang Benz über die Antisemitismusforschung und neue Formen des Judenhasses

"Wir können nur aufklären"
  • 0
AUTHOR

SPME

Scholars for Peace in the Middle East (SPME) is not-for-profit [501 (C) (3)], grass-roots community of scholars who have united to promote honest, fact-based, and civil discourse, especially in regard to Middle East issues. We believe that ethnic, national, and religious hatreds, including anti-Semitism and anti-Israelism, have no place in our institutions, disciplines, and communities. We employ academic means to address these issues.

Read More About SPME


Read all stories by SPME