Karl Pfeifer: Schein und Sein- Zweifelhafte Fortschritte

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Unlängst sorgte die Idee eines palästinensischen Professors für erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien: Ali Jirbawi von der Bir-Zeit-Universität in Ramallah hatte angeregt, die „Farce einer palästinensischen Eigenständigkeit“ zu beenden und die Macht an Israel zurückzugeben. Auf den ersten Blick sah das nach Selbstkritik und Einsicht aus – selten genug. Die Sache hatte allerdings einen veritablen Haken. Denn in Wirklichkeit ging es Jirbawi darum, „Israel zu zwingen, entweder die Verantwortung für die Sicherung und wirtschaftliche Versorgung der besetzten Gebiete zu übernehmen oder einem endgültigen Abkommen zuzustimmen, in dem Israel den Palästinensern volle Eigenständigkeit und territoriale Integrität zusichert“. Unabhängig davon, dass die Palästinenser mit diesem Vorschlag also bloß neuerlich von jeglicher Verantwortung für ihr Tun befreit werden sollten, hat er sich spätestens seit der Zweiteilung der palästinensischen Gebiete infolge des Bürgerkriegs ohnehin erledigt. Auf nennenswerte Gegenliebe bei der politischen Führung der Palästinenser und in der Bevölkerung wäre er allerdings wohl kaum gestoßen.

DI Tarafa Baghajati von der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) wiederum mochte zwar nicht von einer Farce reden, aber auch er wartete mit in islamischen Kreisen eher selten Gehörtem auf: „War etwa das Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948 nicht ein fataler Fehler?“, fragte er kürzlich und befand, die Klärung dieses Sachverhalts sei „eine unausweichliche Notwendigkeit, um sich überhaupt der Herausforderung einer gerechten und politisch realisierbaren Lösung zu stellen“. Ist es also diesmal Kritik, die ihren Namen verdient? Oder steht Baghajati vielmehr in der Tradition und Praxis der islamischen Takuyya, der „Täuschung durch Verstellung“ (Bassam Tibi) bei der Auseinandersetzung mit „Ungläubigen“? Karl Pfeifer hat genauer hingesehen und festgestellt, dass Baghajati zumindest längst nicht so unpopulär argumentiert, wie es zunächst scheint.

Zweifelhafte Fortschritte

Der Name des Mitbegründers der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), DI Tarafa Baghajati (Foto), ging unlängst durch die Medien, als die für die Wiener Büchereien zuständige Magistratsabteilung 13 im Februar 2007 versuchte, eine frühzeitig angekündigte Lesung von Henryk M. Broder in eine Podiumsdiskussion mit ihm umzuwandeln. (1) Baghajati machte sich zudem durch seine Denunziationen missliebiger Österreicher bekannt. (2) Einige Male habe ich sein Wirken kritisch beleuchtet. (3) Um so mehr freue ich mich nun, einmal Gutes über ihn berichten zu können. In seinem Beitrag „Im Zeichen der Al-Nakba 1948“ schrieb er: „Auch die arabischen Länder müssen sich den Spiegel vors Gesicht halten und viele virulente Fragen ehrlich behandeln. War etwa das Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948 nicht ein fataler Fehler? Die Behandlung dieser Frage sollte nicht nur erlaubt sein, sondern stellt eine unausweichliche Notwendigkeit dar, um sich überhaupt der Herausforderung einer gerechten und politisch realisierbaren Lösung zu stellen.“ (4)

Es ist sicherlich positiv zu bewerten, dass Baghajati einen solchen „ketzerischen“ Gedanken auf filastin, der Homepage der Palästina-Plattform Österreich, publiziert hat. In einem anderen Artikel mit der gleichen Überschrift, der in der aktuellen Printausgabe der von Fritz Edlinger herausgegebenen Zeitschrift International veröffentlicht wurde, forderte er „eine Portion Mut“, um „über die eigenen Fehler laut nachzudenken“. Doch Baghajati selbst fehlt dieser Mut, und so stellte er in diesem Aufsatz das „Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948“ nicht mehr in Frage; vielmehr kehrte er zurück zur unfruchtbaren und unfundierten Polemik sowie zum Rundumschlag gegen Großbritannien, Europa, Deutschland und Österreich und insbesondere natürlich gegen Israel.

Wie die Nadel eines alten Grammofons an einem abgewetzten Teil einer alten Schallplatte hängen bleibt, so tönt es immer wieder „Kolonialismus“ – was seltsam klingt, wenn man bedenkt, wie die arabische Propaganda bis in die 1960er Jahre hinein den Jishuv (die jüdische Gesellschaft im britischen Mandatsgebiet) und später den Staat Israel als Pionier des Bolschewismus im Nahen Osten verleumdete. Wenn Kolonialismus, wie es im Kleinen politischen Wörterbuch heißt, „die Ausbeutung und Unterdrückung eines in Abhängigkeit gebrachten Volkes durch die herrschende Klasse eines anderes anderen Volkes“ bedeutet, dann kann davon in Bezug auf den Jishuv und Israel gerade keine Rede sein: Die Juden exportierten aus Palästina kein Kapital, sondern investierten es in ein unterentwickeltes, an Rohstoffen armes Gebiet. Sie kauften das Land zu überhöhten Preisen von den arabischen Landbesitzern, und in keinem arabischen Land war das Lohnniveau arabischer Arbeiter so hoch wie im Mandatsgebiet, was ja auch zu einer Masseneinwanderung von Arabern aus den Nachbarstaaten führte.

Auch die systematische Ausbeutung von Einheimischen charakterisierte den Kolonialismus. Doch im Jishuv vertrat die damals hegemoniale jüdische Arbeiterbewegung den Standpunkt der Awoda Ivrith, der Hebräischen Arbeit, und so wurden Araber nur von einer Minderheit von Juden beschäftigt. Als Araber aus den 1967 besetzten Gebieten in Israel arbeiten durften, wurde der jüdische Staat neuerlich des „Kolonialismus“ beschuldigt. Nach dem Beginn der Selbstmordattentate gegen Israel wurde die Beschäftigung dieser Araber schließlich radikal eingeschränkt, was zu Vorwürfen führte, man wolle diese Menschen verhungern lassen. Es ist wie im klassischen Antisemitismus: Was immer der jüdische Staat tut, er wird verurteilt.

Es lohnt sich nicht, hier auf alle Geschichtsverdrehungen von DI Tarafa Baghajati einzugehen. Im krampfhaften Bemühen, einmal mehr Israel zu verleumden, behauptete er beispielsweise: „In den israelischen Schulbüchern sind die Schattenseiten in Geschichte und Gegenwart des Staates Israel sorgsam ausgeblendet worden.“ Doch das ist falsch. Bereits 2002 schrieb ich: „Vor ein paar Jahren kam in Israel ein neues Geschichtsbuch für Gymnasiasten heraus, das die Öffentlichkeit schockierte. Der Unabhängigkeitskrieg Israels gegen die arabischen Armeen wurde lediglich mit einer Landkarte illustriert, die Umfang und Richtung der palästinensischen Flüchtlingsströme aus Israel zeigte – ohne dass umgekehrt auch die Invasion der arabischen Armeen nach Israel dokumentiert wurde. Dies ist nur ein Beispiel dafür, was eine Generation ‚neuer Historiker’ – die in den arabischen Ländern, aber auch von links- und rechtsextremen ‚Antizionisten’ bejubelt werden – unter der Zerschlagung der ‚Mythen des Jahres 1948’ versteht.“ (5)

APSA, das Journal der American Political Science Association, publizierte im Juni 2007 einen bemerkenswerten Artikel mit dem Titel „From Taboo to the Negotiable: The Israeli New Historians and the Changing Representation of the Palestinian Refugee Problem“, in dem die Neuen Historiker und ihr Einfluss auf die neuen Schulbücher explizit gelobt werden. (6) Das Center for Monitoring the Impact of Peace überprüft laufend die Schulbücher im Nahen Osten. Es analysierte im Jahr 2005 palästinensische und im Jahr 2002 israelische Schulbücher und befand, dass in den israelischen Schulbüchern die Bemühung sichtbar wird, die Werte des Friedens, die Verbesserung der Sicht der anderen Seite, die Förderung des gegenseitigen Respekts und der friedlichen Beziehungen der Konfliktparteien zu betonen. In den palästinensischen Lehrmitteln hingegen wird Israels Existenz nicht anerkannt, und die enge Verbindung Jerusalems mit der jüdischen Geschichte wird geleugnet. Israel wird systematisch verleumdet, dämonisiert und für die Lage der Palästinenser allein verantwortlich gemacht. Obwohl es in der Geschichte einige Beispiele von muslimischer Toleranz gegenüber Juden gab, wird kein einziges in den palästinensischen Schulbüchern erwähnt. Das Hauptproblem dieser Unterrichtsmaterialien ist, dass die palästinensische Jugend nicht dazu erzogen wird, die andere Konfliktpartei – die Israelis also – zu akzeptieren und mit ihr zu koexistieren. Die Palästinensische Autonomiebehörde bringt der jungen Generation vielmehr bei, dass die Forderung nach Freiheit und Befreiung mit der Ablehnung der Legitimität Israels untrennbar verbunden sei. (7)

In einem Absatz seines Beitrags in International übte DI Tarafa Baghajati Kritik an den arabischen Ländern: „Die Araber wiederum schweigen darüber, dass der jüdischen Minderheit in vielen arabischen Ländern – vor allem Irak, Syrien, Jemen und Marokko – nach der Staatsgründung Israel ein krasses Unrecht widerfuhr, teilweise auch in staatlich organisierter Form.“ Das ist schon ein kleiner Fortschritt. Ich habe mich hier damit begnügt, am Beispiel seiner Auslassungen über israelische Schulbücher die Verlogenheit von Baghajati nachzuweisen. Es ist die Mühe nicht wert, auf seine anderen Beschuldigungen gegen Israel, auf seine ganzen Halb- und Unwahrheiten einzugehen. Wesentlich scheint mir, dass über die Lippen von Baghajati nie ein kritisches Wort zur Verantwortung der Anführer der Palästinenser für die entstandene Lage kommt. Er wäre gut beraten, seine Taktik der Denunziation und den Weg der Propaganda aufzugeben. Ein Dialog ist so kaum möglich.

Anmerkungen:
(1) http://www.doew.at/, http://www.islaminitiative.at/ (1), http://www.islaminitiative.at/ (2)
(2) http://www.doew.at/, http://www.asyl-in-not.org/
(3) http://www.lizaswelt.blogspot.com/, http://linke.cc/
(4) http://www.filastin.at/
(5) http://www.ikg-wien.at/
(6) http://www.apsanet.org/: „The differences between the textbooks of the 1980s and current ones are clear. The new textbooks present a more complex version of the circumstances leading to the displacement of the Palestinians during the 1948 War. The new textbooks continue to reject the thesis that there was a premeditated plan to expel the Arab population. They note that some Arabs left out of fear and as a result of the fighting. At the same time, they present cases of active expulsion by the IDF, and they do not assign sole responsibility to the Arab leadership.“
(7) Center for the Monitoring of Peace, http://www.edume.org/

Karl Pfeifer: Schein und Sein- Zweifelhafte Fortschritte

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