Jeffrey Herf: Gefahr Iran oder: Schweigen der Antifaschisten

Warum man die Drohungen des iranischen Präsidenten Ahmadi-Nejad ernst nehmen sollte - Und warum es gerade Ländern mit nationalsozialistischer Vergangenheit gut anstünde, mit mehr Engagement dagegen vorzugehen
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Eine frühere Fassung dieses Textes wurde im Dezember 2007 in der Welt veröffentlicht. Seitdem ist deutlich geworden, dass die Bemühungen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, den Iran von seinen Plänen, die Fähigkeit zum Bau von Nuklearwaffen zu erlangen, abzuhalten, keinerlei Erfolge gebracht haben. Glücklicherweise haben einige österreichische Intellektuelle, die sich über die nationalsozialistische und postnazistische Vergangenheit ihres Landes bewusst sind, eine führende Rolle bei dem Versuch eingenommen, Europa dazu zu drängen, entschiedener gegen die iranischen Nuklearwaffenambitionen vorzugehen.

Die Erinnerung an den Holocaust bietet zwar keine direkte Anleitung für gegenwärtiges politisches Handeln, aber sie ist doch von Bedeutung für dieses Handeln. Die Konferenz über die iranische Bedrohung und Israel, die am 3. und 4. Mai an der Wiener Universität stattfinden wird, beruht auf der Einsicht, dass die Bemühungen, jede Wiederholung des Holocausts zu verhindern, zu lange allein auf den europäischen Kontinent fixiert waren.

Die österreichische Initiative “Stop the Bomb”, die zu dieser Konferenz geführt hat, verdeutlicht, dass sich hier Bürger und Bürgerinnen Österreichs nicht neutral verhalten, sondern bewusst Partei ergreifen für das Recht Israels und jeder anderen Nation, frei von der Drohung eines Genozids leben zu können – wo auch immer diese Drohung herkomme. Die Bedrohung Israels…

Die Erinnerung an die Verbrechen der Naziepoche einschließlich des Holocaust und die Entschlossenheit, den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen, sind seit 1949 konstitutive Merkmale der deutschen Demokratie. Den Mahnmalen, Gedenktagen, Büchern und Filmen über den Nationalsozialismus und den Holocaust nach zu urteilen, ist diese Tradition noch immer fest in der politischen Kultur verankert. Als Historiker dieser Erinnerungskultur weiß ich aber auch, dass von Anfang an die Aufarbeitung des Nationalsozialismus von jenen angegriffen wurde, die “endlich” einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollten. Jetzt zeigt sich, dass angesichts des Krieges im Irak, des Terrors radikaler Islamisten und der Gefahr einer iranischen Atombombe in Teilen der deutschen und österreichischen Öffentlichkeit die Gegnerschaft zu den USA und Israel ein beunruhigendes Übergewicht erlangt hat gegenüber der Fähigkeit, neue Formen des Antisemitismus, ja sogar die mögliche Bedrohung Israels durch Massenvernichtungswaffen, zu erkennen und dagegen anzugehen.

Publikationen deutscher Intellektueller, wie etwa Djihad und Judenhass von Matthias Küntzel oder Halbmond und Hakenkreuz von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers, haben den Einfluss des radikalen Antisemitismus in Deutschland und Europa auf die Entstehung eines radikalen Islam im Nahen Osten in den 30er- und 40er-Jahren nachgezeichnet. Auch meine eigenen Forschungen zur Verbreitung der Nazipropaganda im Nahen Osten zeigen, dass eine rein eurozentristische Aufarbeitung der Nazivergangenheit die Zusammenhänge zwischen dem Antisemitismus der Nationalsozialisten und dem Antisemitismus der Radikalislamisten verkennt.

Bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ging es nie allein darum, wie dieses Erinnern aussehen soll, sondern stets auch um seine politischen Implikationen für die Gegenwart. Die Wiedergutmachung, die Kriegsverbrecherprozesse, aber auch die Außenpolitik gegenüber den Ländern, die von Nazideutschland besetzt worden waren, sowie die Aufnahme besonderer Beziehungen zu Israel waren politische Folgerungen aus dieser Erinnerung.

Als im Frühjahr 2006 der iranische Präsident Mahmud AhmadiNejad drohte, Israel von der Landkarte zu tilgen, und gleichzeitig sein Programm fortsetzte, das auf die Herstellung von Atomwaffen zielte, erwuchs aus dem Anspruch der Vergangenheitsbewältigung für das politische Establishment Deutschlands und Österreichs eine sehr spezifische außenpolitische Frage: Was würde es tun, um den Iran daran zu hindern, sich Atomwaffen zu beschaffen, mit denen Ahmadi-Nejad seine Drohung in die Tat umsetzen könnte, einen zweiten Holocaust zu begehen?

Zweifellos hat Bundeskanzlerin Angela Merkel seine Drohung in aller Deutlichkeit verurteilt, und österreichische Politiker haben, wenn auch etwas weniger deutlich, ähnliche Worte gefunden. Dennoch haben jene deutschen und österreichischen Medien, die doch sonst einiges für die Erinnerung an den Holocaust tun, einen investigativen Journalismus über den Anteil der deutschen Industrie an der Entwicklung der iranischen Nuklearprojekte und über die österreichischen Handelsbeziehungen mit dem Mullah-Regime eher vermissen lassen…. wird zu wenig beachtet

Wo, fragt man sich, sind die Recherchen von liberalen und linken Journalisten, die sonst immer kritische Fragen über die Großunternehmen stellen? Warum steht in den traditionellen Organen des Antifaschismus so wenig über die Möglichkeit, dass deutsche und österreichische Firmen – wieder einmal – aus Profitinteresse einer Regierung zuarbeiten, deren Chef öffentlich verkündet hat, er wolle Israel von der Landkarte radieren? Offenbar hat die Erinnerung an den Holocaust in Europa heute kaum einen Einfluss auf die Iranpolitik.

Gelegentlich hört man auf beiden Seiten des Atlantiks beschwichtigende Stimmen: Ahmadi-Nejad stünde nicht im wirklichen Machtzentrum Teherans, oder er stoße solche Drohungen nur aus, um seine Anhänger im eigenen Land gegen innenpolitische Widersacher zu mobilisieren, oder er sei sicherlich nicht so verrückt, Atomwaffen – falls er tatsächlich welche besäße – gegen einen Staat wie Israel einzusetzen, das über ein eigenes atomares Abschreckungsarsenal verfügt. Argumente wie diese habe ich von Politologen in den USA gehört, von denen viele dazu neigen, die Wirkung von ideologischem Fanatismus auf die internationalen Beziehungen herunterzuspielen. Solche Verharmlosungen klingen aber besonders sonderbar, wenn sie in den Nachfolgestaaten des Nationalsozialismus laut werden.

Es war der große deutsche Historiker Karl Dietrich Bracher, der uns wiederholt davor warnte, den ideologischen Fanatismus in der Politik zu unterschätzen. Nach Hitler, aber auch nach Pol Pot und dem Völkermord in Ruanda wissen wir, dass es sich bei Völkermorddrohungen nicht immer um leere Worte handelt. Warum glaubt man in einem Land, das durch die Taten eines Fanatikers an der Macht zerstört wurde, dass die deutsche Erfahrung einmalig war? Dass ein Land außerhalb Europas nicht in der Lage sei, einen Fanatiker dieser Art hervorzubringen? Dass Ahmadi-Nejad nicht meint, was er sagt? Ein solcher Optimismus zeugt von einem Mangel an vergleichender historischer Vorstellungskraft. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2008)


Zur Person: Jeffrey Herf ist Professor für Geschichte an der Universität Maryland, USA. Er spricht am 4. Mai auf dem Abschlusspodium der Konferenz “Die iranische Bedrohung” am Campus der Universität Wien. Infos: www.stopthebomb.net . Jeffrey Herf ist Mitglied des Netzwerkes von Scholars for Peace in the Middle East

Jeffrey Herf: Gefahr Iran oder: Schweigen der Antifaschisten

Warum man die Drohungen des iranischen Präsidenten Ahmadi-Nejad ernst nehmen sollte - Und warum es gerade Ländern mit nationalsozialistischer Vergangenheit gut anstünde, mit mehr Engagement dagegen vorzugehen
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AUTHOR

Jeffrey Herf

Jeffrey Herf is Distinguished University Professor in the Department of History at the University of Maryland in College Park. He has published extensively on 20th century European and German history. His recent works include: Nazi Propaganda for the Arab World (Yale University Press, 2009), and The Jewish Enemy: Nazi Propaganda during World War II and the Holocaust(Harvard University Press, 2006). He is currently completing a history of the antagonism to Israel on the part of Communist East Germany and the West German radical left from the Six Day War to the collapse of the East German regime in 1989-90.


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