Chava Gurion: Genug ist genug, aber reicht das für Frieden?

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„Gegossenes Blei“

Die Außenministerin und Vorsitzende der bis zu den heurigen Neuwahlen regierenden Zentrumspartei Kadima (hebr.:Vorwärts), Tzipi Livni, widerlegte antifeministische Unkenrufe hinsichtlich ihrer Eignung und zeigte gemeinsam mit Koalitionspartner und Verteidigungsminister Ehud Barak angesichts der von Hamas am 18. Dezember 2008 einseitig beendeten Waffenruhe und der folgenden Raketen- und Mörserorgie auf Südisrael Stahlkinn. Hamas bombardierte unter anderem das den Gazastreifen zu 80% mit Strom versorgende Kraftwerk in Ashkelon und intensivierte die Raketenangriffe während des Chanukka-Festes auf bis über 80 täglich. Mit den Worten „genug ist genug“ begründete Tzipi Livni am 27. Dezember 2008 den Beginn der Operation „Gegossenes Blei“ (engl.: Cast Lead, hebr.: Miwtza Oferet Jetzuka) zur umfangreichen Dezimierung des terroristischen Waffenpotentials, entscheidenden Schwächung der Hamas und Verhinderung weiterer Raketenangriffe auf zivile Ziele in Israel sowie des Waffenschmuggels. Die an vergleichbaren Terrorsituationen gewiss nicht arme Welt antwortete im Falle Israels natürlich mit Unterstellungen. Nicht etwa der erneute Raketenhagel der Hamas, sondern die anstehenden Neuwahlen und Profilierung gegenüber der in Umfragen bereits weit führenden Opposition des Likud unter „Bibi“ Netanyahu wären ausschlaggebend für den Beginn des neuen „Krieges“.

Unverhältnismäßigkeit

„Unverhältnismäßigkeit“ wurde zum Wort des Jahresbeginns, vor allem in Europa, das Raketenangriffe nur mehr aus Geschichtsfilmen kennt und Qassams wie die bis in israelische Großstädte reichenden Grads gerne mit besseren Gummischleudern vergleicht, die „kaum Schaden anrichten können“. Das friedliebende und in etlichen Kreisen auch geschichtsferne Österreich, dem Raketen auf Grenzstädte und das Leben mit bombengeschützten Autobushaltestellen sowie unterirdischen Schutzgängen für Schulwege gänzlich unvorstellbar sind, tat sich besonders geifernd hervor und brachte unter der Führung linker und muslimischer Gruppierungen gleich 8000 -15000 (Nennungen verschiedener Quellen, z.B.: [1] ) antiisraelische Gaza-Sympathisanten auf Wiens Straßen, die Israel „Völkermord“ wie „Kriegsverbrechen“ unterstellten und die Terrororganisation Hamas nebenbei zur „gewählten Regierung von Gaza, die sich nur mit verständlichen Befreiungsschlägen gegen 60 Jahre israelische Unterdrückung und Besetzung wehre“, verharmlosten. Verdrängt wurden dabei: der 20-jährige ägyptische Anteil an der Okkupation des Gazastreifens seit 1948, die Räumung des Gazastreifens 2005 durch Israel, die gewaltsame Machtübernahme der antisemitischen Hamas in Gaza 2007, die einen sunnitischen Gottesstaat vom Jordanfluss bis zum Mittelmehr anstrebt, in einem mörderischen Bruderkrieg mit der Fatah des palästinensischen Präsidenten Abbas, der Missbrauch der von Hamas in Geiselhaft genommenen palästinensischen Zivilbevölkerung als Schutzschilder, die militante Erziehung palästinensischer Kleinkinder zu „Gotteskriegern“ und „Märtyrern“ und anderes mehr. Das ist – auf österreichischem Boden – als unverhältnismäßig einseitig engagiert zu nennen, wobei der latente Bodensatz an Antisemitismus endlich wieder einmal einen aktuellen Anlass fand sich ungehindert auf weitere Bevölkerungskreise auszudehnen.

Aufrechnung von Todesopfern

Der Vorwurf der „Unverhältnismäßigkeit“ wurde vor allem durch Aufrechnung von Todesopfern auf beiden Seiten verteidigt. Unter Ausblendung der Selbstmordanschläge in Israel selbst (zwischen 2000 und 2003: 27 Anschläge mit 1400 zivilen israelischen Opfern, darunter 200 Todesopfer) wurde argumentiert, die ungezielt auf Israel abgefeuerten Hamas-Raketen und Granaten (3278 allein in 2008) hätten in 8 Jahren „nur“ 23 zivile Todesopfer in Israel gefordert. Acht Jahre Todesangst vor solchen Treffern sei quasi nur „eine Beeinträchtigung des Lebens in benachbarten Gebieten“ (so Tarafa Baghajati [2] ) – also zumindest Israel zumutbar, das sich aus fundamental-islamistischer Sichtweise „freiwillig wie unrechtmäßig“ als benachbartes Gebiet des Gazastreifens etabliert habe. Auch im Verlauf der Operation „Gegossenes Blei“ habe es auf palästinensischer Seite per 15. Jänner 2009 1070 Tote gegeben [3] (davon lt. israelischen Quellen hunderte Hamas-Kämpfer [4] ), auf israelischer Seite nur 13, (davon 3 durch Raketenbeschüsse) [5]. Die im gleichen Zeitraum verzeichneten ca. 1900 Einschläge in Israel mit ca. 1500 Gebäudetreffern blieben ausgeblendet. [6] Solche falschen Vergleiche bedienen nur die palästinensische Propaganda, denn es ist nahezu unmöglich, mit regulären Militäreinsätzen ohne zivile Opfer gezielte Angriffe auf irreguläre Truppen und Militäreinrichtungen auszuführen, die sich in zivilen Einrichtungen, hinter Zivilisten, Frauen und Kindern verstecken. Versucht wurde es trotzdem.

Vorwarnungen

Israel sowie UNO berichteten von zahlreichen Vorwarnungen an die palästinensische Zivilbevölkerung. So wurde telefonisch vor jedem Gebäudeangriff gewarnt, jedoch befahl Hamas der eigenen Zivilbevölkerung auf die Dächer zu steigen um ihre Häuser zu schützen. Zusätzlich wurden Flugblätter abgeworfen um unbeteiligte Zivilisten zum Verlassen der jeweiligen Gebiete einer geplanten Militäraktion aufzufordern. Es gibt Videoaufnahmen [7], die als Beleg gelten, Hamas habe unter Waffengewalt und unter dem Vorwurf des Verrätertums Zivilisten am Verlassen dieser Gebiete gehindert, diese wurden aber der Weltöffentlichkeit von deren Hauptmedien vorenthalten. Den palästinensischen Propagandakrieg der Bilder aus Gaza hat Hamas eindeutig gewonnen.

Illegale Waffen?

Vorwürfe von Human Rights Watch, Israel setze illegal Phosphormunition ein, wurden sowohl vom israelischen Außenministerium unter Bezug auf die internationales Recht dementiert stellte das Internationale Rote Kreuz fest, dass die von Israel zur Erzeugung von Rauch und zu Beleuchtungszwecken verwendeten Phosphorgranaten nicht gegen internationales Recht verstoßen und es keinerlei Anhaltspunkte dafür gäbe, Phosphor wäre für einen anderen Zweck eingesetzt worden. [8] Human Rights Watch hat sich bisher allerdings wenig darum gekümmert, ob das ausschließlich gegen die israelische Zivilbevölkerung gerichtete Waffenarsenal der Hamas, die mangels international anerkannter Eigenstaatlichkeit über keine reguläre Armee verfügt, nicht etwa in Gesamtheit illegal sei und internationales Menschenrecht verletze.

Brüchiger Waffenstillstand

Der Begriff der Waffenruhe wurde von Hamas stets „frei interpretiert“ – bis zum 18. Dezember 2008 waren auch während ihrer Geltung mindestens wöchentlich mehrere Raketen auf Südisrael abgefeuert worden. Am 17. Jänner 2009 erklärte die israelische Regierung die Hauptziele der Operation „Gegossenes Blei“ für erreicht sowie einen einseitigen Waffenstillstand. Hamas erwiderte das mit weiteren Raketenangriffen, u. a. auf Beersheva [9], und kündigte an, diese erst nach dem völligen Rückzug israelischer Truppen einzustellen, die „Schlacht und nicht die Politik sei entscheidend“ [10] . Am selben Tag rief der iranische Ayatollah Achmad Dschannati zur Tötung von Tzipi Livni auf [11]. Am 18. Jänner erklärte auch Hamas in Kairo Waffenstillstand und räumte Israel 7 Tage Frist zum Abzug sämtlicher Truppen ein, der allerdings schon am 20. Jänner vollzogen wurde. Danach begann Hamas sofort, die nur zu 80% zerstörten Schmuggeltunnel auszuräumen und neue zu bauen. Nachdem am 27. Jänner ein Soldat in einem israelisches Patrouille-Fahrzeug nahe der Grenze Todesopfer einer palästinensischen Sprengbombe wurde, die drei weitere Soldaten verletzte, griff die israelische Armee darauf hin Ziele im Gazastreifen an, darunter auch den für die Bombenattacke vermutlich verantwortlichen Hamas-Milizen Uda-Samidi, und bombardierte am 28. Jänner erneut die Schmuggeltunnels an der Grenze zu Ägypten. Am 29. Jänner wurde seitens Hamas wieder eine Qassam-Rakete auf Südisrael abgefeuert.

„Hudna“ heißt nicht Frieden

Schon Yasser Arafat hatte 1993 nach fundamentalistischer Kritik an seiner Unterschrift beim Oslo-Abkommen erklärt, er habe damit „nur den erste Nagel in den Sarg der Zionisten gehämmert“ [12], und das Abkommen ein Jahr später in Johannesburg [13] als Finte bezeichnet, mit der er es in der Bedeutung jenem Hudaibiya-Vertrag zwischen dem Propheten Mohammed und dem Kuraisch-Stamm von Mekka gleich setzte. Die 626 vereinbarte, zehnjährige „Hudna“ (Waffenruhe) war vom Propheten nur zur Stärkung seiner Truppen und Aufrüstung genützt und nach zwei Jahren gebrochen worden, um Mekka zu besiegen und die Bevölkerung zu massakrieren [14]. Man darf davon ausgehen, dass die Hamas, der ein Friedensschluss mit Israel nach ihrer Charta ohnehin unmöglich ist, die von ihr letztlich zugestandene, für 18 Monate befristete Waffenruhe [15] auch nur zur Wiederaufrüstung nutzen wird. Ein Anfang ist durch Reaktivierung und Erneuerung der Schmuggeltunnel bereits gesetzt.

Friedensillusionen

Der ägyptische Friedensplan sieht in Stufen einen befristeten Waffenstillstand, eine unbefristete Waffenruhe und eine Öffnung der Grenzen zu Israel und Ägypten vor. Dann soll eine Versöhnung zwischen Hamas und Fatah, somit eine zwischen allen Palästinensern folgen – ein ziemlich unrealistischer Ansatz, da sogar die Positionen der Hamas-Spitze in Damaskus und der Hamas-Führung in Gaza divergieren. Während internationale Analysten im Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästinensern nicht ganz zu unrecht einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und dem sowohl die schiitische Hizbullah im Libanon als auch die sunnitische Hamas in Gaza unterstützenden und ausrüstenden Iran sehen, wobei der Iran auf die Vernichtung Israels als Vorposten westlicher Demokratie abzielt, träumen weite Kreise der europäischen äußersten Linken von einem profanen, sozialistischen Einheitsstaat Palästina. Wenn nötig neben, wenn möglich anstelle des „kapitalistischen, kolonialistischen“ Israel. Dass sie dafür jetzt ausgerechnet die Führung durch die theokratisch ausgerichteten Gotteskrieger der Hamas protegieren, ist entweder naiv oder wirklich jedes Mittel ist recht, den jüdischen Staat loszuwerden. [16] Auch US-Nahostemissär George Mitchell wird die Quadratur des Kreises kaum schaffen.


[1] http://www.kawther.info/wpr/2009/01/02/israeli-terrorist-occupation-is-a-crime [23-02-2009]

[2] http://www.saar.at/Nahost_oesterreichs_Muslime_klagen_Israels_Kriegsverbrechen_an.htm [23-02-2009]

[3] ibid.

[4] Z. B. http://dover.idf.il/IDF/English/News/the_Front/09/01/1901.htm [23-02-2009], http://www.haaretz.com/hasen/spages/1057081.html [23-02-2009]

[5] Tarafa Baghajati weiter, sh. ii.

[6] Z. B. http://www.mfa.gov.il/MFA/About+the+Ministry/Behind+the+Headlines/Israel_holds_fire_18-Jan-2009.htm [22-02-2009], sh. auch iv. Vergleiche auch: Yedioth Ahronot, 19.01.09

[7] http://www.mfa.gov.il/MFA/Pages/MediaPlayer.aspx?MediaUrl=http://switch3.castup.net/cunet/gm.asp?ClipMediaID=1913349!!!!ak=null&LANGUAGE_NAME=En , http://switch3.castup.net/cunet/gm.asp?ai=58&ar=HamasExploitationofCiviliansD&ak=null [22-02-2009]
View: http://switch3.castup.net/cunet/gm.asp?ai=58&ar=HamasExploitationofCiviliansV&ak=null. [22-02-2009]
Vergl. auch: Hamas und Gaza-Zivilisten: http://mypetjaw a.mu.nu/archives /195773.php [23- 02- 2009]

[8] http://news.uk.msn.com/uk/article.aspx?cp-documentid=12767634.[22-02-2009 ] Siehe auch Gerald Steinberg: White (phosphorous) lies, in: http://www.jpost.com/servlet/Satellite?pagename=JPost/JPArticle/ShowFull&cid=1232100169292 [23-02-2009]

[9] http://www.haaretz.com/hasen/spages/1056149.html , http://www.haaretz.com/hasen/spages/1055759.html, 19. Jänner 2009. [22-02-2009]

[10] U. A.: The Jerusalem Post, January 17, 2009.

[11] http://bazonline.ch/ausland/asien-und-ozeanien/Ranghoher-Ayatollah-gibt-Livni-zum-Abschuss-frei/story/15427015 [22-02-2009] und http://www.haaretz.com/hasen/spages/1056225.html [22-02-2009]

[12] „[…]Abdel Bari Atwan, editor of the London-based daily al-Quds al-Arabi, recalled an important meeting he had with Arafat at the PLO’s Tunis headquarters in 1994, just days before it was allowed triumphantly enter the Gaza Strip. […] In response to “Palestinian” concern over the signing of Oslo, Arafat “said, and I quote, ‘I am hammering the first nail in the Zionist coffin,’” political analyst Yunis Udeh told London’s ANB TV on November 11. Just hours after shaking Yitzhak Rabin’s hand on the White House lawn in 1993, Jordanian TV broadcast a pre-recorded message from Arafat to the Arab masses assuring them the agreement he had just signed was merely the first step in his phased plan to destroy Israel. […]“ Quelle: Article by Jerusalem Newswire Editorial Staff, November 21, 2004: Arafat’s path:Destroy Israel by ‚peace’. http://www.jnewswire.com/article/243 [22-02-2009]

[13] http://www.iris.org.il/quotes/joburg.htm [23-02-2009]

[14] http://atlasshrugs2000.typepad.com/atlas_shrugs/2006/07/the_ceasefire_d.html [23-02-2009]

[15] Vergl. auch: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,549955,00.html, 26.04.2008 [23-02-2009]

[16] Verg. auch Jeffrey Goldberg in: http://www.iht.com/articles/2009/01/14/opinion/edgoldberg.php [23-02-2009]

Chava Gurion: Genug ist genug, aber reicht das für Frieden?

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