Chava Gurion: Die Versachlichung der Bedrohlichkeit

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Kommentar zu Gerhard Mangott, “Die Einschüchterung der Sachlichkeit” , Der Standard,
3. Oktober 2007, S. 38.
Gerhard Mangott, Politologe an der Uni Innsbruck, mag jung, cool, in mancher Studentinnen Auge sogar “süß”, jedenfalls aber originell und trendy sein. Er hat mit seiner Antwort an Wolfgang Neugebauer auch ausreichend Talent bewiesen, die Grenzen seiner Fakultät zu überschreiten und eventuell einmal zu einem gefragten und beliebten Showstar im Wissenschaftsbereic h aufzusteigen, der von Veranstaltung zu Veranstaltung der Pro-Islamisten gereicht wird. Es gibt ausreichende Anhaltspunkte für seinen zumindest originellen Umgang mit interdisziplinä r gültigen Zitierregeln. Auf seiner eigenen Homepage http://www.gerhard- mangott.at weist er sich allerdings als Experte für Osteuropa und die dortigen Transformationsproz esse aus, was eher nur bedingt einem direkten und kompetenten Zugang zur Anti-oder-pro- Iran-Thematik entspricht. Zum gegebenen Anlassfall vermag er jedoch den weiten Bogen zu seiner alleinigen und völligen Durchsicht der “komplexen, sich wechselseitig ausbalancierenden Institutionen der islamischen Diktatur im Iran” (Mangott, in: Der Standard, 3. Oktober 2007, S. 38) zu spannen.
Nun, seit sich – anhängig an die einseitige, sich stets zu Lasten Israels ausbalancierende ORF- Berichterstattung zum Libanonkrieg 2006 (unter Mehrfachverwendung identen Bildmaterials wie etwa einer wehklagenden Muslimin vor einer Mauer oder Schutt, oder eines verletzten Kindes, mal in Gaza, mal in Beirut) – jeder österreichische, fernsehende Couch-Potato aus noch so bildungsfernen Schichten als Nahost-Experte versteht, der es dann den Juden und ihren Freunden einmal ordentlich reinsagen konnte, darf sich das ein akkreditierter Politologe sicher auch und viel eher zumaßen.
Gerhard Mangott ist allerdings der erste im Kreise wesentlich namhafterer Kollegen, der, entsprechend der Aktualität, die fachliche und mediale Marktlücke einer Relativierung der vom ungehindert anwachsenden iranischen Nuklearpotential ausgehenden Gefahr für sich entdeckt hat und damit in seinem Durchblick “politischen Laien” wie etwa dem französischen Präsidenten und anderen europäischen Außenpolitikern weit voraus ist. Er fordert die selbe “Sachlichkeit und Nüchternheit in der Debatte” ein, die vor ihm schon die österreichische Außenministerin mehrmals formuliert hatte. So stellt sich wenigstens nicht mehr die Frage, wer da von wem abkupfert oder wer sich wem andient. Bestürzend ist allein das Niveau, auf dem anmaßende Kompetenz unangebrachte Beruhigungstablette n für Europa zu verteilen versucht.
Die “islamische Diktatur im Iran” (dsb., a.a.O.) leistet sich demnach das “wirre Gefasel” (dsb., a.a.O) ihres Präsidenten Ahmadinejad und den messianischen Anspruch des islamischen Fundamentalismus also nur zur internationalen Verdeutlichung der nüchternen, einlenkenden Sachlichkeit aller ihrer anderen, tatsächlich außenpolitisch relevanten Institutionen und überlässt ihrem wie auch immer gewählten Führer die real stattfindende nukleare Aufrüstung nur als verbales Spielzeug?
Dem Mullah-Regime, das zwar “kein irrationales [ist], das seine Selbstvernichtung anstrebt” (dsb., a.a.O.), aber eine solche bereits durch öffentliche Hinrichtung Oppositioneller, EhebrecherInnen und durch Einkerkerung sonstiger, schon durch “unzüchtige” Kleidung nicht in das messianische Konzept der Weltbefreiung durch den Islam passender Menschen wenigstens stückweise vollzieht, ist also außenpolitisch die weise Einsicht zuzutrauen, sich vom zwar gleich lautenden, aber in persönlicher Zuordnung “wirren” (dsb., a.a.O.) messianischen Anspruch ihres Präsidenten zu distanzieren und im Übrigen lokale, regionale und internationale Sicherheitsbedü rfnisse ausreichend zu befriedigen?
HistorikerInnen wissen allerdings, was üblicherweise in totalitären Regimen mit einzelnen Führern geschieht, die sich (vorgeblich oder tatsächlich) in inhaltlichem Dissens mit ihren eigenen Machtinstitutionen befinden. Das sollte sich einmal auch zu allen Politologen durchsprechen. Doch keine Angst um Ahmadinejad, es herrscht trotz präsidialer “Wirrheit” ohnehin Konsens im Regime, auch wenn Mangott dem nicht beipflichten möchte.
Darüber hinaus bietet Mangott bereits eine Gegenoption (zu jener der wesentlich stärkeren wirtschaftlichen Sanktionen) an, die allerdings jeder technischen Basis entbehrt: “Einhegung eines dann allenfalls nuklear bewaffneten Iran [was eben hinzunehmen wäre, Anm. d. Verf.] durch ein durchdachtes und besonnenes System der regionalen Abschreckungslogik. ” (Dsb., a.a.O.) Durchdenken mögen das allein die bedrohten, regionalen Nachbarstaaten, aber bitte doch nicht gleich Europa, und jene mögen sich auch ihrer ohnehin vor Ort vorhandenen, nuklearen Schutzschilder besinnen und sie in Gebrauch nehmen.
Allerdings kann auch Mangott “bisher kein einziges sachliches Argument liefern, warum das iranische Regime, so es über sie [Nuklearwaffen, Anm. d. Verf.] einmal verfügt”, eben NICHT “gegen Israel einsetzen sollte”. (Dsb., a.a.O.) Wie bringt man einem, sich ohnehin dem Selbstopferungsprin zip im islamisch-messianis chen Ansatz verschreibenden, Regime jene Besonnenheit bei, nicht auf den Auslöseknopf einer nuklearen Katastrophe zu drücken? Durch Vertrauen auf die Abschreckungslogik in europäischem Verständnis?
Selbstverständlich könnte man mit modernen Abwehrsystemen eine in einem Erstschlag vom Iran abgefeuerte Rakete mit Präzision und viel Glück schon auf ihrem Weg zerstören. Aber wie erst bringt man dann ihrem “allenfalls” nuklearen Sprengkopf bei, dass er sein Ziel in Tel Aviv oder Haifa eben noch nicht erreicht hat, sondern seinen tödlichen Fallout als Kollateralschaden bereits über dem Iran selbst, dem Irak, Syrien oder Jordanien verbreitet, je nach Trefferquote des Abwehrsystems?
Erwartbar würden dann sämtliche, aus welchen Motiven auch immer Iran-freundlichen Politologen und Nahost-Experten eine solche nukleare Katastrophe wie stets unter “unberechtigte und völlig überzogene Selbstverteidigungs maßnahme Israels” subsummieren. Das hatten wir alles schon.
Mangott verlässt allerdings selbst die von ihm geforderte “Sachlichkeit” und verhängt sich in wüster Polemik, wenn er Veranstalter und TeilnehmerInnen der Kundgebung am 30. September pauschal (und vielleicht auch klagsfähig) als “Anti-Iran-Bellizis ten” (dsb., im Untertitel seines Artikels, a.a.O.) denunziert.
Wer auch immer obskure, zionistische Weltverschwörungsthe orien und deren Dämonisierung mit pseudowissenschaftl ichen Versatzstücken aus dem antisemitischen Fundus bedient und fördert, missbraucht nicht nur das Leid der Shoah, ihrer Überlebenden und derer Nachkommen, sondern auch das Vertrauen in die akademische Objektivität der Wissenschaften – absichtlich oder fahrlässig.

Chava Gurion: Die Versachlichung der Bedrohlichkeit

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