Zur Debatte um Günter Grass

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Das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) hat im Auftrag der OSZE eine „Arbeitsdefinition Antisemitismus” vorgelegt. Sie wird inzwischen auch vom deutschen Bundestag empfohlen. In der Debatte um Günter Grass ließe sich anhand ihrer Vorgaben der Frage nachgehen ob dessen Schmähgedicht gegen Israel, kurz vor dem Pessach-Fest veröffentlicht, antisemitische Elemente enthält.

Der rassische Antisemitismus wie im Nationalsozialismus, hat sich seitdem gewandelt. Antisemitismus tritt zum Beispiel im Gewand der Israelkritik auf. Das ist seit vielen Jahren verstärkt zu beobachten: „ Der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, [kann] Ziel solcher [antisemitischer] Angriffe sein”, so das EUMC.

 

Als „Beispiele von Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Staat Israel” nennt das EUMC unterschiedliche Motive, die sich teilweise auch bei Günter Grass beobachten lassen:

 

·        „Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird.”

·        „Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen…, um Israel oder die Israelis zu beschreiben.”

·        „Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.”

(vgl. http://www.european-forum-on-antisemitism.org/working-definition-of-antisemitism/deutsch-german/)

 

Das Regime in Teheran hat mehrfach zur Vernichtung Israels aufgerufen und Experten haben kaum Zweifel an der militärischen Dimension des iranischen Atomprogramms, das diesem Vernichtungswunsch zur Umsetzung verhelfen würde. Dass hingegen Israel wie jeder andere Staat, der bedroht wird, ein Recht auf Selbstverteidigung hat, führt Grass zu einer überspitzten und dämonisierenden Darstellung. Dass Staaten sich zum Souveränitätserhalt gegen Angriffe von außen verteidigen müssen, scheint bei Grass nur im Falle Israels Gegenstand der Kritik zu werden. In diesem Sinne impliziert er doppelte Standards.

Grass malt das Bild eines atomaren Erstschlags und der Auslöschung des iranischen Volkes durch Israel an die Wand. Dieses Schreckensszenario entbehrt jeglicher faktischen Grundlage, weil kein Israeli das je behauptet hat und Israel nicht einmal den Besitz einer Atombombe eingesteht. Täter und Opfer werden so durch Grass verdreht. Der offene Wunsch einer Auslöschung Israels durch das iranische Regime wird auf Israel projiziert. Im Antisemitismus hat so ein projektiver Verfolgungswahn Tradition.

Dass Israel, wie den Juden vorgeworfen wird, sich gegen den „Weltfrieden” zu verschwören, bedient ein altes antisemitisches Narrativ aus den vom zaristischen Geheimdienst gefälschten „Protokollen der Weisen von Zion” und ist Teil einer moralischen Delegitimierung. Der tatsächliche Auslöschungswunsch durch das menschenverachtende Regime im Iran wird dagegen zum „Maulheldentum” bagatellisiert.

Wenig Phantasie bedarf es, um bei Grass eine Gleichsetzung der aktuellen israelischen Politik mit dem Nationalsozialismus auszumachen. Gefährdung des „Weltfriedens”, „Auslöschung” und „Gleichschaltung” sind Begriffe aus dem Nazi-Vokabular, die nun aber auf Israel und die deutschen Medien übertragen werden. Das entspricht einer Strategie der Delegitimierung.

Während zwischen einem euphemistisch umschriebenen „Maulhelden”, also Ahmadinejad, und der von ihm unterjochten iranischen Bevölkerung zu Recht unterschieden wird, tritt Israel bei Grass nur als Kollektivsubjekt in Erscheinung. Auch das ist bedenklich.

Grass gibt vor, ein Tabu zu brechen, in dem er Israel kritisiert und sich so angeblich dem Vorwurf des Antisemitismus aussetze. Der Vorwurf, es gebe Denkverbote, ist Teil einer Opferinszenierung. Israel wird jedoch sehr häufig in den Medien kritisiert, was Grass ignoriert. Doppelte Standards, Delegitimierung und Dämonisierung haben nichts mit (legitimer) politischer Kritik zu tun.

 

Viele Medien haben Grass zurecht widersprochen. Bestürzend dagegen ist, dass er viel Zuspruch bekommt und dass seine Inhalte von großen Teilen der Bevölkerung geteilt werden. 57 Prozent haben bei einer Onlinebefragung der Financial Times Deutschland die „Israel-Thesen von Günter Grass” für „richtig” befunden, weitere 27 Prozent fanden sie „diskutabel”. Teilgenommen hatten fast 20.000 Personen. (http://www.ftd.de/politik/deutschland/:die-israel-thesen-von-guenter-grass-sind/70019546.html, Stand 11.4., 14 Uhr.)

 

Im Rahmen der sogenannten Ostermärsche hat sich die deutsche „Friedensbewegung” hinter Grass und gegen Israel gestellt. Verschiedene Politiker haben das Gedicht über ihre Internetseiten mit Lob weiterverbreitet. Auch in Neonaziforen wird Grass gefeiert.

Eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus scheint vor diesem Hintergrund dringend geboten zu sein. Eine größere Verbreitung der „Arbeitsdefinition Antisemitismus der EUMC in Medien und Schulen wäre wünschenswert. Es bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Die reale Bedrohung Israels durch das iranische Regime muss weiter thematisiert werden. Und jeglicher Form von Antisemitismus und dessen Verharmlosung muss entschieden entgegengetreten werden.

 

Levi Salomon, Hannes Tulatz

 

Levi Salomon
Sprecher des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA)
Email: levi.salomon@gmail.com

Zur Debatte um Günter Grass

  • Source: Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismusb
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