Med-Uni Wien gedenkt der von den Nazis vertriebenen Lehrenden und Studierenden – Rektor Schütz: “Es ist jahrzehntelang ein Tabu gewesen, über dieses Tabu zu reden”
Mit dieser in Stein gehauenen und in Metall gegossenen Erinnerungsarbeit der in Tel Aviv geborenen und in Wien lebenden Künstlerin will die Medizin-Universität Wien all der vertriebenen oder ermordeten Universitätslehrerinnen und -lehrer, all der emigrierten oder umgekommenen Studierenden der damaligen Medizinischen Fakultät der Uni-Wien gedenken. Am Donnerstag wurde die Skulptur feierlich enthüllt. 3200 Ärzte vertrieben
Der Rektor der nunmehrigen Medizin-Universität Wien, Wolfgang Schütz, sprach von “irreparablen Schäden”, die der März 1938 für die Wiener Medizin zur Folge gehabt hätte. Fast zwei Drittel der Wiener Ärztinnen und Ärzte – 3200 von 4900 – und mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Professoren und Dozenten der Medizin-Fakultät mussten aus “rassischen” oder politischen Gründen ihren Beruf verlassen oder aus der Uni ausscheiden und wurden dann vertrieben oder später ermordet. Auch diesen buchstäblichen Verlust von Wissen symbolisiert Barzilais Skulptur am Gelände der Med-Uni.
Rektor Schütz erinnerte in seiner Rede auch an das jahrzehntelange Schweigen und Leugnen der Mitverantwortung der Universitäten an diesem erzwungenen Exodus der jüdischen Intellektuellen. Es sei “jahrzehntelang ein Tabu gewesen, über dieses Tabu zu reden”.
Wissenschaftsminister Johannes Hahn (VP) meinte angesichts der vielen Vertriebenen, für ihn gehöre es zu den “Unerklärlichkeiten der Zweiten Republik, dass Bestrebungen verabsäumt wurden, Vertriebene zurückzuholen oder Wiedergutmachung zu betreiben”. Erinnerung sei notwendig, “um die Sensibilität zu bewahren und alle ähnlichen Tendenzen im Vorfeld zu ersticken”.
Angesichts der vom Rektor angesprochenen irreparablen Schäden der Medizin-Fakultät seien die Vertreibungen und Ermordungen ein “Hochpunkt des Antisemitismus” gewesen, sagte Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg: “Wenn man aus Hass auf andere in Kauf nimmt, selbst Schaden zu nehmen und sich ins eigene Fleisch zu schneiden.” Judenverfolgung habe auch stattgefunden, “weil die Verfolger gemeint haben, daraus Vorteile zu ziehen”.
Vorteilshoffnungen, die Scham auslösen, meinte Kardinal Christoph Schönborn. Es sei “beschämend”, dass “die Christen in diesem Land durch die jahrhundertelange Tradition des Antijudaismus innerlich nicht gerüstet waren, dem Antisemitismus mit der notwendigen Entschiedenheit entgegenzutreten” – oder die Vertriebenen nach dem Krieg “nicht selbstverständlich mit der notwendigen Reue eingeladen wurden, wieder zurückzukehren”.