Wolfgang Langenbucher und Guni Yasin: Produziert die Logik des Journalismus Anti-Israelismus?

Von den Schwierigkeiten, aus Israel zu berichten
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Veröffentlicht in: Christina Holtz-Bacha/Gunter Reus/Lee.B.Becker (Hrsg.): Wissenschaft mit Wirkung. Beiträge zur Journalismus- und Medienwirkungsforschung. Festschrift für Klaus Schönbach. Wiesbaden 2009: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 257-278.

„Araber und Palästinenser sind immer noch
eine auswärtige Angelegenheit,
Israel ist eine innere.“

Ein niederländischer Diplomat

„Jews are news.“
Geflügeltes Wort unter Journalisten

„No place like here!“
Ein Korrespondent

„Die ausländischen Medien kreieren ein fiktives Image, weil sie einen marginalen Aspekt des israelischen Lebens ins Zentrum stellen. Wenn ich Israel durch die Brille deutscher Medien kennen lerne, muss ich den Eindruck gewinnen, dass 70 Prozent der Bevölkerung Soldaten sind, 29 Prozent verrückte, fanatische Siedler in der Westbank und ein Prozent wunderbare Intellektuelle, die sich für den Frieden einsetzen.“[1]

(Oz, 2004)1

„Durch die Medien wird ein völlig verzerrtes Bild unseres Landes überliefert.“ So befindet die 1947 in Deutschland geborene und später nach Israel ausgewanderte Schriftstellerin Lea Fleischmann (2008) im „Südkurier“ auf die Reporterfrage, ob das deutsche Bild von Israel eigentlich zutreffend sei. Dieses harte Urteil verblüfft allein schon angesichts der Tatsache, dass dieses Land und seine Probleme in den Medien omnipräsent sind – zumal in Krisensituationen wie zuletzt dem Gaza-Konflikt vom Januar 2009. Einmal sensibilisiert, stößt man aber auf zahlreiche ähnliche Äußerungen. So kündigt ein langjähriger Leser der „Süddeutschen Zeitung“ am 14. Januar 2009 das Ende seines Abonnements mit dieser Begründung an: „Die optische und inhaltliche Berichterstattung Ihrer Zeitung zum aktuellen Nahostkonflikt ist in unerträglichem Maße gegen Israel gerichtet. Es wird Ursache und Wirkung verkehrt.“ „Selbstgerecht und wirklichkeitsfremd“ nennt Walter Schilling (freier Publizist, ehemals Oberst im Generalstab der Bundeswehr) das „Bild Israels in den deutschsprachigen Medien“: In den Berichten über die Auseinandersetzungen im Libanon „standen die Bilder von den Opfern im Vordergrund“, während „Menschen, die in Israel vor der Raketen auf der Flucht waren, kaum erwähnt wurden“; dies sei von den Journalisten mit einem „moralischen Anspruch“ vorgetragen worden, der „ebenso unbegrenzt wie unbegründet ist“. Seit den 70er Jahren sei ein „deutlicher Wandel der Grundeinstellungen zahlreicher deutschsprachiger Journalisten“ hin zu einer „Sympathie […] für die arabische Seite“ zu beobachten. Die „Vorwürfe gegen Israels Politik“ hätten Formen angenommen, die „weit über die in demokratischen Ländern übliche – und auch in Israel selbst praktizierte – Kritik hinausgehen“. Reflexionsfrei werde zwischen „legitimer Kritik und schlichtem Antiisraelismus“ nicht mehr unterschieden; vor allem mit Bildern und Bildtexten würden die „Positionen der terroristischen Terrorgruppen unkritisch transportiert“. (Schilling, 2006, S. 80-84)

Diese massive Attacke verzichtet auf konkrete Belege, kann aber als symptomatisch gelten für zahlreiche ähnliche Stimmen unter in Deutschland lebenden Israelis und deutschen Juden. Dieser Autor ist jedenfalls überzeugt, dass die „beständige Vermittlung des negativen Bildes von Israel und seiner Politik bedenkliche Folgen nach sich zieht“: „So änderte sich nicht nur die einst recht positive Grundhaltung der Menschen im deutschsprachigen Raum zum Staate Israel in geradezu dramatischer Weise […]. Die Terrorgruppen fühlen sich durch eine Berichterstattung ermutigt, die Israels Ansprüche und Vorgehensweisen nahezu regelmäßig an den Pranger stellt und die Schuld für die Terrorangriffe mindestens unterschwellig bei den Israelis sucht.“ (Schilling, 2006, S. 80-84) Auch Staaten wie Syrien und der Iran könnten auf politischen Gewinn aus diesem antiisraelischen Trend der Medien hoffen.

Wenn solche Aussagen, auch konkret gegen bestimmte Korrespondenten gerichtet, sich häufen (z. B. in Blogs: „Wenn Avenarius und Schmitz drunter steht, bürgt das für gehobene Israelkritik“ -kirroyalblog.wordpress.com/2008/10/13), gesprächsweise selbst von Personen, die man für urteilssouverän hält, wenn die eigene Medienrezeption – zumindest vorwissenschaftlich – diesen kritischen Einschätzungen aber überhaupt nicht entspricht, dann steht man irgendwie vor einem Rätsel. Als Kommunikationswissenschaftler sucht man routinemäßig nach Erklärungen und glaubt, sie in den einschlägigen Wissensbeständen auch rasch zu finden.

Einige dieser Erklärungsmuster sollen hier durchdekliniert werden, verbunden mit ausgewählten Ergebnissen einer umfangreichen (unveröffentlichten) Studie über Korrespondenten deutschsprachiger Medien in Israel (Yasin, 2006). Gegenstand waren deren Arbeitsrealität, Berufsrolle und Sicht der mit diesem speziellen Berichtsort verbundenen Probleme. In einem Konflikt, in dem jeder jedem die Schuld für jeweils anderes gibt und auch die Medien davon ausgehen müssen, für ihre Art der Berichterstattung in irgendeiner Form unter Beschuss zu geraten, erwies es sich als zielführend, Beobachter vor Ort nach ihrer Arbeitsrealität, ihren Recherchemitteln, -möglichkeiten und -grenzen, ihrem beruflichen Selbstverständnis, ihren Einstellungen und ihrem Verhältnis zu Heimatredaktionen, den Kollegen in der Region usw. zu befragen, die Protokolle der Befragung zu analysieren und zu bewerten – und damit ein Glied am Anfang der Kette des internationalen Nachrichtenflusses genauer zu untersuchen. Die Analyse konzentrierte sich daher auf die primären Akteure der Auslandsberichterstattung: Korrespondenten deutschsprachiger Medien mit ständigem Sitz in Israel. Nur nebenbei sei angemerkt, dass viele Israelkorrespondenten sich seit Jahrzehnten einer besonderen Aufmerksamkeit sicher sein können und z. B. von Verlagen für Buchveröffentlichungen gewonnen werden oder Gäste bei Akademieveranstaltungen u. ä. sind. Eine lesenswerte Quelle ist auch der von Gisela Dachs, „Zeit“-Korrespondentin, herausgegebene Sammelband „Deutsche, Israelis und Palästinenser. Ein schwieriges Verhältnis“ (Dachs, 1999), in dem mehr als ein Dutzend z. T. auch zehn Jahre später noch in Israel arbeitende Journalisten schreiben.

Die hier ausgewertete Befragung (Yasin, 2006) wurde im Sommer 2004 mit 17 Korrespondenten (nach 23 Anfragen) in Israel durchgeführt. Über die Botschaften und den Verband der Auslandspresse, wurde der Kontakt zu den ständig in Israel lebenden Korrespondenten deutschsprachiger Medien hergestellt. Damit waren die meisten Korrespondenten der wichtigsten deutschsprachigen Medien vertreten. Die Forschungsmethode war qualitativ. Da bisher nur wenig Erkenntnisse über Selbstverständnis und Arbeitsrealität der Israelkorrespondenten vorlagen, schien es angebracht, die Befragung offen durchzuführen. Als Erhebungsinstrument diente das Leitfadengespräch. Die Konzeption orientierte sich am Fragebogen der Kommunikatorstudien von Lange (2002) und Siemes (2000) und bestand aus Fragen und Stichpunkten zur Person, zum Rollenselbstbild, zur Arbeitsrealität und zum Berichtsland Israel. Die Interviews dauerten zwischen 45 Minuten und zwei Stunden.

Ausgangspunkt der Gespräche war die nahe liegende offene Frage nach der „Ausgewogenheit“ in der Berichterstattung über den Nahostkonflikt in den deutschsprachigen Medien. Der Vorwurf, eine solche bestehe nicht, mag wohl „normal“ sein in Zeiten der Unversöhnlichkeit und des Krieges; im Falle des israelisch-palästinensischen Konflikts erstaunt aber die Hartnäckigkeit, mit der sich die Vorwürfe seit Jahrzehnten halten. Das internationale Medieninteresse an Israel war seit der Gründung des Staates im Jahr 1948 groß und unaufhaltsam. Die Geschichte der zionistischen Heimkehrer ins verheißene Land und ihr Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind – und all das nach dem Horror des Holocaust – enthielt alle Ingredienzen für eine spannende und mitreißende Berichterstattung. Die Jahrzehnte des Aufbaus und schließlich der Kriege und der Besatzung boten durchgehend Ereignisse, nach denen Auslandsredaktionen suchen: reich an Nachrichtenfaktoren, die nicht zuletzt auch Merkmale einer dramatischen Erzählung sind.

Aus dem umfangreichen Typoskript (Yasin, 2006) können nur einige wenige Dokumente montageartig eingefügt werden: „Protokolle“ journalistischer Zeugen.

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[1] Dieser Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den Wolfgang R. Langenbucher am 31. 01. 2009 bei der Veranstaltung „Israel und die Juden in Medien und Öffentlichkeit“ in Haus Buchenried der Münchner Volkshochschule gehalten hat. Er stellte dort unter dem Titel „Aus Israel berichten – Die Arbeit der Auslandskorrespondenten“ u. a. die Ergebnisse einer von ihm betreuten Wiener Diplomarbeit von Gunhild Yasin (2006) vor. Vor, während und nach der Veranstaltung gab es lebhafte, kontroverse Diskussionen. Diese veranlassten Langenbucher, die Thematik unter dem jetzt gewählten Titel auszuarbeiten. Für anregende Gespräche dankt der Verfasser Christiane Schlötzer (stv. Ressortchefin Außenpolitik der „Süddeutschen Zeitung“).

Anmerkung der Herausgeber der deutschsprachigen des SPME Faculty Forums: Dieser Artikel wird mit freundlicher Genehmigung von Professor Langenbucher hier veröffentlicht.

Wolfgang Langenbucher und Guni Yasin: Produziert die Logik des Journalismus Anti-Israelismus?

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