Thomas Risse: ” Die Israel Lobby” – Verschwörungstheorie um ihrer selbst Willen

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Verschwörungstheorien haben immer dann Konjunktur, wenn wir uns eine Politik nicht erklären können. Es muss trotzdem erlaubt sein, vor Lobbys zu warnen, findet der Politikwissenschaftler Thomas Risse. Wenn es denn seriös ist. Eine Kritik zum neuesten Verschwörungsbuch aus den USA.

Verschwörungstheorien haben stets dann Konjunktur, wenn wir uns eine Politik nicht erklären können, die doch offensichtlich in die falsche Richtung zu führen scheint. Während des Kalten Krieges wurde die amerikanische Hochrüstung von linken Friedensforschern häufig auf den “militärisch-industriellen Komplex” zurückgeführt. Umgekehrt stand für viele Konservative die Sowjetunion hinter den westlichen Friedensbewegungen.

Heute haben John Mearsheimer und Stephen Walt, zwei führende Vertreter der sogenannten realistischen Schule in den Internationalen Beziehungen, das Problem, dass die Außenpolitik der Bush-Regierung so gar nicht den Vorgaben ihrer Theorie über die geostrategischen Interessen der USA im Nahen Osten entspricht.

Nach diesem Ansatz macht das enge Bündnis der USA mit dem Staat Israel ebenso wenig Sinn wie der (bisher gescheiterte) Versuch, eine Demokratie im Irak durch militärische Intervention zu installieren. Also suchen Mearsheimer und Walt in ihrem Buch “Die Israel-Lobby” (Campus-Verlag) die Erklärung in der amerikanischen Innenpolitik, was ja durchaus Sinn ergibt.

Herausgekommen ist aber leider eine Verschwörungstheorie. Das Buch, bei dem es sich um die erweiterte Version von bereits im Jahre 2006 publizierten Aufsätzen handelt, hat deshalb diesseits und jenseits des Atlantiks für Furore gesorgt (SZ vom 5.9.07).

Denn Mearsheimer, der in Chicago, und Walt, die in Harvard Internationale Beziehungen lehrt, kritisieren nicht nur die US-Nahostpolitik als den amerikanischen Interessen abträglich. Sie machen dafür eine “Israel-Lobby” verantwortlich, die dafür sorge, dass Washington seit Jahrzehnten eine pro-israelische Politik betreibe. Diese Kritik trug ihnen den Vorwurf des Antisemitismus ein.

Eine Kritik der US-Nahostpolitik und deren oft bedingungslosen Unterstützung Israels ist natürlich nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen. Es muss auch erlaubt sein, auf die Existenz von Lobby-Gruppen hinzuweisen, die sich vehement dafür einsetzen, dass Washington die Politik Israels gegenüber Palästina unterstützt und gleichzeitig den Staat Israel mit Milliardenbeträgen fördert.

Schließlich brüstet sich eine der Lobby-Organisationen, das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), selbst damit, die wichtigste Organisation zur Beeinflussung des amerikanisch-israelischen Verhältnisses zu sein. Die Lobby-Tätigkeiten dieser und anderer Organisationen kritisch zu analysieren, ist auch kein “Tabubruch”.

Die schärfsten Kritiker der Politik Israels und deren Unterstützung durch die USA trifft man schließlich in Israel und in den USA selbst. Insgesamt sticht also der Antisemitismus-Vorwurf nicht und lenkt nur von einer Auseinandersetzung mit den Thesen Mearsheimers und Walts ab.

Denn die Aufsätze und nun auch das Buch der beiden Autoren lassen Grundregeln wissenschaftlicher Argumentation vermissen. Dazu gehört, die verwendeten Konzepte klar zu definieren. Man sollte auch nicht nur die empirischen Belege anführen, die die eigene Position unterstützen, sondern auch Gegenpositionen kritisch beleuchten. An diese Regeln halten sich Mearsheimer und Walt nicht.

Und auch schuld am Irak-Krieg

Zunächst definieren sie nicht, was sie unter “Israel-Lobby” verstehen. Die Friedensbewegung “Jewish Voices for Peace”, die wie israelische Friedensgruppen die Besetzung Palästinas durch Israel ablehnt und die Politik der Bush-Regierung scharf kritisiert, gehört ebenso dazu wie christliche Fundamentalisten und die “Neokonservativen”.

Zwar weisen Mearsheimer und Walt darauf hin, dass die meisten Juden Amerikas eher linksliberale Positionen einnehmen und kaum zur “Israel-Lobby” gezählt werden können. Im Endeffekt wird aber jeder Versuch der Einflussnahme auf die amerikanische Außenpolitik, der im Sinne israelischer Interessen gedeutet werden kann, der “Israel-Lobby” zugeschrieben.

Es handelt sich um einen klassischen Zirkelschluss: Wer sich pro-israelisch äußert, gehört zur “Israel-Lobby”, deren Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik darin besteht, dass sich vergleichsweise viele Akteure für Israels Interessen einsetzen.

Natürlich ist die “Israel-Lobby” nach Mearsheimer und Walt letztlich auch an der Intervention im Irak schuld. Eine Koalition aus Neokonservativen, jüdischen Konservativen und christlichen Rechten habe die USA in den irregeleiteten Irak-Krieg getrieben.

Dabei übersehen die Autoren, dass die israelische Regierung das Irak-Abenteuer durchaus mit gemischten Gefühlen gesehen hat, weil es von der Bedrohung durch den Iran ablenkte.

Sie vernachlässigen auch die Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft seit dem 11.9.2001, die erst ein “Fenster der Gelegenheit” für Neokonservative und andere schufen, die schon immer das Regime Saddams ablösen und die Verhältnisse im Mittleren Osten neu ordnen wollten. Schließlich ignorieren Mearsheimer und Walt, dass es keiner großen Lobby-Arbeit bedurfte, um George W. Bush zum Krieg gegen den Irak zu bewegen.

Bedauerlich ist, dass Mearsheimer und Walt durch ihre Vorgehensweise ihrem eigenen Ziel schaden, eine kritische Debatte über die US-Nahostpolitik zu befördern. Denn diese Debatte ist dringend notwendig – für Israel, den Nahen Osten, die USA und auch für Europa

Der Autor lehrt Internationale Politik an der Freien Universität Berlin.

Thomas Risse: ” Die Israel Lobby” – Verschwörungstheorie um ihrer selbst Willen

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