Richard Herzinger: Israels Feinde in Europa

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Im Schatten des Gaza-Kriegs blühen die Relativierung des Holocaust und offener Antisemitismus auf. Das bedroht die moderne europäische Identität im Innersten

Es genüge nicht mehr, nur einen Waffenstillstand in Gaza zu fordern. “Wir haben die Pflicht, Partei zu ergreifen – gegen Israel und für das Volk von Gaza und des Westjordanlandes.” So heißt es in einem Manifest von Hunderten renommierten britischen Akademikern um den Völkerrechtler Conor Gearty und den Historiker Eric Hobsbawm, das kurz vor der Waffenruhe in Gaza im britischen “Guardian” veröffentlicht wurde; jede Kritik an den Aktionen der radikal-islamischen Hamas fehlte. Eine Gruppe von Künstlern und Musikern, unter ihnen der Filmregisseur Stephen Frears und der Geiger Nigel Kennedy, verdammte die “israelischen Vernichtungstaktiken” und nannte das israelische Vorgehen in Gaza ein “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”.

In Spanien sorgte indessen der Innenminister der linken katalanischen Regionalregierung, Joan Saura, für Entsetzen in der jüdischen Gemeinde, als er an einer antiisraelischen Demonstration teilnahm – auf der Hamas-Anhänger sogar Waffen mitführten -, wo er selbst die Parole “Völkermörder Israel” skandierte. Später drohte er, die offiziellen Gedenkfeiern zum Internationalen Holocaust-Gedenktag abzusagen.

Gewiss sind solche Töne und Aktionen nach wie vor nicht repräsentativ für die Mehrheitsstimmung in der europäischen Öffentlichkeit. Und selbstverständlich sind Israels Politik und Kriegsführung nicht über internationale Kritik erhaben. Sie sind an den Normen des internationalen Rechts zu messen wie das Verhalten jedes anderen Staates auch. Ebenso ist das weitverbreitete Mitgefühl gegenüber der Zivilbevölkerung der vom Krieg heimgesuchten Bevölkerung Gazas so berechtigt wie eine Untersuchung, ob etwa Israel in dem Konflikt Phosphorbomben eingesetzt hat. Doch wer verlangt mit derselben Intensität die Nachprüfung, inwieweit die Hamas Zivilisten als Schutzschilde benutzt hat? Auch dabei handelte es sich um ein Kriegsverbrechen.

Europäische Solidaritätsbekundungen mit leidenden Zivilisten wären zudem glaubwürdiger, erstreckten sie sich ähnlich nachdrücklich auch auf Opfer anderer Kriege. Die seit Jahren andauernden Massaker in der sudanesischen Provinz Darfur, die von der Weltmacht China gedeckt werden, oder das langjährige mörderische Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien haben in der europäischen Öffentlichkeit nicht annähernd so starke Empörung hervorgerufen wie militärische Aktionen Israels. Und so spielten sich auf den Straßen europäischer Städte in den vergangenen Wochen Szenen ab, die alle bisherigen Äußerungen von Feindseligkeit gegen Israel übertroffen haben. Und vielfach schlug diese Stimmung in Aversion und offene Hassausbrüche gegen alle Juden um.

Nach dem Beginn der Operation Israels im Gazastreifen sei die Zahl von Graffiti, Beleidigungen und Brandanschlägen in Großbritannien in die Höhe geschnellt, berichtet der Sprecher der jüdischen Schutzorganisation CST, Mark Gardner. 2006 habe man im gesamten Vereinigten Königreich 598 Ereignisse gezählt, im vergangenen Jahr 547, “aber in den vergangenen vier Wochen waren es allein 225”. Etwa ein Drittel davon ereignete sich in der Hauptstadt London, wo rund zwei Drittel der insgesamt etwa 280 000 Juden auf der Insel leben. Auf Anti-Israel-Demonstrationen wurden auf Plakaten Parolen wie “Kill all Juice” gezeigt – die bewusst falsche Schreibweise von “jews” soll dabei vor Strafverfolgung schützen. Allerdings veröffentlichten eine Reihe von islamischen Geistlichen am vorvergangenen Freitag auch einen Aufruf gegen jede antisemitische Gewalt.

In Frankreich meldete das Bureau national de vigilance, eine Arbeitsgemeinschaft gegen Antisemitismus, mehr als 30 judenfeindliche Vorfälle. Unter anderem wurden Synagogen im Pariser Vorort Saint-Denis und in Schiltigheim bei Straßburg mit Brandsätzen beworfen. Bislang ist allerdings unklar, wer die Taten begangen hat. Frankreich ist das Land mit der größten Zahl an Muslimen in Europa und gleichzeitig das Land mit der größten jüdischen Gemeinde. Unter den 63 Millionen Einwohnern leben etwa sechs Millionen Muslime und 600 000 Juden. Etwa die Hälfte der französischen Muslime stammt aus Algerien, die meisten der französischen Juden sind ebenfalls aus Nordafrika stammende Sepharden. Die weltpolitische Lage schlägt sich daher in Frankreich oft buchstäblich in einem Nachbarschaftskonflikt nieder.

Die israelischen Angriffe zogen eine starke Solidarisierung der arabischstämmigen Franzosen sowie weiter Teile der französischen Linken mit den Palästinensern nach sich. Dabei bezieht die Mehrheit der französischen Muslime ihre Informationen aus den arabischen Nachrichtensendern al-Dschasira und al-Arabija, deren Berichte stets die angeblichen zivilen Opfer plakativ in den Vordergrund stellten.

Bei Protesten in den Niederlanden waren grauenvolle Parolen wie “Hamas, Hamas – Juden ins Gas” zu hören. Dem Abgeordneten der niederländischen Linkspartei, Harry van Bommel, droht eine Anklage, weil er eine Demonstration anführte, bei der lautstark “eine neue Intifada” gefordert wurde. Allerdings wurden solche Veranstaltungen nur von relativ wenigen Teilnehmern getragen. Zu Demonstrationen in Amsterdam etwa kamen im Schnitt kaum 1500 Leute – anders als in Belgien, wo im Stadtzentrum Brüssels fast 30 000 Demonstranten auf die Straße gingen. Eine bedrohliche Stimmung lag dort in der Luft: Von einer kurzfristig aufgebauten Bühne am Bahnhof Midi feuerten propalästinensische Aktivisten auf Arabisch die Menge an. Halbwüchsige mit Steinschleudern rempelten Zuhörer an, ihre Gesichter waren mit schwarz-weißen Palästinensertüchern vermummt.

Beunruhigend an der jüngsten Entwicklung ist nicht so sehr die zunehmende einseitige Solidarisierung mit der palästinensischen Seite, einschließlich der radikal-islamischen Hamas. Auch in Deutschland konnte man in dieser Hinsicht freilich eine neue Qualität beobachten: Das Berliner Oberverwaltungsgericht erlaubte, auf Demonstrationen Fahnen dieser terroristischen Organisation mitzuführen, die die Vernichtung Israels in ihrem Programm verankert hat.

Wirklich beunruhigend ist, wie das Trommelfeuer antiisraelischer Argumente die historische Wahrnehmung zu beeinträchtigen droht. Unablässig wird Israels Vorgehen gegen die Palästinenser in Analogie zur NS-Vernichtungsmaschinerie gesetzt. Demonstrationsparolen, die einen “Holocaust in Gaza” konstatieren, gehören in Europa inzwischen zum Alltagsbild vermeintlicher “Friedensdemos”. Die rechtsradikale NPD hat diesen geschichtsrevisionistischen Slogan als Motto für ihre heute geplante Kundgebung in Berlin übernommen. Auf Demos gängige Parolen wie “Kindermörder Israel” zielen auf uralte antisemitische Verleumdungen wie die, Juden opferten bei ihren Festen Christenkinder.

Doch die Enthemmung bei der Verwendung falscher historischer Vergleiche beschränkt sich längst nicht mehr auf islamistische, links- und rechtsradikale Kreise. Den prominentesten Beleg dafür lieferte der römische Kurienkardinal Raffaele Martino mit seiner Bemerkung, die Lebensbedingungen in Gaza glichen “immer mehr einem KZ”. In Frankreich setzte Abdelaziz Chaambi, Sprecher des “Kollektivs der Muslime Frankreichs” und Vertrauter des angesehenen Islamgelehrten Tariq Ramadan, die Hamas mit der französischen Résistance gegen die Nazis gleich.

Die dauernde rhetorische Gleichsetzung droht auf dem Wege der Gewöhnung zu einer Abstumpfung des Bewusstseins dessen zu führen, was die Ungeheuerlichkeit der NS-Untaten tatsächlich ausmacht. Dahinter steckt die Unterstellung, “die Juden”, in Gestalt der Israelis, seien nicht besser als ihre einstigen Verfolger, weswegen man ihnen auch keine besondere Ehre der Erinnerung mehr schuldig sei.

Das ist hoch problematisch, denn die Europäische Union gründet sich seit Jahren ethisch auf das Gedenken an den Holocaust als eine Art ultimatives Geschichtszeichen für äußerste Unmenschlichkeit, die sich niemals wiederholen dürfe. Die Verwischung dieser Norm, an der sich die europäischen Demokratien orientieren, würde tief an das Selbstverständnis des modernen Europa rühren.

Gleichzeitig jedoch wird qua Geschichtsklitterung auch ein zweiter europäischer Konsens unterhöhlt: das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Auch diese dringt immer vehementer in den öffentlichen Diskurs ein. So brach aus dem beliebten Journalisten Ulrich Kienzle in der Talkshow “Hart aber fair” vergangene Woche die wütende Behauptung hervor, der Staat Israel beruhe von Anfang an auf der Vertreibung der Palästinenser – womit in der Konsequenz seine Legitimation infrage gestellt wäre. Dass Israel einen Tag nach seiner auf der Basis eines UN-Beschlusses erfolgten Gründung von sechs arabischen Staaten überfallen wurde und die palästinensischen Juden ihrerseits lange vor der Staatsgründung Israels arabischen Pogromen ausgesetzt waren, hört das europäische Publikum dagegen immer seltener.

Dabei sind die Affekte gegen Israel in Deutschland im europäischen Vergleich noch vergleichsweise gedämpft. Einer Umfrage des “Sterns” zufolge sehen 35 Prozent der Deutschen beide Konfliktparteien als schuldig an, 30 Prozent allein die Hamas und nur 13 Prozent Israel. Unter Letzteren freilich sind zwei Gruppen besonders stark vertreten: die Anhänger der Linkspartei und die jüngeren Deutschen. 70 Prozent der Jüngeren sehen auch keine besondere deutsche Verantwortung für Israel mehr. So droht unter der Daueragitation gegen den jüdischen Staat die Zukunft des deutschen Geschichtsbewusstseins zu erodieren.

Richard Herzinger: Israels Feinde in Europa

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