Reinhard Göweil: Der überaus nahe Osten

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In den letzten Tagen haben sich im Nahen Osten ein paar bemerkenswerte Dinge abgespielt. Der israelische Premier Netanyahu ist bereit, 1000 inhaftierte Palästinenser gegen den 2006 in den Gaza-Streifen entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit freizulassen. Und er ist bereit, sich mit der Führung der gemäßigten Palästinenser-Partei Abbas’ zu treffen. In Brüssel fanden diskrete Gespräche zwischen Vertretern Israels und der Türkei statt.

Die Beziehung der Ex-Verbündeten war nach dem blutigen Stopp der Gaza-Hilfsflotte durch die israelische Marine mit neun Toten auf einem Tiefpunkt angelangt. Der amerikanische Nahost-Verhandler Mitchell und der deutsche Geheimdienst BND sind überaus emsig in der Region unterwegs, um die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.

Bemerkenswert ist, dass die Kompromissbereitschaft Netanyahus ohne Absprache mit seinem Außenminister Lieberman passierte. Der Rechtspopulist ist in der israelischen Innenpolitik sicher einer jener, die jede Friedensanstrengung torpedieren. Um es deutlich zu sagen: Wäre er nicht in der Regierung, täten sich die Obama-Administration und die EU wohl leichter.

Österreich gilt generell als Palästinenser-freundlich. Auf den ersten Blick hat dies seine Berechtigung: Den Palästinensern wird ein eigener Staat vorenthalten, die dort Lebenden werden in ihren Gebieten eingesperrt. Eine etwas naive Sicht der Dinge. Israel wegen seiner Stärke zu kritisieren, ist Unsinn – es ist ein demokratisches Land. Das einzige in der Region übrigens.

Bemerkenswert war auch die Reaktion der (in Gaza regierenden) radikalen Hamas-Partei. Sie lehnt das israelische Angebot ab, 1000 Inhaftierte freizulassen, und nennt ihrerseits 450 Gefangene. Darunter befinden sich Top-Terroristen, die blutige Anschläge in Israel durchgeführt haben. Nun ist die Region ohnehin nicht mit – in Europa üblichen – rechtsstaatlichen Normen zu messen, aber dass eine demokratische Regierung mit funktionierenden Gerichten dem nicht zustimmen kann, verstehen wohl auch ganz Verbohrte.

Es bleibt aber, dass sich Israel politisch bewegt, und zwar in Richtung Frieden. Nun müssen die Palästinenser nachziehen, und ihre Unterstützer. Der Iran wird nicht darunter sein, aber die Nachbarländer Israels haben nun eine Tür, die sich geöffnet hat. Es wäre fein, wenn die Vernunft wieder Oberhand gewinnen könnte, denn eine militärische Auseinandersetzung im Nahen Osten wäre für die Welt eine neue Katastrophe.

Printausgabe vom Samstag, 03. Juli 2010
Online seit: Freitag, 02. Juli 2010 18:18:

http://www.wienerzeitung.at/default.aspx?TabID=5080&Alias=wzo&cob=505552

Reinhard Göweil: Der überaus nahe Osten

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