Olaf Kistenmacher: Gegen das »jüdische Kapital« und den »zionistischen Faschismus«

  • 0

http://phase2.nadir.org/index.php?artikel=630&print =

Das falsche Verständnis der KPD vom Antisemitismus führte dazu, dass ihre Tageszeitung, Die Rote Fahne, ›Juden‹ vor allem als KapitalistInnen und am Ende der Weimarer Republik als Geldgeber des Faschismus darstellte.

Der kommunistischen Arbeiterbewegung der Weimarer Republik wird oft der Vorwurf gemacht, den Nationalsozialismus unterschätzt und nicht genügend bekämpft zu haben und sich stattdessen – entsprechend der »Sozialfaschismusthese« – bis 1933 in die Auseinandersetzung mit dem »Hauptfeind Sozialdemokratie« verrannt zu haben. Dieser Vorwurf impliziert, dass die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) den Nationalsozialismus und den Antisemitismus stärker bekämpft hätte, wenn sie die Gefahr richtig eingeschätzt hätte. Die Auseinandersetzung der KPD mit dem Antisemitismus der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war aber ambivalent – und das ist insbesondere in den letzten Jahren der Weimarer Republik insofern bemerkenswert, als die Bedrohung durch den Nationalsozialismus ab 1928 unübersehbar wurde. Obwohl das Zentralkomitee der KPD in seiner einzigen parteioffiziellen Erklärung zur so genannten »Judenfrage«, einem kurzen Text Kommunismus und Judenfrage, der 1932 in einem Sammelband erschien, behauptete, die KPD werde »im Rahmen der ideologischen Bekämpfung des Faschismus auch die antisemitische Demagogie […] vernichten«, [1] erinnern mehrere ehemalige Mitglieder, dass die KPD sich um die Bekämpfung des Antisemitismus »nicht sonderlich gekümmert« habe.[2] Zwar berichtete die Rote Fahne über antisemitische Gewalt der politischen Rechten und druckte auch Wladimir I. Lenins oder Josef W. Stalins und sogar August Bebels Erklärungen gegen den Antisemitismus ab. Aber darüber hinaus basierte sowohl die Einschätzung des Antisemitismus als auch die Haltung zur »Judenfrage« auf der Annahme, Antisemitismus sei, wie es bereits die SPD im 19. Jahrhundert vertreten hatte, ein sich selbst nicht bewusster Antikapitalismus, ein »Sozialismus der dummen Kerls«.[3]
Um diese Position beibehalten zu können, musste die Rote Fahne das antisemitische Stereotyp von den ›reichen und mächtigen Juden‹, von ›den Juden‹ als Repräsentanten des herrschenden Kapitalismus, vom »jüdischen Kapital« beständig reproduzieren.[4] Diese vorrangige Identifikation von ›Juden‹ mit dem Kapital führte in den letzten Jahren der Weimarer Republik sogar dazu, ›Juden‹ vor allem mit dem Faschismus zusammenzubringen. In der Roten Fahne zeigte sich das an zwei Themenfeldern: in der Berichterstattung über den Nahen Osten und in der Auseinandersetzung mit der NSDAP. In Kommunismus und Judenfrage schrieb das ZK: »Die Kommunisten bekämpfen den Zionismus genau so wie den deutschen Faschismus«.[5] Und um zu zeigen, dass die NationalsozialisInnen keine Arbeiterpartei seien, sondern auf der Seite des Kapitals stünden und dass die Nazis keine wirklichen AntisemitInnen seien, weil sie nichts gegen das »jüdische Kapital« unternehmen würden, stellte die Rote Fahne immer wieder eine Verbindung zwischen den Nazis und den ›reichen Juden‹ her. Die Überschriften lauteten dann: »Nazi-Spitzenkandidat schnorrt bei jüdischem Bankier« (Rote Fahne 234, 17. November 1930), »Juda soll nicht verrecken! Nazianleihe für Warenhäuser. So sieht der Kampf der Nazis gegen Zinsknechtschaft und jüdisches Warenhaus-Kapital in Wirklichkeit aus« (Rote Fahne 284, 5. Dezember 1930) oder »Nazis für jüdisches Kapital. ›Beim Streik haben mir die Nazis geholfen, jetzt helfe ich ihnen! ‹ – Gute antifaschistische Arbeit« (Rote Fahne 7. September 1932).

»Antizionismus« und Antisemitismus

Die sozialistische und kommunistische Bewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vertrat in der absoluten Mehrheit eine antizionistische Position. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich innerhalb der Linken die Bedeutung des Begriffs »Zionismus« allerdings verschoben, was bei den Verfolgungen von JüdInnen in der Sowjetunion, der CSR und der DDR Ende der 1940er-Jahre offensichtlich wurde. Über die Bedeutung des Feindbildes »Zionismus« in der frühen DDR schreibt Thomas Haury: »›Zionismus‹ fungierte jetzt vielmehr als zentrale Metapher innerhalb des marxistisch-leninistischen Weltbildes und war verknüpft mit der Behauptung einer weltweiten Verschwörung antionaler Wallstreet-Kapitalisten, der Entgegensetzung ›schaffende Völker‹ versus ›Finanzhyänen und Parasiten‹ und einer Bedrohung durch die Zersetzungsarbeit getarnter innerer Feinde.«[6]
Aber auch der »Antizionismus« der Neuen Linken nach 1967 trug antisemitische Züge. Der »antisemitische Antizionismus« ist, so Klaus Holz, anhand von drei Merkmalen zu erkennen: 1. der Wahrnehmung von Israel als »eigentlich nur« einer internationalistischen Machtbasis im Zusammenhang mit einem Antiamerikanismus, 2. der Strategie, statt von Jüdinnen oder Juden von »Zionisten« zu sprechen und so den Antisemitismus als Antizionismus zu verschleiern, und 3. der Gleichsetzung von Zionismus und Nationalsozialismus (zur Relativierung der Shoah und zur Verkehrung von Tätern und Opfern). [7]

Diese drei Elemente bestanden jedoch bereits vor 1933 und prägten die »antizionistische« Berichterstattung der Roten Fahne. Nicht nur in der ZK-Erklärung Kommunismus und Judenfrage, sondern auch in den Beiträgen der Roten Fahne wurde der Zionismus in die Nähe des Faschismus gerückt. Dabei bezeichnete der Begriff »Zionismus« nicht nur die zionistische Bewegung, sondern auch die JüdInnen, die bereits seit dem 19. Jahrhundert oder noch länger in Palästina lebten. Selbst die Mitglieder der Kommunistischen Partei Palästina, die großteils JüdInnen waren, wurden, obwohl die KP Palästina ausdrücklich eine antizionistische Position vertrat, von der KPD als »Zionisten« bezeichnet. Hermann Remmele, der 1929 auf einer ZK-Sitzung ein Kurzreferat über die Situation in Palästina hielt, sprach von »130 Zionisten« in der KP Palästina und behauptete dann, dass »nur die Araber« als revolutionäre Kraft im britischen Mandatsgebiet in Frage kämen. Die KP Palästina habe, so Remmele, »160 Mitglieder, davon 30 Araber, die anderen 130 Zionisten. Es ist ganz klar, daß diese Partei nicht eine solche Einstellung haben kann, wie sie dem Gesetz der Revolution entspricht. Gerade das unterdrückte Volk, jene Schicht des Volkes, die das revolutionäre Element, den Verhältnissen entsprechend, überhaupt ausmachen kann, sind nur die Araber.«[8]

So wie Remmele presste auch die Rote Fahne die verschiedenen Konflikte in Palästina in den zwanziger Jahren – Konflikte zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung, der zionistischen Bewegung und der britischen Militärmacht, Klassenkonflikte innerhalb der arabischen und der jüdischen Bevölkerung usw. – in ein verschrobenes Klassenkampfschema, in dem ›die Araber‹ das Proletariat repräsentierten und ›die Juden‹ das Kapital, den Imperialismus und den Faschismus. Ihren Höhepunkt erreichte der »Antizionismus« in der Roten Fahne im Spätsommer 1929, als es im britischen Mandatsgebiet Palästina zu mehrtägigen pogromartigen Ausschreitungen kam, in deren Verlauf 133 JüdInnen ermordet wurden; 116 AraberInnen tötete das Militär oder die Polizei. In der Internationalen Presse-Korrespondenz Inprekorr beschrieb Joseph Berger, Mitglied der KP Palästina, aus Jerusalem die antisemitische Gewalt eindrücklich: »Denn die unter finster-klerikaler, feudaler und bürgerlicher Führung stehenden fanatischen Massen mohammedanischer Bauern überfielen sengend und mordend vor allem die unbewehrten armen jüdischen Siedlungen, jüdische Synagogen und Schulen, wo furchtbare Blutbäder angerichtet wurden. In der Talmudschule von Hebron wurden 60 jüdische Schüler – auch Kinder – getötet und verstümmelt. In der Kolonie Moza wurde eine jüdische Familie samt Frau und Kind abgeschlachtet.«[9]

In der Roten Fahne fehlte eine solche Schilderung. Stattdessen erschien die Rote Fahne am 28. August 1929 mit der Headline: »Faschisten morden in Berlin«. Neben einem kleineren Leitkommentar war der zweite größere Artikel auf der ersten Seite betitelt: »Der Araberaufstand wächst!« Darunter eine fotografische Abbildung eines Uniformierten mit der Bildunterschrift: »Stahlhelmlümmel? Nein, ein Mitglied der jüdisch-faschistischen Legion in Jerusalem«. Weiter wurde nicht erklärt, wen das Foto zeigte; wer über eine gewisse Kenntnis der verschiedenen zionistischen Strömungen in Palästina verfügte, konnte wissen, dass damit ein Vertreter der Jüdischen Legion um Wladimir Jabotinsky gemeint war. Aber um den Zionismus als ganzes zu verteufeln, dazu wäre es hinderlich gewesen, zwischen verschiedenen zionistischen Strömungen zu unterscheiden. Der anonyme Artikel sprach zu Beginn auch nicht von ZionistInnen, sondern begrüßte die Angriffe der AraberInnen auf »die jüdische Bevölkerung«: »Besonders charakteristisch für die Entwicklung dieser Bewegung ist, daß die Angriffe der Araber nicht auf die jüdische Bevölkerung beschränkt bleiben, sondern sich gegen ihren Hauptfeind, den englischen Imperialismus, zu richten beginnen.« (»Der Araberaufstand wächst!«, Rote Fahne 164, 28. August 1929)

Die »Zionisten« erschienen in dem Beitrag als eine internationale Macht, hinter der auch »die jüdischen Finanzmagnaten« in den USA stehen sollten: »Die Kämpfe in Palästina werden von den Zionisten in einer Reihe von Ländern mit nationalistischen Demonstrationen beantwortet. Es ist charakteristisch, daß der stärkste Widerhall in Amerika zu finden ist, wo die jüdischen Finanzmagnaten, die Geldgeber der zionistischen Bewegung, die gleichzeitig viele Millionen Dollars in Palästina angelegt haben, von der Regierung schärfstes Eingreifen gegen die arabischen »Rebellen« fordern. Auf ihren Druck hat die amerikanische Regierung durch ihren Botschafter in London, General Dawes, an die Labour-Regierung die Forderung stellen lassen, energische Maßnahmen in Palästina gegen die Araber zu ergreifen (!).« (»Der Araberaufstand wächst!«, Rote Fahne 164, 28. August 1929, Hervorhebungen im Original)

Während also die jüdische Bevölkerung in Palästina als Vorposten des Imperialismus dargestellt wurden, wurden in dem Beitrag in der Roten Fahne alle Klassengegensätze zwischen Araberinnen und Arabern ignoriert und das Pogrom zu einem antiimperialistischen Kampf erklärt – obwohl die Rote Fahne selbst berichtete, dass die Ausschreitungen »zum großen Teil unter dem Einfluß der Effendis (Großgrundbesitzer)« standen. Das sollte aber nichts an ihrem reinen antiimperialistischen Charakter ändern: »Die Entwicklung der arabischen Aufstandsbewegung, die noch zum großen Teil unter dem Einfluß der Effendis (Großgrundbesitzer) steht, hat, wie die letzten Meldungen zeigen, an Umfang zugenommen und richtet sich, wie die Ueberfälle auf Regierungsgebäude und Polizeistationen sowie englische Truppen beweisen, folgerichtig gegen die Hintermänner des Zionismus in Palästina, die englischen Imperialisten. Sie birgt in sich die Möglichkeit der Entfachung der gesamtarabischen Aufstandsbewegung gegen die englischen imperialistischen Unterdrücker.« (»Der Araberaufstand wächst!«, Rote Fahne 164, 28. August 1929, Hervorhebungen im Original)

Zum Schluss wandte sich die Rote Fahne an das »jüdische Proletariat Palästinas« und forderte es auf, »Schulter an Schulter mit den arabischen Werktätigen den Kampf gegen ihre[n] gemeinsamen Klassenfeind, den englischen Imperialismus und die mit ihm auf Leben und Tod verbundene jüdische Bourgeoisie[, zu] führen«. Obwohl also oft nicht zwischen Jüdinnen oder Juden und »Zionisten« unterschieden wurde, existierte gleichwohl ein positives Bild von einem jüdischen Proletariat in Palästina – das allerdings nicht konkreter benannt wurde. Laut dem Referat von Remmele war es nicht in der KP Palästina organisiert. Und da die Rote Fahne auch die Angriffe auf die einfache jüdische Bevölkerung in Hebron und Safed begrüßte, die lange vor der zionistischen Besiedlung in Palästina gelebt hatten, blieb in dem Artikel offen, welchen JüdInnen die Rote Fahne das Recht zugestand, in Palästina zu leben.

Die Nationalsozialisten und das »jüdische Kapital«

In den Jahren der Auflösung der Weimarer Republik, 1928 bis 1933, als die NSDAP zu einer immer größeren Bewegung wurde, stand die KPD mit ihrer Interpretation des Antisemitismus als einem unbewussten Antikapitalismus vor einem Problem: Einerseits musste sie damit auch den Erfolg der NSDAP erklären, andererseits musste sie der NSDAP absprechen, dass diese, wie es ihr Name beanspruchte, eine »Arbeiterpartei« sei (»NSDAP. eine Arbeiterpartei?«, Rote Fahne 156, 15. Juli 1932). Die Lösungsstrategie der Roten Fahne bestand darin, die NSDAP als eine Partei darzustellen, die vom Kapital gesteuert und finanziert wurde und die den Antisemitismus nur nutzte, um ihre durch ökonomische Krisen aufgebrachte Klientel von den eigentlichen Ursachen der Verelendung abzulenken. Nur ganz selten kamen in der Roten Fahne Jüdinnen und Juden vor, die arm waren und zum Proletariat gehörten. Einer der wenigen Beiträge, die das leisteten, war der Artikel »Die Blutsauger des deutschen Volkes im Scheunenviertel. Reportage eines Arbeiterkorrespondenten der ›Roten Fahne‹« (Rote Fahne 183, 19. September 1929). Der Beitrag schilderte entgegen der antisemitischen Wahrnehmung von »Ostjuden«, in welchem Elend die oft aus Osteuropa kommenden JüdInnen im Berliner Scheunenviertel lebten, und verurteilte die Angriffe der Faschisten auf sie. Aber zugleich behauptete der Verfasser, dass die Faschisten vom »jüdischen Großkapital gut« bezahlt würden. Diese Tatsache schien so selbstverständlich zu sein, dass sie nicht mehr erklärt wurde: »Wenn man in die Elendsquartiere des Scheunenviertels hineinleuchtet, muß man sagen, gemeiner und tierischer kann eine Lüge nicht sein wie dieser mörderische Antisemitismus gegen die Aermsten der Armen. Die Pogrome, die diese von dem jüdischen Großkapital gut bezahlten Horden durchführen, sind Mörderfeldzüge gegen arme Proletarier, die nicht nur in dem tiefsten Elend dieser kapitalistischen Gesellschaft ihr Dasein fristen, sondern Sklaven einer mittelalterlichen Zurückgebliebenheit sind.« (»Die Blutsauger des deutschen Volkes im Scheunenviertel. Reportage eines Arbeiterkorrespondenten der ›Roten Fahne‹«, Rote Fahne 183, 19. September 1929)

Die meisten Artikel zwischen 1928 und 1933, in deren Überschriften die Worte »Jude« oder »jüdisch« vorkamen, wollten vor allem nachweisen, dass die NSDAP von »jüdischen Kapitalisten« finanziert und auch beeinflusst werde. 1929 versprach die Überschrift eines Artikels, »hinter den Kulissen der Hitler-Partei« »jüdische Kapitalisten als Geldgeber« benennen zu können: »Hinter den Kulissen der Hitler-Partei / »Arbeiterpolitik« der Nationalsozialisten / Ehemalige Bezirksführer der NSDAP. enthüllt die Verbindung der Nationalsozialisten zum Großkapital und zu den Bombenattentätern – Jüdische Kapitalisten als Geldgeber« (Rote Fahne 227, 9. November 1929)

Nach der Darstellung der Roten Fahne sorgten die »jüdischen Kapitalisten« auch dafür, dass die NSDAP ihre antisemitische Hetze einstellen würde. Am 17. November 1929 berichtete die Rote Fahne: »Im Auftrag Jakob Goldschmidts. Goebbels verbietet: ›Juda verrecke‹« (Rote Fahne 234, 17. November 1929). Auf einer Wahlveranstaltung 1930 wiederholte Hermann Remmele diese Behauptung, und damit keine Zweifel blieben, sprach er von Goldschmidt als »dem Juden Jakob Goldschmidt«: »So hat u. a. der Gauleiter von Berlin, Dr. Goebbels, einen Parteibefehl erlassen, daß der Ruf ›Juda verrecke!‹ in Zukunft nicht mehr angewendet werden dürfe. Bald danach berichtete die bürgerliche Presse, daß die nationalsozialistische Gauleitung von dem Juden Jakob Goldschmidt, einem vielfachen Millionär und Generaldirektor der Danatbank, große Geldmittel zur Verfügung gestellt bekam.«[10]

Es ist anzunehmen, dass die KPD mit solchen Behauptungen vor allem die Nationalsozialisten attackieren wollte und dass mit einer Überschrift wie »Nazis für jüdisches Kapital« (Rote Fahne 182, 7. September 1932) in erster Linie die NSDAP lächerlich gemacht werden sollte. Eher nebenbei, gewissermaßen im toten Winkel, reproduzierte die Tageszeitung der KPD dabei das Stereotyp von den ›reichen und mächtigen Juden‹. Es handelte sich also, anders als bei der völkischen Rechten, nicht unbedingt um einen bewussten, gewollten Antisemitismus. Die antisemitischen Darstellungen von ›Juden‹ standen auch nicht im Mittelpunkt der kommunistischen Presse. Vielmehr gehe ich davon aus, dass sich anhand der Roten Fahne als einer Art Brennspiegel ablesen lässt, wie verbreitet und wirkungsmächtig antisemitische Vorstellungen innerhalb der Weimarer Republik waren, so dass sie sich auch in der Tageszeitung einer Partei fanden, die Antisemitismus offiziell ablehnte und bekämpfte. Aber die Übernahme antisemitischer Stereotype in die Berichterstattung war nicht nur einfach unkritisch, sondern, ob bewusst oder unbewusst, auch produktiv. Denn sie wurden in die antikapitalistischen Argumentationsweisen integriert und damit legitimiert und konnten so auch in die offizielle Politik der KPD Eingang finden. An der Überschrift »Nazis als Helfer des ›jüdischen‹ Kapitals« (Rote Fahne 89, 26. April 1932) zeigt sich, dass der Redaktion der Roten Fahne durchaus bewusst werden konnte, dass die ›jüdische‹ Identität nicht nur, wie jede Identität, ein gesellschaftliches Konstrukt war, sondern dass dieses Konstrukt in der Weimarer Republik besonders in der Agitation antisemitischer Parteien eine große Rolle spielte und dass die KPD sich davon distanzieren sollte. Trotzdem hinterfragte die Rote Fahne selten, selbst wenn sie die Zuschreibung ›jüdisch‹ von völkischen AntisemitInnen übernahm, in welchem Sinn die bezeichnete Person jüdisch sei. So war im September 1932 wieder in der Überschrift ungebrochen vom »jüdischen Kapital« die Rede. In dem Beitrag distanzierte sich die Rote Fahne zwar von dem Ausdruck »jüdisches Kapital«, schrieb aber vom »jüdischen Chef« einfach so: »Die Nazis, die schon während des Streiks die Streikbrecherrolle gespielt hatten, dienten jetzt ihrem jüdischen Chef, Generaldirektor Goldberg, indem sie Zutreiber- und Spitzeldienste übernahmen. […] So demonstrierten die Kumpane ihre engste Zusammengehörigkeit, und so demonstrierten die Nazis ihren Kampf gegen das ›jüdische Kapital‹.« (»Nazis für jüdisches Kapital«, Rote Fahne 182, 7. September 1932)

In der Kommunismusforschung wird die stalinisierte KPD besonders der letzten Jahre der Weimarer Republik meistens als Instrument der russischen KP unter Stalin gezeichnet; Ernst Thälmann sei als Parteivorsitzender kaum mehr als eine Marionette gewesen. [11] Die hier zitierten Beiträge werfen tatsächlich die Frage auf, inwiefern man die KPD in dieser Phase heute noch ernst nehmen kann. Allerdings ist zweierlei zu berücksichtigen: Zum ersten war die NSDAP zwar eine offen antisemitische Partei, die auch gewalttätig gegen JüdInnen bzw. Menschen, die sie für ›jüdisch‹ hielt, vorging. Aber vor allem waren die Jahre 1928 bis 1933 geprägt von den brutalen Angriffen auf KommunistInnen. Es konnte scheinen, dass die antisemitische Bedrohung nicht so groß wäre wie die antikommunistische. Zum zweiten bestand das Bild von den ›jüdischen Kapitalisten‹, die die Faschisten unterstützten, bereits 1923, also vor der Stalinisierung. In einer Sonderausgabe der Roten Fahne zum Antifaschistentag, Deutschlands Weg, zeigte eine Karikatur zwei ›jüdische Kapitalisten‹ am Rand einer Faschistenparade in Wien; die ›jüdischen Kapitalisten‹ haben große Nasen, einen sonderbaren Blick und sehen in der Zeichnung trotz ihrer eleganten Kleidung schmutzig aus. Die Karikatur war überschrieben mit: »Geld stinkt nicht oder: so sieht ihr Antisemitismus aus!« Für alle LeserInnen, die die besondere Verbindung zwischen ›Juden‹ und NationalsozialistInnen nicht verstanden, hob die Bildunterschrift das durch das Wortspiel »Hakenkreuzparade vor Hakennasen« hervor, dass auf dem Bild »Hakennasen« zu sehen waren (»Geld stinkt nicht oder: so sieht ihr Antisemitismus aus. Hakenkreuzparade vor Hakennasen in Wien, eine wahre Begebenheit«, Deutschlands Weg, Sonderausgabe der Roten Fahne, 29. Juli 1923).[12] Die Ursachen dafür, dass in der Tageszeitung der KPD in der Weimarer Republik antisemitische Stereotype benutzt wurden, lagen also nicht in der Person Stalin begründet, sondern müssen in einen weiteren Rahmen gestellt werden: Dazu gehörte ein personifizierter Antikapitalismus, der den Kapitalismus vor allem als Herrschaft der Kapitalisten darstellte und auf sie zurückführte.[13] Das »jüdische Kapital« erschien dann lediglich als Untergruppe ›des Kapitals‹.

Der »Antizionismus« der KPD schien mit Antisemitismus nichts zu tun zu haben, weil er sich scheinbar nicht gegen JüdInnen, sondern gegen die »Zionisten« richtete. Das Stereotyp vom ›jüdischen Kapital‹‚ das angeblich die Nazis unterstützte, schien den Antisemitismus der NSDAP nicht zu fördern, weil die Beiträge in der Roten Fahne zwischen 1928 und 1933 sich gegen die NSDAP und die ›reichen Juden‹ richteten. Das führte nicht nur dazu, dass die KPD den Antisemitismus der Nazis unterschätzte. Nebenbei entwickelte sie in ihrer Tageszeitung eine eigene, scheinbar antikapitalistische und sogar ›antifaschistische‹ Variante des Antisemitismus, der dazu führte, dass die kommunistische Bewegung sich auch nach 1945 schwer tat, ›Juden‹ als Opfer des Faschismus anzuerkennen.[14]

Der Autor ist Historiker und lebt in Hamburg


Anmerkungen

[1] Zentralkomitee der KPD, Kommunismus und Judenfrage, in: Der Jud’ ist Schuld…? Diskussionsbuch über die Judenfrage, Basel u.a. 1932, 283.

[2] So berichtete es z. B. Hans Jäger, von 1929 bis 1933 in Berlin für die »Antinaziarbeit« der KPD zuständig war (Christian Striefler, Kampf um die Macht. Kommunisten und Nationalsozialisten am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1993, 192) oder auch Karl Retzlaw in seiner Autobiographie: Spartakus. Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters, Frankfurt/Main 1985, 310.

[3] Dieses Schlagwort wird oft August Bebel zugeschrieben, stammte aber nach Bebels Aussage von Ferdinand Kronawetter. Bebel sagte 1893 in einem Interview dazu, es sei »ein hübscher Einfall«, der aber »die Sache doch nicht« treffe (Hermann Bahr, Der Antisemitismus. Ein internationales Interview (1894), Königstein/Taunus 1979, 24).

[4] Mario Keßler, Die KPD und der Antisemitismus in der Weimarer Republik, in: UTOPIE kreativ 173, März 2005, 223-232. Olaf Kistenmacher, Vom »Judas« zum »Judenkapital«. Antisemitische Denkformen in der KPD der Weimarer Republik, 1918-1933, in: Matthias Brosch u.a. (Hrsg.), Linker Antisemitismus in Deutschland. Vom Idealismus zur Antiglobalisierungsbewegung, Berlin 2007, 69-86.

[5] ZK der KPD: Kommunismus und Judenfrage, 284-285.

[6] Thomas Haury, Antisemitismus von links. Nationalismus, kommunistische Ideologie und Antizionismus in der frühen DDR, Hamburg 2002, 429.

[7] Klaus Holz, Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft, Hamburg 2005, 86-91.

[8] Hermann Remmele, Referat auf der ZK-Sitzung vom 24./25. Oktober 1929, zitiert nach: Mario Keßler, Antisemitismus, Zionismus und Sozialismus. Arbeiterbewegung und jüdische Frage im 20. Jahrhundert, Mainz 1994, 96-97.

[9] J. B., Das Blutbad im »Heiligen Lande«, in: Dokumente zum Studium der Palästina-Frage (1922-948), Offenbach 1997, 30

[10] Hermann Remmele, Sowjetstern oder Hakenkreuz. Die Rettung Deutschlands aus der Youngsklaverei und Kapitalsknechtschaft, Berlin 1930, 13-14.

[11] Kritisch dazu Bert Hoppe, In Stalins Gefolgschaft. Moskau und die KPD 1928-1933, München 2007.

[12] Kistenmacher: »Judas« zum »Judenkapital«, 83.

[13] Moishe Postone, Antisemitismus und Nationalsozialismus, übersetzt von Dan Diner und Renate Schumacher, in: ders., Deutschland, die Linke und der Holocaust. Politische Interventionen, Freiburg 2005, 165-194.

[14] Olaf Groehler, Integration und Ausgrenzung. Zur Anerkennungs- und Entschädigungsdebatte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1949 bis 1949, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien, Berlin 1993, 109.

Olaf Kistenmacher: Gegen das »jüdische Kapital« und den »zionistischen Faschismus«

  • 0