Juso-Chefin Franziska Drohsel warnt vor linkem Antisemitismus.

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http://www.welt.de/meinung/article1916062/Juso-Chefin_kritisiert_linken_Antisemitismus.html#vote_1917986

Die Vorsitzende der Jungsozialisten in der SPD, Franziska Drohsel, greift Verschwörungstheorien und Antisemitismus im eigenen politischen Lager an. Es könne nicht angehen, dass rechte Inhalte unter einem linken Etikett verkauft würden. Sie fordert: Linkes Denken muss sich vor allem vom Islamismus distanzieren.

Es gab Zeiten, da war alles noch ganz einfach. Wer links war, der war gleichzeitig Antifaschist. “Nazis raus”-Rufe auf Demos gehören bis heute zum guten Ton derjenigen, die sich innerhalb des breit gefächerten linken politischen Spektrums bewegen.

Linke traten für die Schwachen der Gesellschaft ein, unabhängig von ihrer Herkunft. Der programmatische Spruch “Die Grenze verläuft zwischen oben und unten und nicht zwischen den Völkern” war und ist Ausdruck dessen, dass das Konzept Nation in einer linken Politikperspektive nichts zu suchen hat.

Gibt es ein starres Lagerdenken bei den Linken?

Doch ist alles wirklich so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht? Nein, oftmals verstecken sich hinter vermeintlich linken Ansätzen reaktionäre Gedankenmuster, die mit der anfänglichen Intention, nämlich einer “Assoziation, worin die freie Entfaltung eines jeden die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist” (Karl Marx), wenig zu tun haben.

Diese Bestandsanalyse fällt Linken schwer. Allerdings ist die Stärke linker Theorie und Politik gerade, aus schonungslosen Analysen der Realität praktische politische Konsequenzen zu ziehen. Innerhalb der Linken hat in den 1990er Jahren und besonders um das Für und Wider des Irak-Kriegs 2003 eine Debatte stattgefunden, die richtig war und notwendig bleibt, da sie zu einer theoretischen Neufundierung des emanzipativen Ansatzes linker Politik beiträgt.

Im Kern geht es um die Frage, wo vermeintlich linke Antworten auf reaktionären, meist antisemitischen Annahmen basieren. Auf Transparenten sowohl linker als auch rechter Demonstrationen ist mittlerweile zu lesen, man sei “gegen das internationale Finanzkapital”. Wo es tatsächlich Ähnlichkeiten in der Argumentationsweise von links und rechts gibt, bewegt sie sich nahe an verschwörungstheoretischen Konstrukten.

Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Kritik am internationalen Finanzkapital. In der Wortwahl steckt unausgesprochen die Behauptung, dem negativem internationalen stehe ein positives nationales Kapital gegenüber. Dies negiert zum einen die strukturellen Zwänge ökonomischer Akteure in kapitalistischen Wirtschaftssystemen, ganz gleich, ob sie nun “national” oder “international” agieren. Der dem Konkurrenzsystem Kapitalismus notwendig zugehörige Zwang zur Profitmaximierung wirkt immer, egal auf welcher Ebene sich ein Unternehmen bewegt.

Zum anderen sollte, so man bei dieser Argumentation einige Wörter austauscht, eine historische Ähnlichkeit auffallen, in deren Nähe ein links politisierter Mensch wahrscheinlich nicht gesehen werden möchte. Auch die Nationalsozialisten teilten das Kapital in “gut” und “böse” auf. Sie sprachen jedoch von “raffendem”, also spekulativem, und “schaffendem”, also produktivem Kapital. Das “raffende” Kapital wurde dann mit den Juden als deren böse Agenten identifiziert, die für alles Schlechte verantwortlich gemacht wurden und deshalb aus der Welt geschafft werden sollten. Das historische Ergebnis dürfte bekannt sein.

Lehnt sich linke Politik an rechte Hetz-Parolen an?

Lehnt sich linke Politik an diese Redeweise an, muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, antisemitisch zu argumentieren oder zumindest einer solchen Argumentation Vorschub zu leisten. Es muss also aus einer linken kapitalismuskritischen Sicht klar sein, dass Produktions- und Zirkulationssphäre des Kapitals zusammengehören und sich gegenseitig bedingen.

Das Problem ist nicht der Gegensatz von gutem und schlechtem Kapitalismus, sondern der Kapitalismus an sich. Denn in diesem Wirtschaftssystem werden Menschen nur nach ihrer Verwertbarkeit beurteilt. Ähnlich problematisch und antiemanzipatorisch wird die Argumentation, wenn Teile der Linken internationale Politik bewerten. Besonders der direkte positive Bezug auf das “alte Europa”, das mit “soft power” und gutem Willen auf der Welt das Völkerrecht und die Menschenrechte verteidige, übersieht neben den realen Begebenheiten die tatsächlichen Handlungsmotive von Staaten.

Schließlich wurde im Kosovo-Krieg sowohl von europäischer als auch US-amerikanischer Seite das Völkerrecht gebrochen. Das eigentlich Problematische an dieser Sicht ist allerdings, dass sie Staaten und ganze Bevölkerungen kollektiv mit charakteristischen Merkmalen gleichsetzt. Nicht mehr Interessen werden einer Kritik unterzogen, sondern Bevölkerungsgruppen mit besonderen Eigenschaften in Verbindung gebracht.

Im Fall der USA sind das beispielsweise Geldgier, Ellbogenmentalität und vermeintliche Kulturlosigkeit. Dagegen steht das friedliche Europa, das sich nicht dem Kommerz verschrieben habe und lediglich durch Dialog zum Guten der Menschheit beitrage. Mit solchen kollektiven Zuschreibungen macht gewöhnlich die radikale Rechte Politik. Sie drücken ein absolut reaktionäres Menschenbild aus, gegen das eine progressive Linke eintreten muss.

Auch die Betrachtung des Nahostkonfliktes von links ist oft mit Vorsicht zu genießen. Zwar hat sich hier vieles zum Besseren gewendet. Doch immer noch gibt es zahlreiche Aktivisten, die sich als Antiimperialisten bezeichnen und sich bedingungslos mit reaktionären Kräften wie der radikalislamischen Hamas in Palästina solidarisieren.

Das Gesellschaftsbild islamistischer Organisationen ist mit einem linken Emanzipationsbegriff nicht in Einklang zu bringen. Völlig irrwitzig wird die Argumentation, wenn Israel “kolonialistische” Bestrebungen oder der – sicher zum Teil kritisierbaren – israelischen Sicherheitspolitik Verbrechen vorgeworfen werden, die mit denen der nationalsozialistischen Kriegs- und Besatzungspolitik vergleichbar seien. Auch hier gilt es ohne Scheuklappen auch im eigenen politischen Lager kritikwürdige Denkmuster anzugreifen und für progressive Politikansätze zu streiten. Antisemitismus ist ein Übel, das bekämpft werden muss – egal wer es artikuliert und vertritt.

Franziska Drohsel ist seit November 2007 Bundesvorsitzende der Jusos
Seit 2006 ist sie Promotionsstudentin (Jus) und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Juso-Chefin Franziska Drohsel warnt vor linkem Antisemitismus.

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