Julia Anspach: Geschichte als Obsession

Auf fragwürdige Weise verbindet ein israelischer Film Schoa und Pornografie
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In Deutschland spitzt man stets die Ohren, wenn in Israel politische Stimmen die israelische Gesellschaft kritisieren. Nicht selten wird diese Kritik benutzt, um eigene Ressentiments und Projektionen zu bestätigen, obwohl es sich in der Regel um Auseinandersetzungen handelt, die in Israel ihre Berechtigung und Notwendigkeit, vor allem in Deutschland jedoch nichts zu suchen haben. Mit «Stalags», einer neuen israelischen Filmdokumentation, wird eine solche Diskussion wiederum angestoßen. Leider bietet der Film außer berechtigter Gesellschaftskritik auch Anschlussmöglichkeiten für antisemitische Ressentiments.

«Stalags» – die Abkürzung für Stammlager – ist ein Genre pornografischer Unterhaltungsliteratur, das Anfang der sechziger Jahre in Israel erschien. Die kleinen Hefte mit comicartigen Zeichnungen erzählen von amerikanischen und britischen Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Gefangenschaft geraten und in den Lagern von weiblichen SS-Offizieren gefoltert und vergewaltigt werden. «Stalag 13», das erste Heft dieser Art, erschien unmittelbar nach der Eröffnung des Eichmann-Prozesses, und wurde mit einer Auflage von 80.000 Exemplaren ein Bestseller. Zahlreiche Erzählungen folgten, deren Handlungen leicht variieren. Sie enden stets mit der Überwältigung der Peinigerinnen durch das Opfer. Die Erzählung des Dokumentarfilms gruppiert sich um Fragen, die verschiedene Interviewpartner des Filmemachers Ari Libsker aufwerfen. Die Themen lassen sich subsumieren unter die Frage, wie mit der Erinnerung an die Schoa umzugehen sei.

Zwei Interviews mit heutigen Sammlern der Hefte zu Beginn des Films evozieren den Verdacht der sexuellen Perversion dieser Personen. Die Szenen geben das Paradigma vor, unter dem das Thema verhandelt wird. Es wird im Weiteren nicht aufgelöst, sondern bleibt unterschwellig vorhanden. Der unmittelbare Schnitt nach den ersten Interviews zu Aufnahmen der sechziger Jahre, in denen «jeder Stalags liest», wie der Off-Kommentar behauptet, überträgt die sexuellen Obsessionen eines einzelnen zeitgenössischen Interviewpartners assoziativ auf die gesamte Gesellschaft der sechziger Jahre.

Bedauerlicherweise bietet der Film damit Anknüpfungspunkte für die stereotype antisemitische Wahrnehmung vom «lüsternen Juden». Psychologische Verhaltensmuster von Opfern, die sich mit ihren Peinigern identifizieren, werden angedeutet, doch nicht zur Genüge behandelt.

Der Urheber des Genres, Eli Keidar, der unter dem Pseudonym Mike Baden «Stalag 13» und weitere Bände verfasste, war der Sohn von Ausschwitzüberlebenden, deren gesamte Familie in den Lagern ermordet wurde. Keidar und andere Autoren der «Stalags» nutzten den Eichmann-Prozess als Quelle für ihre Darstellungen und übertrafen sich zunehmend an Blutrünstigkeit. Einen Höhepunkt an Grausamkeit bildete «Ich war Colonel Schulzes private Hure». Im Gegensatz zu den vorhergegangenen Erzählungen beschreibt dieser Band einen männlichen SS-Offizier, der eine Frau quält. Mit seinem Verbot schien der Reiz der «Stalags» vergangen – weitere Bände fanden kaum Absatz. Die rhetorische Frage des Off-Kommentators, ob jener Band zu einem Skandal führte, weil er näher an die Realität der Konzentrationslager heranreichte als die vorherigen Bände, impliziert eben dies.

Jedoch widmet der Film der Tatsache, dass fiktive Plots, in denen die Opfer keine Juden waren, von fiktiven Autoren, die im Rahmen der Handlungen als deren scheinbare Subjekte auftraten, parallel zum Eichmann-Prozess reißenden Absatz fanden, im Anschluss an diesen jedoch bald wieder vom Markt verschwanden, nicht ausreichend Aufmerksamkeit und vernachlässigt insbesondere ihre mögliche psychologische Ventilfunktion.

Überlebende selbst nämlich sahen sich in den fünfziger Jahren zunächst mit einem großen (Ver-) Schweigen, einem latenten Misstrauen und der unterschwelligen Frage konfrontiert: Wie konntest du überleben? Erstmals wurden die Erinnerungen an die Schoa während des Eichmann-Prozesses 1960/61 Teil der öffentlichen Wahrnehmung. Zuvor existierten lediglich die Darstellungen von Yehiel Feiner-Dinur, der unter dem Pseudonym K. Tzetnik über die Grauen der Konzentrationslager schrieb. Dessen Zusammenbruch während seiner Zeugenaussage bildete einen «Höhepunkt» des Prozesses, so der Kommentar, und führte zur Popularität des Autors. Aufnahmen des Prozesses, insbesondere von Feiner-Dinurs Zusammenbruch während dessen Aussage, wirken schockierend und emotionalisierend, bereichern hingegen nicht die Argumentation der Dokumentation.

Die Erzählung K. Tzetniks «Das Haus der Puppen» erschien bereits 1953. Sie beschreibt den Alltag eines Bordells im Konzentrationslager Auschwitz. Hier unterlegt der Film nun ausführliche Zitate des Buches mit Bildern der Baracken und Zäune von Auschwitz. Obwohl der Film Literaturwissenschaftler zu Wort kommen lässt, die das sexuell stimulierende Moment in den Beschreibungen K. Tzetniks kritisieren, wirken die ausführlichen Zitate in unnötigem Maße voyeuristisch.

K. Tzetniks Literatur fungierte wegweisend: In den neunziger Jahren wurde sie Bestandteil des Curriculums israelischer Oberschulen. Hiermit gelangt der Film zu seiner wesentlichen Kritik: der Konstruktion der Erinnerung an die Schoa, die durch die K. Tzetniks Erzählungen einerseits und durch die «Stalags» andererseits konstituiert werde, so heißt es.

Interviewpartner dokumentieren den vorherrschenden Glauben an die Authentizität beider Quellen der Erinnerung, während Wissenschaftler vehement widersprechen.

Die Kritik bedient sich insbesondere wechselnden Einsatzes von Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen. Der Film erscheint in Schwarz-Weiß, allein die Abbildungen der «Stalags», meist die Titelcover, werden in farbigen Detailaufnahmen präsentiert. Auch die Bilder einer Schulklasse in Auschwitz erscheinen in Farbe. Der Eindruck einer Gesellschaft entsteht, die von der Erinnerung an die Schoa dominiert ist, welche wiederum geprägt ist von einer einseitigen, sexuell obsessiven und perversen Aufklärung. Der Filmemacher erhebt einen Schlussappell, indem er die Stimme einer Überlebenden der Schoa dafür plädiert, minimalistisch über die Geschichte zu schreiben, da große Worte nicht an das Grauen der Ereignisse heranzureichen vermögen.Die innerisraelische Auseinandersetzung mit der Konstruktion der Erinnerung an die Schoa ist nicht nur legitime Forderung, sondern sicherlich auch Notwendigkeit, bedarf jedoch nicht einer derart voyeuristischen Präsentation. Weiterhin werden wichtige Aspekte des Themas, insbesondere psychologische Mechanismen, nicht hinreichend behandelt. In Gesellschaften außerhalb Israels eröffnet die ästhetische Form dieser Gesellschaftskritik fragwürdige Anknüpfungspunkte. Dies gilt nicht nur für die farblich akzentuierte unterstellte Dominanz sexueller Perversion. Auch die Zusammenführung historischer Aufnahmen mit einer nicht korrespondierenden Tonspur, darunter nicht zuletzt Aufnahmen aus Leni Riefenstahls «Triumph des Willens», zur Erläuterung der Faszination des Nationalsozialismus, impliziert Assoziationen, deren Wirkung über die eigentliche Kritik hinausreichen und problematische Resultate bei einem antisemitisch prädisponierten Publikum zeitigen können.

Julia Anspach: Geschichte als Obsession

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