Joachim Riecker: Ein Tabu-Thema

Zwei Autoren kritisieren den Einfluss der "Israel-Lobby" auf die US-Politik
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November 22, 2007

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Es ist ein heikles Thema, und jeder falsche Zungenschlag kann schnell große Missverständnisse auslösen. Die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler John Mearsheimer aus Chicago und Stephen Walt von der Universität Harvard haben in einem Buch den Einfluss einer so genannten “Israel-Lobby” auf die Politik der Vereinigten Staaten untersucht. Ihr Ergebnis: Diese Interessengruppe verfüge über zu großen Einfluss auf die US-Außenpolitik und dränge die Regierung in Washington zu Entscheidungen, die dem “nationalen Interesse” Amerikas widersprächen. In den USA sorgt das Buch seit seinem Erscheinen im März für große Kontroversen. Während die Autoren einerseits dafür gelobt werden, ein wichtiges Tabu gebrochen zu haben, wird ihnen andererseits maßlose Übertreibung oder gar Antisemitismus vorgeworfen.

Im Rahmen einer Europa-Reise haben die beiden Wissenschaftler ihre Thesen kürzlich in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin vorgestellt. Auch dort kam es zu einem erregten Wortwechsel. Als eine Pakistanerin sagte, in ihrem Heimatland verlören die USA auch deshalb immer mehr an Einfluss, weil ihnen die fast bedingungslose Unterstützung Israels gegen die arabischen Nachbarn vorgeworfen werde, rief ein Zuhörer erregt, jetzt sollten die Juden offenbar auch noch an den politischen Verhältnissen in Pakistan schuld sein.

Mearsheimer und Walt wiesen den Vorwurf des Antisemitismus vehement von sich und betonten, dass es zwischen der “Israel-Lobby” und den Juden in den USA wichtige Unterschiede gebe. Als Beispiel nannten sie den Irak-Krieg: Während die “Israel-Lobby” den Kriegskurs von Präsident George Bush massiv unterstützt habe, sei die Ablehnung des Irak-Kriegs unter amerikanischen Juden um zehn Prozent höher gewesen als im Rest der Bevölkerung.

Außerdem verweisen sie darauf, dass die “Israel Lobby” nichts weiter tue als ihre legitimen Rechte wahrzunehmen – allerdings zum Schaden der USA. Im politischen System Amerikas, das weit stärker als die Meinungsbildung in europäischen Staaten von Interessengruppen dominiert werde, setze die Israel-Lobby ihre Ziele besonders wirkungsvoll durch. Neben einer guten Organisation und viel Geld verfüge diese Lobby schließlich auch noch über eine besonders wirkungsvolle Waffe: den Vorwurf des Antisemitismus.

Diese Anschuldigung sei grauenhaft, sagte Stephen Walt jetzt in einem Interview, “es ist, als ob man als Rassist oder Kinderschänder bezeichnet wird. Selbst wenn die Beschuldigung völlig falsch ist, ist es eine mächtige Waffe. Sie bringt viele Leute dazu, den Mund zu halten. Nicht, weil sie antisemitisch sind, sondern weil sie Angst vor dem Vorwurf haben.”

Bei der Berliner Buchvorstellung definierten Walt und Mearsheimer Antisemitismus als eine Einstellung, wonach die Juden in einem negativen Sinne fundamental anders seien als der Rest der Menschheit. Eine solche Haltung liege ihnen jedoch vollkommen fern; es gehe ihnen allein darum, den Einfluss einer besonders starken Interessengruppe auf die Außenpolitik der USA ins Blickfeld zu rücken.

Als wichtige Organisationen der “Israel-Lobby” nennen sie in ihrem Buch unter anderem das Israel Public Affairs Committee (AIPAC), die Anti-Defamation League oder das American Enterprise Institute. Besonders groß sei der Einfluss dieser Organisationen auf die Nahost-Politik. Sowohl gegenüber Irak und Iran als auch gegenüber Syrien und Libanon würden die USA nach Überzeugung der Autoren einen anderen Kurs verfolgen, “wenn die Lobby nicht so mächtig gewesen wäre oder die Hauptgruppierungen innerhalb der Lobby für eine andere Vorgehensweise plädiert hätten”.

Als sie in Berlin gefragt wurden, ob sie tatsächlich so weit gehen würden, der “Israel Lobby” die Hauptverantwortung für den Irak-Krieg zu geben, antworteten Walt und Mearsheimer allerdings sehr zurückhaltend. Sie beließen es bei dem Hinweis, dass die pro-israelischen Interessengruppen wie auch die israelische Regierung unter Ariel Sharon massiv zum Krieg gedrängt hätten und eng mit den einflussreichen “Neokonservativen” verflochten seien.

Diese Antwort offenbarte eine gewisses Dilemma in der Argumentation von Walt und Mearsheimer. Zwar beschreiben sie in ihrem Buch recht eindrucksvoll die große politische, publizistische und finanzielle Schlagkraft der “Isreal-Lobby”, können jedoch nur schwer nachweisen, dass sie ausschlaggebend für bestimmte Entscheidungen wie etwa den Irak-Krieg war. Vermutlich wäre George Bush ja auch ganz ohne den Einfluss dieser Interessengruppe auf die Idee gekommen, den Nahen Osten neu zu ordnen zu wollen.

Auch mit ihrer Definition des “nationalen Interesses” bewegen sich die Autoren auf etwas schwankendem Grund. Sie plädieren im Kern für eine andere, den Arabern freundlicher gesinnte Nahostpolitik, können aber auch nur mutmaßen, dass eine solche Politik erfolgreicher wäre als die gegenwärtige. Trotz dieser Einwände haben sie ein lesenswertes Buch geschrieben und eine interessante Diskussion angestoßen.

Joachim Riecker: Ein Tabu-Thema

Zwei Autoren kritisieren den Einfluss der "Israel-Lobby" auf die US-Politik
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