Hannes Stein: Warten auf Machmud

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Dass der iranische Präsident New York City betritt, war nicht zu vermeiden — jedenfalls wenn man nicht auf der Stelle einen Atomkrieg gegen den Iran führen will. Laut der Uno-Charta hat jeder Diktator und jeder Völkermörder das Recht, persönlich im Uno-Hauptquartier am East River aufzukreuzen.

Die diplomatischen Vertreter des nordkoreanischen Regimes sitzen dort. Die diplomatischen Vertreter Stalins und Maos saßen dort. Warum also nicht Machmud Achmadinedschad, der den Genozid an Europas Juden für eine unbewiesene Theorie hält, ein anderes Uno-Mitglied (Israel) von der Landkarte radieren möchte, Terrorgruppen wie Hamas und Hisbollah unterstützt und hinter den Quds-Brigaden steht, die im Irak amerikanische Soldaten umlegen?

Die Uno also: bitte, muss ja wohl. Etwas anderes ist die Frage, ob Achmadinedschad Ground Zero besuchen darf. Nein, sagte Bürgermeister Bloomberg — und schob einen technischen Grund vor: Die Sicherheit des Herrn Präsidenten könne dort nicht gewährleistet werden. (Ein Witzbold schlug vor, Achmadinedschad doch einfach ohne Begleitschutz zum Ground Zero reisen zu lassen — er werde schon sehen, was dann passiert.) Noch interessanter ist die (nicht nur, aber auch) philosophische Frage, ob Achmadinedschad als Gastredner an der Columbia University reden darf. Leute, die das für eine gute Idee halten, zitieren den ersten Zusatz zur amerikanischen Verfassung. Dieses First Amendment besagt ungefähr: Jeder soll reden dürfen. Das wird in Amerika sehr ernst genommen — jeder Idiot kann in diesem großen freien Land wirklich jeden Müll verbreiten.

Indessen besagt das First Amendment nicht: Jeder soll reden dürfen MÜSSEN. Will sagen, niemand zwingt die Columbia University, diesen Typen einzuladen. Just das hat sie getan, das heißt, erst wurde Achmadingsbums ein, dann wieder ausgeladen, schließlich sollte er exklusiv vor “SIPA” sprechen, der “School of International and Public Affairs”.

Am Tag, als Achmadinedschad sprechen soll, haben sich vor dem Uno-Hauptquartier ein paar Leute versammelt, die diesen Gast nicht willkommen heißen mögen. Viele Kippas, viele israelische Flaggen. Zipi Livni spricht, die israelische Außenministerin. Sie sagt, sie sei gar nicht dagegen, dass Achmadingsbums nach Columbia geht — nur sollte er nicht als Lehrender gehen, sondern als Student. “Es gibt so vieles, was er noch lernen könnte: die Existenz des Holocaust, die Wichtigkeit von demokratischen Werten…” Rudolph Giuliani, der gern amerikanischer Präsident werden möchte, lässt Grußworte ausrichten: “Der Iran wird keine Nukearwaffen kriegen. Punkt.” Barack Obama, der dieselben Pläne hat wie Giuliani, lässt ebenfalls schön grüßen: Es sei wichtig, dass Leute in New York ihr Missfallen äußern. Richard Holbrooke tritt auf, der Kopf hinter dem Abkommen von Dayton, das Bosnien Frieden gebracht hat. Demonstrationen wie diese hier seien wichtig, sagt er, denn Achmadingsda sei im Begriff, die Public-Relations-Schlacht zu verlieren. Und die Entscheidung, Achmadinedschad an der Columbia-University öffentlich reden zu lassen, sei vor allem deshalb falsch, weil damit im Iran das Missverständnis transportiert werde, der Präsident — den bei ihm zuhause längst zwei Drittel der Bevölkerung ablehnen — komme in den USA an, ja werde von den schwachen und dummen Amerikanern hofiert.

Ich war schon bei verschiedenen Anti-Achmadinedschad-Demonstrationen in Deutschland. Was ist an dieser hier in New York City anders?

Erstens ist die Rednertribune prominenter besetzt. Zweitens ist diese Demo viel unverschämter jüdisch: Zwischendurch singen die Demonstranten die “Hatikva”, und der Ruf, der bei der Menge am besten ankommt, ist “Am Jisrael chai!” — “Das jüdische Volk lebt”. Drittens sind da die christlichen Redner: zwei schwarze und ein weißer Geistlicher, die sagen, dass sie als Christen Israel unterstützen. Die beiden schwarzen Geistlichen reden mehr theologisch von der Erwählung Israels als Gottes auserwähltem Volk. Der weiße Geistliche spricht von der Schuld, die Christen 1900 Jahre lang auf sich geladen haben, als sie hre jüdischen Brüder und Schwestern verrieten — er spricht vom Antisemitismus der Kreuzzüge, von den judenfeindlichen Hasspredigten Martin Luthers, vom Schweigen und der Komplizenschaft in den Jahren des Nazi-Genozids. Diese Vergangenheit, sagt er, könne nicht ungeschehen gemacht werden, aber man könne daraus Lehren für die Zukunft ziehen, indem man sich an die Seite Israels gegen das iranische Regime stellt. Das sind also die in Deutschland so verachteten christlichen amerikanischen Fundamentalisten in Aktion. Und ich habe sie live gesehen!

Als die Demonstration auseinanderläuft, nehme ich die Subway hoch zur Columbia University. Vielleicht treffe ich ja Machmud Achmadinedschad, es gibt ein paar Dinge, die ich ihn immer schon mal fragen wollte. (Zum Beispiel, wer sein Friseur ist. Dieser Haarschnitt ist ja wohl eindeutig Kult.)

Kaum steige ich aus der U-Bahn-Station, schon sehe ich mich aeiner Riege von Chassidim gegenüber, würdigen Herren mit Bärten und Schläfenlocken. Sie tragen Plaketten, auf denen steht “Jehudi, lo Zioni” (Jude, kein Zionist) und halten Plakate hoch, dass sie sich gegen die zionistischen Provoktationen des Iran verwahren. Später erklärt einer der bebrillten Herren in deine Fernsehkamera hinein, es sei Gotteslästerung gewesen, den Staat Israel zu gründen. Man hätte geduldig darauf warten sollen, dass der Herr selbst sein Volk heimführt.

Ich schlängle mich an Polizisten vorbei und durch die Menschenmenge, bis ich ich vor einer Absperrung stehe: Die New Yorker Polizei hat vor dem Eingang der Universität einen schmalen Durchgang freigeräumt. Vor der Absperrung stehen Demonstranten. Durch diese hohle Gasse muss er kommen, es führt kein andrer Weg nach Küsnacht!

Plötzlich läuft eine diffuse Bewegung durch die Demonstranten. Werde ich gleich des leibhaftigen Achmadingsda ansichtig werden? Das kann nicht sein. Auf diese Entfernung könnte ihn ja jeder mit einer Armbrust erlegen — so wie weiland Wilhelm Tell den Fronvogt Geßler.

Nein, es sind nur Studenten, die sich Achmadingsdas Rede angehört haben. “Shame on Columbia!” rufen die Leute um mich herum. “Schande über Columbia!” So wird aus dem schmalen Durchgang, den die Polizei freigeräumt hat, eine Gasse der Schande. Die meisten schlurfen mit hängenden Schultern hindurch, drei oder vier Leute reagieren aggressiv: Ein junger Mann reißt beide Hände hoch, seine Daumen zeigen nach unten, seine Lippen formulieren die Worte: “Shame on you!”

Einer der Studenten ruft: “Freedom of speech!” Aber auf diesen Schnack sind die Demonstranten vorbereitet, sie rufen zurück: “Freedom of speech in Iran!”

Und was hat Achmadingsda nun eigentlich gesagt? Hier können Sie es nachlesen. Hier können Sie aber auch ein Bild Ihres unermüdlichen Bloggers aus Übersee betrachten, der sich damit endlich in der “New York Times ” wiederfindet: Offenbar ist Achmadingsda irgendwann in andere Gefilde verschwunden — die Polizei räumt die Absperrungen beiseite, und ich kann ungehindert in die Columbia University hineinspazieren.

Die wunderschöne, großzügig angelegte zentrale Plaza erinnert — das ist kein Zufall — an eine antike Agora. Überall stehen Gruppen und Grüppchen von Studenten, die heftig miteinander diskutieren. Dazwischen laufen Polizisten herum, damit es keine Schlägerei gibt.

Ein Jude inmitten einer eher feindseligen Menge verteidigt Israel. “Aber Israel tut auch schreckliche Dinge!”, ruft einer der Umstehenden. “Israel ist genauso schlimm wie der Iran!” Anderswo sagt ein iranischer Student: “Es ist doch ganz egal, ob es sechs Millionen waren!” Bevor ich mich aufregen kann, gehe ich lieber schnell weg.

Danach esse ich mit meinem Freund Alan Mittleman in einem exzellenten koscheren Steakhaus (Le Marais, 150 W 46th St.). Ich gestehe Alan, dass ich ein Problem damit habe, wenn Achmadings ständig mit Hitler gleichgesetzt wird. “Er ist ein widerlicher antisemitischer Schleimbeutel”, sage ich. “Das genügt doch. Ich würde es übrigens schon irritierend finden, wenn er nur genauso schlimm wie Honecker wäre.”

Alan Mittleman hat ein anderes Problem. “Ich bin Amerikaner”, sagt er. “Achmadinedschad hat amerikanisches Blut an seinen Händen. Wenn der Ausdruck `Feind Amerikas´eine Bedeutung hat, dann in Bezug auf Achmadinedschad. Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich will nicht wie ein dummer Nationalist klingen. Aber mich stört, dass bei der Frage, ob Achmadinedschad in die Columbia University eingeladen werden soll, Patriotismus nicht die geringste Rolle gespielt hat.”

Hannes Stein: Warten auf Machmud

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