Eine Bühne für Vergangenheit und Gegenwart

Interview mit dem israelischen Theaterautor Joshua Sobol
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http://www.tachles.ch/artikel.php?id_art=3984

Der israelische Theaterautor Joshua Sobol kam vergangene Woche nach Basel, um der Aufführung seines neuen Stückes «Gebirtig» beizuwohnen, letzten Donnerstag war er in der Israelitischen Gemeinde Basel zu Gast. Im Gespräch mit tachles spricht Sobol über seine Arbeit und die aktuelle Situation in Israel.

tachles: Sie sind nach Basel gekommen, um die Premiere Ihres Stückes «Gebirtig» ( vgl. tachles 37/07) zu erleben. Aus welcher Motivation haben Sie sich dem jiddisch-polnischen Poeten und Komponisten gewidmet?

Joshua Sobol: Mordechaj Gebirtigs Lieder beeindrucken mich sehr, weil er in ihnen einen genauen Blick auf die jüdisch-polnische Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts wirft. Er lässt keine romantisierende Schtetl-Welt aufleben, sondern das ganz alltägliche Leben im jüdischen Stadtteil Krakaus, unverfälscht und ehrlich. Gebirtig war an sich Tischler, er war Autodidakt, konnte keine Noten lesen und komponierte auf einer kleinen Flöte. Dennoch gingen seine Lieder um die Welt. Viele von ihnen wurden durch Generationen hinweg weitergegeben, ohne dass sie jemals schriftlich festgehalten wurden. Mir scheinen sie heute so aktuell wie damals.

Während «Gebirtig» nun angelaufen ist, haben Sie bereits ein weiteres Stück fertig geschrieben. Es geht darin auch um Theodor Herzl, der hier in Basel seine Vision von der Gründung des jüdischen Staates festgehalten hat.

In meinem neuen Stück geht es um die Dreyfus-Affäre, in die Theodor Herzl als Berichterstatter stark involviert war. Er spielt eine interessante Rolle, da er seine Meinung über Dreyfus im Laufe der Affäre geändert hat. «A man of the century» ist als aufwendiges Doku-Drama mit 55 Szenen geplant, in dessen Mittelpunkt aber vor allem Ferdinand Walsin-Esterhazy steht, der französische Offizier und deutsche Spion, der der Auslöser der Dreyfus-Affäre war. Er ist für mich der Prototyp einer unmoralischen Gesellschaft. Dieser Charakter und die ganze Affäre beschäftigen mich aufgrund des auch in Frankreich ansteigenden Antisemitismus sehr. Ich möchte aufzeigen, welche Gerüchte über uns kreiert werden können, was damals möglich war und heute ebenso möglich sein kann.

Sie widmen sich innerhalb Ihrer Arbeit vor allem jüdischen Themen. Ihnen liegt daran, einen Bezug zur heutigen Situation der jüdischen Bevölkerung herzustellen und auf die Aktualität der Ereignisse hinzuweisen. Sehen Sie es als Ihre Aufgabe, politisch und gesellschaftlich zu wirken?

Ich sehe es durchaus als meine Aufgabe an, meine Meinung zu äussern und auf Missstände hinzuweisen, die offenkundig sind. Als Autor wird meine Stimme öffentlich wahrgenommen, was sie bewirkt, ist schwer zu ermessen. Es ist bekanntermassen nicht leicht, Menschen zu beeinflussen. Seit Neuestem schreibe ich neben meiner Arbeit als Theater- und Buchautor eine wöchentliche Kolumne in der neu gegründeten israelischen Zeitung «israel today». Dort kommentiere ich die aus meiner Sicht wichtigsten Themen der Woche. Die Situation der weltweiten jüdischen Bevölkerung liegt mir ebenso am Herzen wie die Situation in meiner Heimat Israel. Es ist mir ein Anliegen, mit meinen Stücken, Inszenierungen, Büchern und Artikeln auf Missstände oder latent lauernde Gefahren hinzuweisen.

Gibt es weitere Projekte, an denen Sie zurzeit arbeiten?

Anfang Januar kommenden Jahres findet die Premiere meines Stückes «Ghetto» am Stadttheater in Klagenfurt statt. An der Aufführung, an der mir sehr viel liegt, arbeite ich als Produktionsleiter. Aufgrund der österreichischen Vergangenheit und der Rolle Klagenfurts im Zweiten Weltkrieg scheint es mir sehr wichtig, mein Stück über das Warschauer Ghetto gerade dort auf die Bühne zu bringen. In meinem neuen geplanten Roman hingegen beschäftige ich mich mit einem aktuellen wichtigen Thema. Hier geht es um einen erfolgreichen israelischen Jungunternehmer in der Hightech-Industrie, der praktisch über Nacht zum Millionär wird und eine starke Identitätskrise durchlebt.

Welche Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen, welche hingegen machen Ihnen Hoffnung?

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung innerhalb meines Landes gibt mir sehr zu denken. Hoffnung macht mir dagegen vor allem die junge Generation in Israel. Innerhalb meiner Arbeit an der Universität habe ich viel Kontakt mit jungen Menschen. Die Leute haben eine unglaubliche Energie, sie sind sehr motiviert und vor allem angstfrei. Ich habe mich oft gefragt, weshalb die Geburtenrate im Gegensatz zu anderen – viel sichereren – Ländern wie beispielsweise der Schweiz hoch ist und weiter ansteigt. Die Antwort ist paradox und doch wahr: Die junge Generation lebt absolut in der Gegenwart, sie spart nicht für spätere Zeiten, sie lebt jeden Tag, als wäre es der letzte, und zeugt Kinder, eben weil sie nicht an die Zukunft glaubt. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, aber die Stimmung ist gut. Die positive Energie und Dynamik, die von diesen Menschen ausgeht, beeindruckt mich sehr.

Woran aber leidet schliesslich der junge Protagonist in Ihrem aktuell entstehenden Roman? Weshalb profitiert er nicht von der aufstrebenden Branche, in der er tätig ist?

Er profitiert finanziell von ihr, moralisch bereitet sie ihm grosse Probleme. Mit dem Buch möchte ich auf die Kehrseite der Medaille hinweisen und die Probleme aufzeigen, die der Boom gerade im Bereich Hightech mit sich bringt. Zahlreiche junge Menschen werden in Israel von heute auf morgen zu Millionären, sie geben viel Geld aus, was zur Folge hat, dass sich das Preisniveau im Land erhöht. Die Mieten in Tel Aviv sind in den vergangenen Jahren rapide angestiegen. Leidtragend ist vor allem der Mittelstand, der teilweise kaum noch weiss, wie er seinen Lebensunterhalt finanzieren soll. Ein Problem stellt aus meiner Sicht zudem die erneut aufkommende Orthodoxie in Israel dar, deren Mitglieder weder am wirtschaftlichen noch am gesellschaftlichen Leben partizipieren. Ich habe oft den Eindruck, jede Gruppe innerhalb der Gesellschaft kämpft um ihre eigenen Rechte, es fehlt der Zusammenhalt.

Sie haben einmal gesagt, Europa sei für Sie die grosse Hoffnung der Zukunft. Was meinen Sie damit konkret?

Israel und Europa haben aus meiner Sicht vieles gemeinsam, vor allem aber ihre Bemühung um eine friedliche Demokratie. Innerhalb der Europäischen Union haben die meisten Länder keinerlei Erfahrung mit Demokratie. Sie muss erlernt und entwickelt werden – ebenso wie in Israel, einem Land, das formal zwar demokratisch ist, die Demokratie in der Realität aber nicht immer lebt. Demokratie in Israel kann nur funktionieren, wenn auch die Palästinenser, die im Land leben, tatsächlich die gleichen Rechte haben. Der Kampf um eine demokratische Gesellschaft verbindet Europa mit Israel, wir haben dieselben Visionen in Bezug auf Freiheit.

Bereitet Ihnen die aufkommende Islamisierung in Europa Sorgen?

Die Islamisierung ist eine immense Gefahr. Diese Herausforderung muss Europa allerdings alleine lösen, da kann Israel leider nicht helfen. Wir haben andere Sorgen, vor allem die Tatsache, dass wir keinen Frieden mit unseren Nachbarländern finden. Jedes Land muss für sich mit seinen Problemen umgehen lernen. Am meisten Sorge aber bereitet mir der weltweit ansteigende Antisemitismus, der sich in vielerlei Hinsicht äussert. Erneut werden Gerüchte und Lügen über Juden in die Welt gesetzt, die irreführend sind und gezielt eingesetzt werden.

Worin sehen Sie als intellektuell Schaffender Ihre Möglichkeiten, wie können Sie wirken?

Ich sehe es als meine Aufgabe an, mit meinen Werken aufzuklären und Gerüchten und Stimmungen entgegenzuwirken. Dabei scheint mir wichtig, dass die jüdische Bevölkerung aufhört, eine Sonder- oder Opferrolle einzunehmen, denn so gewinnt sie keine Sympathien. Mir geht es darum – und daher habe ich ja auch «Gebirtig» auf die Bühne gebracht – die jüdische Gesellschaft mit all ihren Problemen und Fehlern so menschlich darzustellen, wie sie eben ist. Immer in der Hoffnung, dass meine Stimme gehört wird.

Eine Bühne für Vergangenheit und Gegenwart

Interview mit dem israelischen Theaterautor Joshua Sobol
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