Claude Lanzmann in Hamburg

Alles so schön anormal hier
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http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,672714,00.html

Gewalttätige Linke verhindern die Vorführung seines Films über Israel, im Feuilleton tobt eine Debatte über seine Autobiografie – mit Regisseur Claude Lanzmann hätte es auf einem Hamburger Podium viel zu bereden gegeben. Doch die Diskutanten wichen jedem Aufreger gezielt aus – wie erfreulich

“Die Normalität Israels ist das Anormale” sagte Claude Lanzmann irgendwann im Lauf der Diskussion, die sich der Vorführung seines Dokumentarfilms “Warum Israel” anschloss. Wie wenig selbstverständlich das ist, was normal sein sollte, konnte man an diesem Montagabend allerdings auch weit weg von Israel erleben, in Deutschland, mitten in Hamburg, in einem alten Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Club Uebel & Gefährlich beheimatet ist.

Ein Film wurde gezeigt. Die Leute standen Schlange, setzten sich, schauten zu und gingen wieder nach Hause. Das war’s. “Ja, und?” könnte man fragen – und wäre beim Kern der Sache. Denn fast überall, wo in Deutschland ein Davidstern zu sehen ist, wo es um Israel geht, steht daneben ein Polizeibus, sind Poller in den Gehweg einbetoniert, Absperrgitter sollen das Durchkommen verhindern.

Und nur ein paar hundert Meter Luftlinie vom besagten Hamburger Bunker entfernt, im Kino B-Movie, verhinderten im Oktober 2009 Linksradikale mit einer Absperrung, mit Schlägen und Beschimpfungen, dass eben dieser Film “Warum Israel” gezeigt werden konnte.

Das war der Anlass für die Betreiber des Uebel & Gefährlich gemeinsam mit dem Popkulturblatt “Spex”, Lanzmann einzuladen, seinen Film selbst noch einmal vorzuführen und darüber zu sprechen. Der 84-Jährige kam eigens aus Paris.

Rauchen, telefonieren, über Pfützen schimpfen

Man musste also mit Großalarm, mit einem Polizeiaufgebot, mit Demonstranten rechnen. Doch vor dem Uebel & Gefährlich stand eine Schlange, als gelte es, ein Konzert von MGMT oder einer anderen jener hippen Popbands anzuschauen, die sonst hier auftreten. Die Leute reihten sich gut hundert Meter lang hinunter vom Vorplatz des Clubs bis zur Straße.

Die Stimmung war friedlich, die Wartenden waren jung und machten das, was man eben so macht in einer Schlange: rauchen, telefonieren, über Pfützen schimpfen. Wie herrlich diese Normalität ist, konnte einem da, zum ersten Mal an diesem Abend, klar werden.

Dann ging’s los mit dem Film aus dem Jahr 1973, der, wie der “Konkret”-Herausgeber Hermann L. Gremliza in der Diskussion danach ganz richtig anmerkte, eigentlich “Darum Israel” heißen müsste. Zeigt er doch die Gründe für die Existenz des Staates. Und das auf ausgesprochen kurzweilige Art. Das Publikum saß da, als wäre es vollkommen alltäglich, dass sich ein paar hundert Kinobesucher an einem Montagabend mal eben einen dreistündigen Dokumentarfilm anschauen.

Als die Diskussion schließlich anfing, war es bereits kurz nach 23 Uhr. Das Publikum blieb bis halb eins und hörte konzentriert zu. Neben Claude Lanzmann selbst und Hermann L. Gremliza saßen “Spex”-Chefredakteur Max Dax und Kulturtheoretiker Klaus Theweleit auf dem Podium. Das Thema der Runde sollte, so war es angekündigt worden, der Film an sich sein, weniger die Übergriffe dagegen. Und schon gar nicht die Debatte, die Lanzmann in den vergangenen vierzehn Tagen auf ganz andere Weise zum Gegenstand des bundesdeutschen Feuilletons hatte werden lassen.

Antisemitismus ist kein Privileg der Linken

Unter der flapsig gangstermäßigen und reißerischen Überschrift “Eine kleine Warnung an den Rowohlt Verlag” hatte die “Zeit” den Vorwurf erhoben, Lanzmann ginge in mindestens einer Episode seiner im Herbst auch auf Deutsch erscheinenden Autobiografie “Le lièvre de Patagonie” (Der patagonische Hase), nicht korrekt mit der Wahrheit um: Er stelle seine Rolle bei einer Auseinandersetzung um den damaligen Rektor der Freien Universität Berlin Anfang der fünfziger Jahre falsch dar. “Die “FAZ” warf der der “Zeit” “Rufmord an Lanzmann” vor, die “SZ” sprang ihr bei. In der “Zeit” ruderte Feuilletonchef Florian Illies persönlich zurück, zumindest ein bisschen.

Lanzmann schien im Uebel & Gefährlich durchaus bereit, auf die fragliche Episode einzugehen. Er sagte, zur Zeit der Gründung Israels 1948 habe ihn das Land überhaupt nicht interessiert, damals sei er in Berlin gewesen. Dass keiner der Anwesenden auf dem Podium darauf einstieg, war eine weitere erfreuliche Anormalität dieses Abends: In welcher Talkshow zum Beispiel hat man zuletzt Diskussionsteilnehmer erlebt, die über einen Aufreger einfach nicht reden?

So wurde über den Film gesprochen und über den Antisemitismus in der deutschen Linken, der zu der historisch einmaligen Aktion gegen “Warum Israel” geführt hatte – Hermann L. Gremliza wies nicht ganz zu Unrecht darauf hin: Antisemitismus ist kein Privileg der Linken, es gibt ihn in allen Lagern und in allen Schichten.

Das entscheidende Wort aber hatte Claude Lanzmann. Und seine Feststellung war so klar und reduziert wie die Fragen, die er den Menschen in seinem Film “Warum Israel” stellte. Er wolle doch anmerken, wie beeindruckt er sei, dass sein 37 Jahre alter Dokumentarfilm über Israel an diesem Abend in einem derart vollen Saal aufgeführt werde, hier – und da konnte man meinen, eine gewisse Süffisanz über die seltsamen Wendungen der Geschichte herauszuhören – hier, in diesem alten Bunker.

Claude Lanzmann in Hamburg

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