Alexander Friedmann: Giftige Worte

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Nehmen wir einmal den Begriff “Gutmensch” – ein Wort, das sich höhnisch in den gesellschaftlichen Diskurs hineindrängt, wenn sich sogenannte “Idealisten” mit sogenannten “Realisten” auseinander setzen.

Sein Einsatz ist dazu da, die Position des politischen Gegners – des “Idealisten” – nicht nur als realitätsfremd, sondern auch als heuchlerisch zu diskreditieren, so dass dieser sich von seiner Position der Moral zurück ziehen und nicht selten sogar die Haltung seines Gegenübers zumindest teilweise auch übernehmen muss. Er will ja nicht als Trottel dastehen…

Angeblich ist 1992 K. H. Bohrer in der deutschen Zeitung “Merkur” Urheber dieses neudeutschen Wortes; der Mitherausgeber des “Merkur” K. Scheel bemerkt 1997 dazu, der Begriff “Gutmensch” dürfe “nur berufsmäßigen Moralisten” gegenüber verwendet, also jemandem an den Kopf geworfen werden, der seine Philanthropie nicht glaubwürdig lebe sondern sich mit ihr als Attitüde schmücke.

Dabei hat schon Nietzsche (1887, “Genealogie der Moral”) vorgeführt, wie leicht “gute Menschen” als “vermoralisiert” und als unehrlich dargestellt werden können. Ein kleiner Schritt mehr, und kein Mensch wird menschliche Güte mehr als öffentlichen Wertbegriff anerkennen. Jenseits von Gut und Böse gibt’s dann nur noch den “Herrenmenschen”.

1994 veröffentlichte K. Bittermann das “Wörterbuch des Gutmenschen”, das sich gegen einen (unehrlichen) “Betroffenheitsjargon” wendete, und popularisierte mit diesem Buch wahrscheinlich den “Gutmensch” -Begriff, ihm eine negative und abwertende Konnotation verleihend und ihm den Weg in den Alltagsjargon des neuen Rechtskonservativismus und – populismus ebnend.

So beschreibt der “Sprachdienst” (1998, Heft 2) das Wort “Gutmensch” als Schmähwort “zur Stigmatisierung des Protests” und “zur Diffamierung des moralischen Arguments”.

In der Tat beschreibt Bittermann den “Gutmenschen” so: Diese glichen den “Besorgten”, die sich “als geduldige, aber empfindsame Menschen (erleben). Sie verspüren innerlich intensiv, was von außen her auf sie einwirkt. Aber zugleich kümmern sie sich aktiv um das Leben außerhalb. Häufiger als der Durchschnitt machen sie sich Sorgen um andere Menschen. […] Wichtig ist ihnen aber auch ihre Innenwelt…”

Was daran von Übel sein sollte, das weiß der Teufel alleine. Ein winziges Stück weiter, und schon ist die Rede vom “Terror der Gutmenschen” und vom “Gesinnungsterror” – ein Versatzstück der jargonalen Sous-Entendu der Neonazis, die die “Umerziehung” der Deutschen (und der Österreicher) nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches beklagen.

Der Begriff “Gutmensch” ist also in der politischen Kampfrhetorik zu einer Perversion seines Stammbegriffes “guter Mensch” geworden und wertet Menschen ab, die Moral im alltäglichen, politischen oder wirtschaftlichen Handeln einmahnen. Auf der Strecke bleiben aber nicht nur die lippenbekennenden Heuchler, sondern auch all jene, die es mit Begriffen wie Ehrlichkeit, Anstand Mitgefühl, Solidarität u. ä. m. ernst meinen. Hand auf’s Herz: Wer wagt es noch, den Begriff “Güte” als Sozialisierungsziel zu fordern? In Zeiten des rücksichtslosen Ausbeutungskapitalismus jedenfalls kaum einer.

So stirbt eine moralische Kategorie dahin, fast ebenso wie der Wunsch, die Welt in der wir leben, zu verbessern – dieser Wunsch wurde ja schon vor Jahrzehnten mit dem verächtlichen Begriff des “Weltverbesserers” abgetötet.

Und da wundern sich manche kopfschüttelnd über den Rückzug großer Teile der jüngeren Generation aus den politischen Interessensfeldnern. Wie gesagt: Wer will sich schon als Trottel outen? Wer den Glauben an die Verbesserbarkeit der conditio humana verloren hat, hat keinen Grund zu politischem Bewusstsein.

In der Tat: Es ist vor allem die politische Rechte, die ihre Gegner mit dem Begriff “Gutmensch” zu diskreditieren sucht: “Gutmenschen” seien wirklichkeitsfremd, reflexionsunfähig, moralisierend, utopistisch – also unanständig oder blöd, suchen Sie es sich aus. Sie selbst hingegen seien realistisch und sachlich – eh klar. Alleine schon deshalb hätten sie Recht und unsere Welt sei die beste aller möglichen Welten…

Der Deutsche Journalisten-Verband weist in Zusammenarbeit mit Sprachforschern auf die semantische Herkunft des Begriffes im Nazideutschen hin. Demnach wurde die Bezeichnung “Gutmensch” bereits in der Nazi-Zeit gegen die (meist klerikalen) Gegner der Euthanasie verwendet.

So findet sich dieser Begriff also als Totschlagargument, als Abschmetterungsstrategie gegenüber Kritik an den eigenen Positionen verwendet. Kritik an (tatsächlichen oder vermeintlichen) rassistischen, homophoben, antisemitischen, xenophoben oder sexistischen Haltungen werden durch die Abwertung des Kritisierenden quasi automatisch abgestellt.

C. Knobloch (Uni Siegen) weist darauf hin, dass diese schändliche Strategie besonders dort offensichtlich sei, wo es tatsächliche oder auch nur behauptete Tabus gebe. Die “Kunst” der Rhetorik besteht dann darin, mit stigmatisierenden Begriffen wie “Gutmensch” oder “Moralkeule”, den politischen Gegner in der Auseinandersetzung in Situationen zu bringen, in denen er zwischen seiner Meinung und der tabuisierten wählen muss.

Damit verbunden sind natürlich wehklagende Behauptungen, es gäbe Themen, über die man nicht mehr laut und öffentlich reden könne, ohne dem “Terror der Gutmenschen” zum Opfer zu fallen (“Man wird doch noch reden dürfen…” – eine beliebte Äußerung Angeklagter vor Gerichten, die über Wiederbetätigungsdelikte zu urteilen haben). Die so ausgemachten “Gutmenschen” würden dabei bildhaft oft als Keulen schwingend dargestellt.

Die Rede sei von “Moralkeule”, “Rassismuskeule”, “Faschismuskeule”, “Auschwitzkeule” und ähnlichem (K. Auer). Glaubt man diesen Behauptungen, ist es ein Leichtes, sich gegen all diese “Keulen” aufzulehnen und trotzig anti-moralische, rassistische, faschistische, auswitzleugnende und antisemitische Haltungen einzunehmen. Der Begriff “Gutmensch” wirkt sich somit als “Keule” gegen all jene aus, die sich zu Moralität, Antifaschismus und zur Verantwortung ziviler Gesellschaften bekennen, die Lehren aus der Schoa nie vergessen zu lassen.

Ich behaupte, dass es ziemlich offensichtlich ist, dass der Keulenbegriff, der so gerne den “Gutmenschen” vorgeworfen wird, eine solche Keule ist. Ich behaupte, dass der Begriff “Antisemitismuskeule” den Benützer dieses Wortes als Antisemiten ausweist. Nur primitive Antisemiten schmieren “Saujud” auf Wände und vorzugsweise auf Grabsteine. Klügere beklagen sich empört über die “Antisemitismuskeule”.

Für solche Verhältnisse geradezu typisch war etwa die Ausgabe der österreichischen Zeitschrift “Profil” in der zweiten September-Woche 2007: Sie kitzelte das Kaufinteresse von Lesern mit einem Titelblatt hoch, das nicht nur von einer israelische Fahne geziert war, sondern auch großformatig “Warum ist Israel so mächtig?” schlagzeilte.

Mit dieser Schlagzeile wurde nicht gefragt, ob Israel mächtig ist, sondern Israel als mächtig hingestellt und die misstrauische Frage aufgeworfen, wie es denn dazu komme, dass Israel mächtig ist.

Nun kann man durchaus der Meinung sein, dass Israel eine gewisse Macht hat, ja. Und jene, die Israels Vernichtung herbeiwünschen, mögen dieses Faktum bedauern. Man könnte diese Frage damit beantworten, dass Israels Bevölkerung, dass seine Gründungsväter aus der Geschichte gelernt haben, dass Macht ein Schutz vor Vernichtung ist – aber Achtung! Wer das sagt, deutet eine Einmahnung an die Schoa an. Da ist sie schon, “die Auschwitzkeule”, die “Antisemitismuskeule”…

Was also ist so schlimm am Vorwurf, dass “Israel Macht hat”? Nichts. Aber hier geht es nicht um die wissenschaftliche Potenz der israelischen Forscher, nicht um die Schlagkraft der Armee, nicht um den legendären “Mossad” oder die Urbarmachung der Wüste – nein: Es geht um den Einfluss, mehr noch: den illegitimen Einfluss der Juden auf die Politik der USA. Nein, nicht aller Juden, nur jener, die auf die Außenpolitik der Bush-Administration Einfluss nehmen. Aber wer will sich schon mit Kinkerlitzchen befassen: Die Juden sind es, die die USA und damit die ganze Welt in Kriege stürzt (und womöglich noch daran verdienen), das weiß doch jeder. Der Jud’ ist schuld…

Das “Profil” nimmt diese Haltung natürlich nicht ein, nein. Es bringt ja nur an sehr prominenter und reißerischer Stelle Inhalte aus einem jüngst in den USA erschienenen Buch. Das “Profil” – ein Blatt für Antisemiten? Ich bitte Sie… Selbst Herr Hoffmann-Ostenhof, der kommentierend noch ein Schauferl nachlegt – ein Antisemit? Ich bitte Sie… Man wird doch noch diskutieren dürfen…

Man kann doch dem “Profil” nicht unterstellen, den Begriff “Israel” im alten Sinne zu meinen, nämlich als Gesamtbegriff für die Juden. Nein. Wie es die Menschen da draußen auf der Straße lesen, dafür ist doch das “Profil” nicht verantwortlich.

Aber: Um ganz sicher zu gehen, geistert der Begriff der Antisemitismuskeule durch den Text. Und er ist hier so zu verstehen: Das zitierte Buch greift die proiraelische Politik der USA als den US-Interessen zuwider laufend an. Aus lauter Angst vor der “Antisemitismuskeule” habe das Buch im Geheimen entstehen müssen und es war von vorneherein klar, dass es von den Juden angegriffen werden würde, natürlich als “antisemitisch”, um die Autoren mundtot zu machen. Diese aber sind Helden und lassen sich nicht unterkriegen. Obwohl die mächtigen Juden in ihrem verschwörerischen Tun ihr Vaterland, die USA (und jedes andere Land), verraten, wenn’s um Israel geht – eh schon wissen: die doppelte Loyalität.

Das bloße Verweisen auf die “Antisemitismuskeule”- wozu dient es? Um zu leugnen, dass es (auch in den USA) Antisemiten gibt? Um die ärgerliche Erinnerung daran zu verwischen, dass die Schoa tatsächlich stattgefunden hat? Vor kaum mehr als 65 Jahren? Oder geht es darum, den Zusammenhang zwischen antisemitischem Denken, Schreiben und Handeln und dem Genozid, vielleicht dem nächsten, zu bestreiten? Sollen Juden sich nicht mehr wehren, Antisemitisches nicht mehr antisemitisch nennen dürfen?

Überall auf der Welt kommt es zu rassistischen Übergriffen, auch zu antisemitischen. Wären Sie gern ein Christ im Sudan oder im Irak? Ein Baha’i im Iran? Ein Rom in Tschechien? Eine Frau in Pakistan? Ein Moslem in Serbien? Achtung: Rassismuskeule!

Der Iran droht unverblümt mit der nuklearen Auslöschung Israels. Die islamische und arabische Welt hat es bis heute nicht akzeptieren können, dass es ein Land gibt, kaum größer als Niederösterreich, in dem mehrheitlich Juden leben. In Ländern wie Polen, wo praktisch alle Juden ermordet wurden und der antisemitische Radiosender Marya noch immer sendet, in den baltischen Staaten, wo die früheren SS-Kollaborateure heute als Helden und Märtyrer gefeiert werden, im Vatikan, der den notorischen Judenhasser, Antidemokraten und Erfinder der Unfehlbarkeit des Papstes, Pius IX. selig spricht und, und, und – Antisemitismus: eine Erfindung der Juden. Der anklagende Finger – die “Antisemitismuskeule”?

Ach ja: Juden dürfen alles haben, krumme Nasen, Körper- und Mundgeruch, nette kleine Ghettoexistenzen, sogar Geld – nur eines nicht: Macht. Man soll toter Juden gedenken können, lebende sollten aber nicht zuviel Geseieres machen. Man soll sich dann und wann für sie einsetzen dürfen, sie selbst aber sollen sich heraushalten. Letztlich sollen sie Opfer bleiben, wie all die Jahrhunderte bisher. Als Opfer waren und bleiben sie nützlich: Dann und wann eine kleine Friedhofsschändung, ein bissl Synagogenanzünden, im Notfall ein Pogrom; ein Quentchen Judenhass im Wahlkampf, schon kriegt man ein paar Wählerprozente mehr – Sie wissen schon: “die Ostküste”.

Wehren -nein, wehren dürfen sie sich nicht. Man ist ja kein Antisemit -wogegen sollen sie sich dann wehren? Gegen den Antisemitismus? Den haben sie doch selbst erfunden, als Keule sozusagen.

Alexander Friedmann: Giftige Worte

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